Année politique Suisse 1987 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Christlich-demokratische Volkspartei
Das Selbstverständnis der Christlich-demokratischen Volkspartei (CVP) als Mitte und Mittlerin zwischen den politischen Fronten bereitet ihr, gerade in Zeiten sachpolitischer Polarisierungen, Identitätsprobleme, wobei die heftiger werdenden Konfrontationen auch innerhalb des CVP-Lagers spaltend wirken. Eine zu eben dem Thema des Selbstverständnisses abgehaltene Tagung brachte denn auch eine fast babylonische Verwirrung um Ziele und um Begriffe wie links – rechts oder progressiv – konservativ zutage. Als gemeinsamer Nenner und einigende Klammer konnte immerhin ein Wertkonservatismus ausgemacht werden, gemäss dem es gelte,' durch Veränderungen im Sozial- und Umweltbereich das sittliche Menschenbild der CVP zu bewahren. Das "hohe C", bis vor kurzem noch als Bezeichnung für einen Fruchtsaft bekannt, etablierte sich innerhalb der CVP als Begriff für die christliche Grundlage der Partei. Es wurde hingegen nicht diskutiert, was unter der Bezeichnung eigentlich zu verstehen sei. Gemäss dem Historiker U. Altermatt ist gerade dieses "hohe C" für die CVP notwendig, um dem doppelten Erosionsprozess von Säkularisierung und Ökonomisierung zu entgehen [12].
Als "Mitte der Mitte" und in ihrer Kompromissbereitschaft gar als Spiegelbild der Partei bezeichnet, wurde zu Beginn des Jahres die St. Galler Nationalrätin Eva Segmüller als Präsidentin der CVP erkoren und in der Folge als erste Frau an der Spitze einer Bundesratspartei gefeiert. Beim eher linken CSP-Flügel stiess diese Wahl auf wenig Begeisterung, und auch die "Arbeitsgemeinschaft der CVP-Frauen" reagierte eher zurückhaltend, da E. Segmüller nicht als besonders mutige Verfechterin der Sache der Frau gilt. Die Wahl einer Frau in dieses Amt wurde immerhin auch von dieser Seite angesichts der zahlreichen Kantonalsektionen, welche sich gegen das sich verändernde Rollenverständnis der Frauen noch wehren, als ermutigend angesehen [13].
Die zum Teil recht weit auseinanderliegenden Positionen des christlich-sozialen Parteiflügels oder der Jungen CVP einerseits und der "Arbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Gesellschaft" (AWG) andererseits äusserten sich in der parlamentarischen Arbeit – etwa bei der Auseinandersetzung um den Kündigungsschutz im Arbeitsvertragsrecht – oder in der unterschiedlichen Parolenfassung bezüglich der Revision des Asylgesetzes. Sie konnten jedoch im Vorfeld der Wahlen auf der programmatischen Ebene durch Kompromisse überdeckt werden. So trat die Partei an ihrem Wahlparteitag für ein Moratorium beim Bau neuer Kernkraftwerke ein, bis auf Grund des EGES-Berichtes, der nach den Wahlen erscheinen sollte, näheres entschieden werden könne. Dass sich die CVP aber doch für die Einführung des fakultativen Referendums bei KKW-Bauten aussprach, wurde auf Impulse der Jungpartei zurückgeführt. Eine Führerrolle kommt der CVP bei der Bekämpfung neuer Fortpflanzugstechnologien zu. Sie wandte sich gegen die künstliche Befruchtung mit Zellen, die nicht von einem Ehepartner stammen, gegen die Leihmutterschaft und den Handel und Experimente mit Embryonen [14].
Trotz des um 0,7% auf 19,7% gesunkenen Wähleranteils konnte die CVP ihre 42 Nationalratssitze halten, und im Kanton Solothurn gewann sie sogar einen 19. Ständeratssitz. Ihre Anhängerschaft ist gemäss VOX-Analyse weniger durch sozio-ökonomische als vielmehr durch konfessionelle Merkmale bestimmt, sind doch 93% der CVP-Wählerinnen und -Wähler katholisch [15].
 
[12] Presse vom 22.6.87 (Tagung); Vat., 14.2.87 (Altermatt). Zu den Identitätsproblemen der CVP-Presse vgl. oben, Teil I, 8c (Presse) und TA, 14.5.87.
[13] Vat., 28.1.87; SGT, 31.1.87 (zur Person E. Segmüllers); Presse vom 16.2.87 (Wahl); TA, 9.2.87; Ww, 26.2.87 (Allgemeines und Reaktionen).
[14] Programmatisches: Presse vom 23.4., 25.5. und 11.8.87. Abweichen von CSP und JCVP: NZZ, 2.3.87; SGT, 17.6.87; Presse vom 7.9.87; vgl. auch Presse vom 31.8.87 und Vat., 1.9.87 über die Anstrengungen der CVP-Frauen zur Verwirklichung gleicher Rechte für die Geschlechter und eine Broschüre der CVP über Die Wirtschaftspolitik der CVP für die 90er Jahre, Bern 1987.
[15] Vgl. oben, Teil I, 1e (Eidg. Wahlen: Resultate für den NR bzw. den St R); Lit. Longchamp/VOX, S. 22 ff.