Année politique Suisse 1987 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Das Parteiensystem
Die Aktivitäten der Parteien standen ganz im Zeichen des eidgenössischen Wahlkampfes, der seinerseits hauptsächlich von der Umweltschutzproblematik geprägt war. Das Vorherrschen des einen Themas und wohl auch die gute Wirtschaftslage brachten es mit sich, dass sich die politischen Diskussionen vermehrt um sogenannt postmaterialistische Inhalte drehten und dass die seit dem Konjunktureinbruch von 1974 zu beobachtende Ideologisierung und Polarisierung der Parteien auf programmatischer Ebene zu einem guten Teil rückgängig gemacht wurde. So bemühte sich die FDP gewissermassen um eine Rehabilitierung des Staates, indem diesem eine Führungsrolle im Umweltschutz zugesprochen wurde, während auf der anderen Seite des politischen Spektrums neomarxistische Forderungen kaum mehr Erwähnung fanden. Dass die an manchem Wahlparteitag gefassten, recht weitgehenden Beschlüsse zum Umweltschutz von den entsprechenden Fraktionen nicht unbedingt in die Tat umgesetzt werden, darüber war man sich allerdings fast ebenso einig wie über das Wahlkampfthema. Insbesondere die Freisinnigen betonten weiterhin ihre wirtschaftsliberalen Positionen und setzten diese im Parlament, zum Beispiel bei der Steuergesetzgebung oder dem Arbeitsvertragsrecht, wieder rücksichtsloser durch. Vor Augen geführt wurde einem das Wiedererstarken des liberalen Selbstbewusstseins durch eine Plakataktion der "Schweizerischen Handelszeitung", die sich unbekümmert auf rotem Hintergrund als "Kapitalistisches Manifest" anpries. Die Polarisierungen an sich dürften denn auch kaum verschwunden sein, sondern machten sich eher auf der sachpolitischen Ebene und innerhalb der Parteien bemerkbar. Unter diesen bekundeten sämtliche Mühe, die verschiedenen Flügel wenigstens für den Wahlkampf unter einen Hut zu bringen [1].
Die erwähnte Ideologisierung und Polarisierung der Parteiprogramme seit der Ölkrise hatten zu Beginn des Jahres die Politologen Klöti und Risi in einem Aufsatz analysiert und mit den seit 1974 wieder zunehmenden Verteilungskämpfen in Verbindung gebracht. Die Autoren sehen jedoch auch konstantere Entwicklungen im schweizerischen Parteiensystem, namentlich eine gewisse Funktionsverlagerung und einen Strukturwandel im Verhältnis der Parteien untereinander sowie in deren Beziehungen zum gesellschaftlichen Umfeld. Der Funktionswandel äussere sich in der abnehmenden Bedeutung der Parteien in Abstimmungskämpfen und in den vorparlamentarischen Entscheidungsprozessen sowie in einer eher geringen Integrationsleistung. Bei Personalentscheiden komme ihnen hingegen wachsende Bedeutung zu, da sie nicht nur bei Wahlen, sondern auch bei der Besetzung der Verwaltungsposten federführend seien. Der Strukturwandel äussere sich unter anderem in einer zunehmenden Parteienverdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger, die sich immer häufiger nur noch im Zusammenhang mit Sachfragen politisieren liessen und sich tendenziell weg von den Regierungsparteien hin zu sozialen Bewegungen wendeten. Auch das Regierungslager verliere dabei an Kohäsion in Sachgeschäften, seien doch hier stets wechselnde Koalitionen auszumachen, die sich jeweils quer über alle Parteigrenzen hinweg herausbildeten [2].
Ähnliche Befunde machte auch O. Reck in einer Analyse der politischen Parteien. Gemäss ihm sind in der Politik für eine Mehrheit des Volkes anonyme oder verschleiernde Kräfte bestimmend, wobei die Macht vor allem ausserhalb des Parlaments vermutet werde. Die zu Volksparteien gediehenen Gruppen taugten auch nicht mehr zu weltanschaulichen Kämpfen und würden von alternativen Bewegungen immer mehr in die Defensive gedrängt. Die enge Verbindung der grossen Parteien mit einer Wirtschaft, die hinsichtlich ihrer Aussenbeziehungen gelegentlich als moralische Belastung des Landes empfunden werde, trage zum Anwachsen politischer Vertrauenskrisen bei, wobei ein zugleich aufkommender Fundamentalismus die Erosion des Parteiengefüges noch beschleunige. Daneben begünstigten die im laufenden Wahlkampf praktizierten parteiübergreifenden Wahlempfehlungen auch eine Auflockerung der Fraktionen. Trotzdem glaubt Reck nicht an eine Entwicklung zu stets wechselnden ad-hoc-Gruppierungen, da der Liberalismus, der Konservatismus und die Sozialdemokratie als politische Grundströmungen ihre Bedeutung behalten würden [3].
