Année politique Suisse 1986 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises
 
Sprachgruppen
Die Spannungen zwischen den verschiedenen Sprachgruppen der Schweiz haben sich nach Ansicht der Stiftung für Eidgenössische Zusammenarbeit entgegen anderslautenden Auffassungen in der letzten Zeit nicht verschärft. Gewachsen ist demnach vielmehr die Sensibilität der Betroffenen für diese Problematik. Ausdruck davon war die in der Westschweiz zum Teil heftige Kritik am Beschluss des Bundesrats, im Dezember 1985 am Vorbereitungstreffen für die Ministerkonferenz der französischsprachigen Länder in Paris nicht teilzunehmen. Aufgrund einer breiten Strömung in der Westschweiz und befürwortenden Stellungnahmen von vier Kantonsregierungen (Waadt, Wallis, Genf, Jura) beschloss schliesslich die Landesregierung im Sinne eines Kompromisses, am Frankophoniegipfel mit einem Beobachter im Range eines Staatssekretärs teilzunehmen. Sie begründete diesen Entscheid mit dem Hinweis, dass sie spachliche Kriterien als Faktoren der schweizerischen Aussenpolitik seit jeher abgelehnt habe. Selbst die Westschweiz war in dieser Frage nicht geschlossen. Die Forderung nach einer Teilnahme wurde auch als Angst vor einem Abgleiten der Romandie in eine Randposition angesichts des generellen Vormarsches der Deutschschweizer Dialekte und des Englischen interpretiert [11].
Tatsächlich steht die Dialektwelle zunehmend im Zentrum der Diskussionen um das Verhältnis Deutsch-Welsch, weil sie immer mehr Bereiche des öffentlichen Lebens erfasst. Nach Ansicht von Professor Ris von der ETH Zürich nimmt die aktive Hochsprachkompetenz der Deutschschweizer Bevölkerung sowohl mündlich wie schriftlich immer mehr ab, eine Tendenz, die nicht nur die Zugehörigkeit zur deutschen Kulturgemeinschaft in Frage stelle, sondern auch das Übergewicht des Zürcher Dialekts verstärke und die Beziehungen zur französischsprachigen Schweiz gefährde. In einem Brief an Bundesrat Egli mahnte der Westschweizer Lehrerverein zur Respektierung der Spielregeln im sprachlichen Verkehr. In Beantwortung eines parlamentarischen Vorstosses bekundete die Landesregierung ihr Verständnis für die Dialektwelle, die auch als Zeichen der Besinnung auf regionale kulturelle Werte zu sehen sei. Sie beurteilt deshalb die Situation nicht als dramatisch, gedenkt aber dennoch dem Problem vermehrte Beachtung zu schenken. Sie will in ihrem Zuständigkeitsbereich (ETH Zürich, Oberkommando der Armee) zur vermehrten Pflege des Hochdeutschen beitragen und im Einvernehmen mit der SRG festlegen, inwieweit Radio und Fernsehen dem in der Konzession definierten Programmauftrag auch im Sprachgebrauch Rechnung zu tragen haben [12].
Der Kanton Freiburg, dessen Einwohner zu zwei Dritteln französisch und zu einem Drittel deutschsprachig sind, droht infolge seiner Sprachsituation zu einem neuen Konfliktherd zu werden. Eine Arbeitsgruppe der kantonalen CVP wies nach, dass von einer zunehmenden Germanisierung des Üechtlandes nicht gesprochen werden könne, weil der Anteil der deutschsprachigen Bevölkerung im Kanton in den letzten 15 Jahren um 0,5 % abgenommen hat. Dennoch blicken die Welschfreiburger beunruhigt auf diejenigen Gemeinden entlang der Sprachgrenze, deren Anteil an Deutschsprachigen über 20% liegt. Ein Unbehagen manifestiert sich aber auch zunehmend in der deutschsprachigen Minderheit, die für eine Gleichstellung der deutschen Sprache eintritt und sich über den Umstand aufhält, dass namentlich die Stadt Freiburg die theoretisch verankerte Zweisprachigkeit in der Praxis nicht lebt. Das Malaise versuchte der Sensler Mundartpoet Franz Aebischer mit der Gründung einer Deutschfreiburger Partei und einer Regierungsratskandidatur einzufangen [13].
Im Kanton Tessin ist die italienische Sprache gemäss einer Studie der Universität Zürich zumindest vorderhand nicht bedroht. Nur einige relativ kleine Gemeinden weisen einen hohen Anteil an Deutschschweizern auf, während die städtischen Agglomerationen dem deutschsprachigen Einfluss mühelos standhalten.
