Année politique Suisse 1987 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
Sozialdemokratische Partei
Ein wechselvolles Jahr, geprägt von internen Auseinandersetzungen, Siegesgewissheit hinsichtlich der Wahlen und schliesslich der Wahlniederlage, brachte die Sozialdemokratische Partei (SP) hinter sich. Angefangen hatte die Unbill im Tessin, wo die Mitglieder einer Arbeitsgemeinschaft für die Wiedervereinigung mit dem
Partito socialista autonomo (PSA), unter ihnen der Fraktionspräsident der SPS, Nationalrat D. Robbiani, aus der Parteisektion ausgeschlossen wurden. Mit einer eigenen Liste, in Verbindung mit derjenigen der PSA, trat daraufhin die Arbeitsgemeinschaft bei den Kantonsratswahlen an und unterstützte zudem den von des PSA portierten Regierungsratskandidaten, der den SP-Sitz einnehmen sollte. Unverhofft gedieh der Streit zu einem sensationellen Sieg für die Sozialisten, da die Kandidaten beider Gruppen in die Regierung gewählt wurden und den populären CVP-Regierungsrat Fulvio Caccia verdrängten
[16].
Auf der schweizerischen Ebene entspannen sich die Auseinandersetzungen auf zwei Seiten. Die starke Parteimitte, angeführt von der Geschäftsleitung mit Parteipräsident Hubacher, setzte ihre Hoffnungen vor allem auf eine neue rot-grüne Mehrheit im Parlament, vermied deshalb extreme programmatische Positionsbezüge und suchte – in der Deutschschweiz ein Novum und eine Abkehr von bisherigen Grundsätzen – in mehreren Kantonen
Listenverbindungen mit den Grünen einzugehen, um ihren Willen zur Offnung zu demonstrieren. Die Umweltproblematik schien dabei die sozialen Anliegen der Partei bisweilen zu überlagern, indem etwa dargelegt wurde, dass soziale Errungenschaften durch Unfälle, wie sie in Tschernobyl oder Schweizerhalle geschehen seien, gegenstandslos werden könnten. Daneben wurde die Parteilinke zur Stille angehalten: Die Jungsozialisten (JUSO) liessen sich überreden, mit der Lancierung einer Volksinitiative für die Abschaffung des Ständerates bis nach den Wahlen zuzuwarten, und auch die Anregung von Zürcher Delegierten, das bürgerliche Sofortprogramm zur Entlastung von Familien bei der direkten Bundessteuer mit einer Neuauflage der 1977 nur knapp abgelehnten Reichtumssteuerinitiative zu beantworten, fand weder bei der Geschäftsleitung noch bei der Mehrheit der Delegierten Zustimmung. Auf der anderen Seite begegneten die Gewerkschafter der Bündnispolitik der SP mit Skepsis oder gar Ablehnung, da die Grünen für sie in sozialpolitischen Fragen nicht als verlässliche Partner gelten. Bundesrat Stich warnte in seiner Ansprache zum 1. Mai davor, das Bündnis zwischen demokratischem Sozialismus und Gewerkschaftsbewegung zu gefährden, was nur dem politischen Gegner nützen könne. Trotzdem wurden auf Grund von regionalen Konstellationen in insgesamt acht Kantonen Listenverbindungen mit grünen und linken Parteien eingegangen
[17].
Da das aus dem Jahr 1982 stammende Parteiprogramm die langfristigen Forderungen der SP noch immer gültig abdecke und die kurzfristigen in einer Reihe von bestehenden Konzepten ausführlich dargelegt seien, verzichtete die Partei auf ein Legislaturprogramm für die Jahre 1987–91. Ausserdem müssten nun den schönen Worten der Bürgerlichen endlich auch Taten folgen, welche von der SP schon lange angestrebt worden seien. Als Beleg dafür wurde, in Anlehnung an den "Umwelttarif" der Umweltschutzorganisationen, ein "Sozialtarif" erstellt, der auf Grund von Namensabstimmungen zu sozialpolitischen Vorlagen, die während der vergangenen Legislaturperiode behandelt worden waren, vor allem den SP-Politikern ein grosses soziales Engagement bescheinigte
[18].