Allgemein schwindende Parteienbindungen und für die Regierungsparteien abnehmende Sympathisantenanteile wurden wiederum in den VOX- und UNIVOX-Analysen hervorgehoben. Zwar stieg unter den Befragten der Anteil derjenigen, die sich als parteigebunden bezeichnen gegenüber dem Vorjahr von 43% auf 48%, doch wird dies nicht als Wende des abnehmenden Trends, sondern als Ausdruck einer in Wahljahren normalen Erhöhung der Politisierung aufgefasst. Entsprechend kann auch nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob die überdurchschnittliche Zuwendung zu den neuen grünen Gruppierungen von Dauer sei. Das Abnehmen der Parteibindungen wird auch dadurch belegt, dass eine Verlagerung von aktiven Parteigängern zu weniger engagierten Parteisympathisanten stattfindet. Bemerkenswert ist ferner, dass sich die Profile der Parteien in wichtigen Politikbereichen stark gleichen. Einerseits wird zudem deren Kompetenz zur Problemvermittlung zwischen Bevölkerung und Behörden als eher mangelhaft eingeschätzt, andererseits ist jedoch die Legitimität des Parteiensystems an sich äusserst hoch [4].
Die stabile Verankerung der Parteien im staatlichen System, aber auch deren zunehmende Schwäche in den politischen Entscheidungsprozessen, lassen häufig die Forderung nach ihrer rechtlichen Verankerung und einer staatlichen Parteienfinanzierung laut werden. Der von der Migros finanziell unterstützte Landesring der Unabhängigen forderte 1987 in einer als Postulat überwiesenen Motion (Jaeger, SG) eine Verpflichtung der Parteien, ihre Rechnungen zu publizieren und alle Spenden und Beiträge, die 5000 Fr. übersteigen, unter Namensnennung aufzuführen. In seiner Stellungnahme erinnerte der Bundesrat daran, dass das EJPD derzeit einen umfassenden Bericht um den Problemkreis der Parteienförderung und -gesetzgebung erarbeite, wie das ein Postulat beider Räte aus den Jahren 1983/84 verlange. Im Kanton Bern wurde derweilen in einer Volksabstimmung eine staatliche Finanzierung der Parteien abgelehnt, obwohl sich nur wenige kleine Parteien gegen die vorgesehene Verteilung der Gelder gewehrt hatten. Der eindeutige Ausgang der Abstimmung wurde als Folge der dortigen Parteispendenaffäre interpretiert [5].
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Regierungsparteien
Trotz der wahltaktischen Vorsicht, mit der sich die Regierungsparteien zu begegnen suchten, blieben Misstöne auch dieses Jahr nicht aus. So wurden zwar an den traditionellen "Von-Wattenwil-Gesprächen" heikle Themen ausgespart und auf das nächste Jahr verschoben, doch musste sich die SP erneut eine bürgerliche Machtdemonstration gefallen lassen, indem die Bundesversammlung anstelle der offiziellen SP-Kandidatin einen CVP-Gegenkandidaten als Ersatzrichter ans eidgenössische Versicherungsgericht wählte. In der ersten Empörung erwogen die Sozialdemokraten darauf, die formellen interfraktionellen Gespräche mit den übrigen Bundesratsparteien zu boykottieren, doch liessen sie es schliesslich bei verbalen Protesten bewenden [6].
Im Zuge der schlechten Wahlprognosen für die SVP kamen Spekulationen über deren künftige Regierungswürdigkeit auf. Insbesondere in grünen Kreisen wurden im Zusammenhang mit übersteigerten Erfolgserwartungen schon Hoffnungen auf die Besetzung des durch den Rücktritt von Bundesrat Schlumpf frei werdenden Sessels laut. Aus dem Regierungslager wurde hingegen immer wieder betont, dass sich die Zauberformel nun schon seit 28 Jahren bewährt habe und man deshalb nicht bereits wegen eines einzigen Ausschlags in der Wählergunst von ihr abweichen wolle [7].
 
[1] Zu den Wahlen vgl. oben, Teil I, Id (Eidg. Wahlen). Ausser mit dem Umweltschutz versuchten sich die Parteien auch mit der Frauenförderung zu profilieren (vgl. dazu Ww, 26.2.87; TA, 4.3. und 25.3.87; TW, 13.4.87). Zu den Programmen vgl. unten, einzelne Parteien. Zur Steuergesetzgebung vgl. oben, Teil I, 5 (Einnahmenordnung); zum Arbeitsvertragsrecht oben, Teil I, 7a (Protection des travailleurs).
[2] U. Klöti / F.-X. Risi, Neueste Entwicklungen im Parteiensystem der Schweiz, Zürich 1987. Vgl. auch Lit.
[3] O. Reck, Schweigende Mehrheit. Eine Analyse der politischen Parteien, Zürich 1987.
[4] VOX und UNIVOX: vgl. Lit. Longchamp sowie Linder / Longchamp.
[5] Amtl. Bull. NR, 1987, S. 983; BaZ, 22.4.87; SPJ, 1983, S. 218 und 1984, S. 213. Bern: BZ, Bund und TW, 6.4.87; vgl. auch SPJ, 1986, S. 251 und oben, Teil II, 1h (Wahl- und Abstimmungsverfahren).
[6] NZZ, 9.9. und 18.1 1.87 (Parteiengespräche); Amtl. Bull. NR, 1987, S. 572 f.; Presse vom 12.3. und 18.3.87; BaZ und SZ, 14.3.87 (Wahl von M. Kurmann anstelle von Susanne Leuzinger-Naef als Ersatzrichter am eidg. Versicherungsgericht); vgl. auch SPJ, 1983, S. 21 ff. und 218; 1984, S. 213 ff.
[7] Zur Zauberformel vgl. oben, Teil I, 1c (Regierung). Zur Konkordanz vgl. auch Lit. Klöti / Risi sowie NZZ, 24.9.87.