Die Verbesserung der Situation der rätoromanischen Sprache im Kanton Graubünden bleibt weiterhin Gegenstand von politischen Bemühungen. Wie im Vorjahr bereits der Nationalrat überwies auch der Ständerat die Motion Bundi (sp, GR) betreffend Erhaltung der romanischen Sprache und beschloss mittels einer Ergänzung zum Publikationsgesetz, künftig Bundesgesetze von besonderer Tragweite in einer Beilage zum Bundesblatt auch in romanischer Sprache zu veröffentlichen. Der Bundesrat setzte sich ebenfalls für weitere Massnahmen zur Verbesserung der Situation der vierten Landessprache ein. Er sprach sich namentlich für eine angemessene Berücksichtigung im Zivilstands-, Güterrechts- und Handelsregister sowie im Grundbuch aus. Im weitern sollen die im romanischen Sprachgebiet tätigen Stellen des Bundes beauftragt werden, die vierte Landessprache konsequent zu pflegen. Bei der Wahl des rätoromanischen Idioms entschied sich die Landesregierung für Rumantsch Grischun. Dessen Testphase soll gemäss einem Beschluss der Delegierten des rätoromanischen Dachverbandes Lia Rumantscha/Ligia Romontscha um drei Jahre verlängert werden. Nach Abschluss der linguistischen Überprüfung geht es nun darum, den Anwendungsbereich von Rumantsch Grischun abzuklären. Dabei sollen aber die bestehenden Idiome in ihrem angestammten Gebiet im schriftlichen Verkehr weiterhin Priorität haben [14].
 
[11] Stiftung: Presse vom 25.6.86; Kennenlernen — Näherkommen, Solothurn 1986. Frankophonie-Gipfel: Ww, 1, 2.1.86; 8, 20.2.86; NZZ, 3.1.86; 18.1.86; 24.1.86; 20.2.86; 21.2.86; LM, 11.1.86; 18.-20.2.86; 24 Heures, 16.1.86 ; 24.1.86 ; 17.2.86 ; 15.3.86 ; 14.10.86 ; Presse vom 23.1.86 ; vgl. SPJ, 1985, S. 46 und 181 sowie oben, Teil I, 2 (Relations bilatérales) und 8a (Primar- und Mittelschule); dazu auch Interpellationen Friedli (sp, JU) und der Liberalen Fraktion in Amtl. Bull. NR, 1986, S. 479 f. und 966 f., sowie Einfache Anfrage Friedli betreffend Herkunftsländer des Automobilparks des Bundes in Amtl. Bull. NR, 1986, S. 501.
[12] Ris: NZZ, 20.2.86; vgl. SPJ, 1985, S. 181. Lehrerverein: BaZ, 18.6.86; NZZ, 16.7.86. Bundesrat: Einfache Anfrage Christinat (sp, GE): Amtl. Bull. NR, 1986, S. 1037; LM, 8.5.86; SGT, 9.5.86. Parl. Vorstösse zum Thema: Motion Robbiani (sp, TI) betreffend Italienischkurse für das Bundespersonal, als Postulat überwiesen : Amtl. Bull. NR, 1986, S. 953 f.; Postulat Leuenberger (sp, ZH) betreffend sprachliche Verständigung in den Kommissionen: Amtl. Bull. NR, 1986, S. 1489. Im weitern auch G. Lüdi, «Abgrenzung und Konvergenz. Kulturelle Vielfalt und nationale Identität im Lichte der Sprache», in Schweizer Monatshefte, 66/1986, S. 1023 ff.
[13] NZZ, 3.1.86; 1.3.86; Lib., 26.2.86; 3.4.86; 17.5.86; 14.6.86; 11.7.86; 24 Heures, 14.6.86; TA, 10.7.86.; BaZ, 14.7.86; 13.11.86; BZ, 17.12.86; Bund, 20.12.86; vgl. oben, Teil I, 1e (Kantonale Wahlen, Freiburg).
[14] Tessin: Vat., 7.1.86; NZZ, 7.2.86. Graubünden: Motion Bundi, Amtl. Bull. StR, 1986, S. 360 ff.; NZZ, 14.5.86; 18.6.86; BaZ, 18.6.86; JdG, 18.6.86; LM, 18.6.86; vgl. SPJ, 1985, S. 180. Publikationsgesetz: NZZ, 16.1.86; 12.3.86; vgl. SPJ, 1985, S. 180. Bundesrat: Bund, 27.11.86; Lib., 27.11.86. Der Zentralvorstand der SRG stimmte im weitern dem Ausbau der rätoromanischen Radiosendungen von täglich 2'/2 auf 4 Stunden bei gleichzeitigem Ausbau der sendetechnischen Infrastruktur zu, vgl. NZZ, 1.3.86. Rumantsch Grischun: NZZ, 9.6.86. Zur Situation allgemein: Institut für Föderalismus, Die kulturelle Bedeutung von Minderheitssprachen; der Fall des Romanischen im Kanton Graubünden, Freiburg 1986.