Die SP büsste bei den Nationalratswahlen gegenüber 1983 nicht weniger als 4,4% Wählerstimmen ein und erreichte einen Anteil von noch 18,4%. Die Sitzzahl wurde dadurch von 47 auf 41 verringert, was ein historisches Tief seit der Einführung des Proporzwahlrechts im Jahre 1918 bedeutete. Dass dabei auch mehrere prominente Gewerkschafter die Wiederwahl nicht schafften, wurde in Verbindung mit dem mangelhaften, nicht auf die "Kerntruppen" der Arbeiterschaft ausgerichteten Profil der SP erklärt, die sich naiv als Zentrum einer neuen Mehrheit angepriesen habe. Insbesondere seien im Wahlkampf weniger die Wahlziele der Partei, als vielmehr die Stärkung verbündeter Gruppen im Vordergrund gestanden. Ausserdem leide die SP auch unter einem Imageproblem: Am Rand würden extreme Positionen wie die Abschaffung der Armee verteidigt oder die Selbstverwaltung gefordert, während das Zentrum keine sozialen Anliegen vertrete, welche den Wählern wichtig schienen. Die SP hätte sich auch in eine defensive Rolle drängen lassen, indem sie als Verteidigerin von Staat, Steuern und Bürokratie gelte und vor neuen Technologien, flexibler Arbeitszeit und wirtschaftlichem Strukturwandel warne.
Auch der Gewerkschafter Fritz Reimann betonte nach den Wahlen, die SP habe sich thematisch von den Sorgen der Arbeiter entfernt, und es würden vornehmlich akademische Fragen diskutiert. Er forderte deshalb die Gewerkschafter auf, wieder aktiver zu werden und auch die Personalpolitik in der Partei mitzubestimmen. R.H. Strahm, der schon bisher für eine geschlossenere, pragmatische Ausrichtung der Partei eingetreten war, warnte davor, die SP zu einem Sammelbecken für Minderheiten werden zu lassen, und forderte klarere Strukturen, ein neues Parteikader und eine bessere programmmatische Integration von drängenden wirtschaftspolitischen und ökologischen Problemen. Im Gegensatz dazu wehrte sich A. Gross dagegen, einfach ein neues "Management" einzusetzen und nur punktuell auf immer neue Probleme zu reagieren. Im Gegenteil sei eine kreative Auseinandersetzung mit den vielfältigen Problemen der Gegenwart nötig, wobei die SP modellhaft eine echte Demokratisierung vorleben müsse und nicht wie die andern "auf dem Zeitgeist mitsurfen" dürfe
[19].
Markante Verschiebungen bei der Anhängerschaft der SP ermittelte die VOX-Analyse. So ging der Anteil der Arbeiter unter den die SP wählenden Erwerbstätigen innert acht Jahren um die Hälfte auf noch 23% zurück; bezüglich der Altersstruktur wurde eine relative Verschiebung von den 40—65jährigen auf die ältere und die jüngere Generation festgestellt, wobei jedoch für die Erstwählenden die SP nicht attraktiv war
[20].
Die 1982 in Basel-Stadt von der SP abgespaltene Demokratisch-soziale Partei erhielt, nach der im Vorjahr erfolgten Gründung einer Schwesterpartei in Baselland, auch einen Ableger im Kanton Graubünden. Hier trennten sich nach den Nationalratswahlen sechs als gemässigt geltende Grossräte von Fraktion und Partei, um der von links-ökologisch orientierten Mitgliedern dominierten SP eine Alternative entgegenzustellen
[21].
[16] CdT, 15.1. und 23.1.87; TA, 15.1.87; TW, 17.1.87. Zu den Gründen, die zu diesem Resultat geführt haben, vgl. oben, Teil I, 1e (Wahlen in kantonale Regierungen).
[17] BZ, 1.9.87 (JUSO-Initiative); Presse vom 28.9.87 (Reichtumssteuer); BZ, 12.5.87 (Listenverbindungen; vgl. dazu auch oben, Teil I, 1e, Eidg. Wahlen: Listenverbindungen). Zum Wahlkampf der SP vgl. auch NZZ, 16.9.87; AT, 28.9.87.
[18] Profil/Rote Revue, 66/1987, Nr. 7/8 ("SP-intern"); Presse vom 28.9.87. Für programmatische Stellungnahmen vgl. auch die Broschüren: Auf die Dauer hilft nur Frauenpower, SPS-Dossier, Bern 1987; Forschungs- und Technologiepolitik. Positionspapier, Bern 1987.
[19] Ww, 22.10.87; NZZ, 27.10.87. Strahm: Ww, 29.10.87. Gross: Ww, 5.11.87. Reimann: Ww, 19.11.87.
[20] Vgl. Lit. Longchamp/VOX, S. 22 ff.
[21] Presse vom 4.11.87; BüZ, 5.11. und 12.12.87.
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