Année politique Suisse 1987 : Eléments du système politique / Structures fédéralistes
Beziehungen zwischen Bund und Kantonen und zwischen den Kantonen
Die mit dem
Vollzugsföderalismus entstehenden Probleme sind an sich nichts Neues. So bekunden viele Kantone seit Jahren Mühe, den Vorschriften des Zentralstaats über die Raumplanung innerhalb der gesetzten Fristen nachzukommen. Die Umweltschutzgesetzgebung andererseits ist ein Bereich, in welchem die Kontrolle der Einhaltung der vom Bund gesetzten Normen bei den Kantonen an personelle und finanzielle Schranken stösst. Neue Probleme ergaben sich im Berichtsjahr in der Asylpolitik, als von Kantonsregierungen (u.a. derjenigen Berns) gegen den Vollzug von Ausschaffungsentscheiden des EJPD Widerstand geleistet wurde. Die Tatsache, dass sich Vollzugsprobleme in der Regel in heftig umstrittenen Bereichen einstellen, ist ein Hinweis darauf, dass ihre Ursachen nicht nur finanzieller und technischer Natur sind, sondern oft auch im fehlenden politischen Willen zu suchen sind
[1].
Die ausgeprägt föderalistische – und politisch konservative – "Ligue Vaudoise" präsentierte einen Diskussionsvorschlag für einen neuen Verfassungsartikel, mit dem die Stellung der Kantone wieder gestärkt werden soll. Danach hätte jeder Kanton die Möglichkeit, zu verlangen, dass Bundeskompetenzen ganz oder teilweise auf ihn zurück übertragen werden. Die "Ligue Vaudoise" erkannte die ihrem Projekt innewohnende Gefahr, dass damit die eidgenössische Rechtsordnung zersplittert und der kantonale Egoismus übertrieben werden könnte. Sie will ihr dadurch begegnen, dass derartige Kompetenzabtretungen in jedem einzelnen Fall von der Zustimmung durch Volk und Stände abhängig gemacht würden
[2].
Auf einer wesentlich weniger grundlegenden Ebene ist das
zweite Paket von Massnahmen zur Neuverteilung von Aufgaben zwischen Bund und Kantonen anzusiedeln. Die 1986 in der Vernehmlassung manifestierte Opposition gegen die neue Lastenverteilung im Bereich der Invalidenversicherung (IV) war erfolgreich: Der Bundesrat beschloss, die Entflechtungsmassnahmen bei der IV auf Organisatorisches zu beschränken. Das Paket soll noch acht Gebiete umfassen, wobei das Hochschulförderungsgesetz den Schwerpunkt bilden wird. Ausgekoppelt und als eigene Vorlagen angekündigt wurden hingegen die Revisionen des Forst- und des Gewässerschutzgesetzes sowie der Rückzug des Bundes aus der Mitfinanzierung der Schulen für soziale Arbeit
[3].
Die Frage der Aufwertung von
Halbkantonen zu Kantonen wurde im Berichtsjahr erneut im Parlament behandelt. Nachdem 1979 und 1981 entsprechende Vorstösse an Bedenken über eine Gefährdung des Gleichgewichts zwischen deutsch- und französischsprachigen Kantonen gescheitert waren, hatte Ständerat Miville (sp, BS) 1983 eine neue parlamentarische Initiative eingereicht. Diese beschränkte sich auf eine Aufwertung von Baselstadt. Die kleine Kammer lehnte diesen Vorstoss mit 36:3 Stimmen deutlich ab, da es nicht angehe, einen einzelnen Halbkanton zu bevorzugen. Anzumerken ist, dass in Basel selbst in dieser Frage keine Einigkeit herrscht: Der Grosse Rat überwies gegen den Willen der Regierung einen Vorstoss, der die Streichung des Verfassungsartikels über die Wiedervereinigung mit Baselland verlangt. Erst dieser Verzicht würde es Basel erlauben, den Wunsch nach Anerkennung als Vollkanton überzeugend und ohne Vorbehalte vorzutragen
[4].
In
Genf formierten sich zwei Organisationen, welche die Loslösung des Kantons aus dem schweizerischen Bundesstaat propagieren wollen. Die wirtschaftliche Stärke, die spezielle geographische Lage und die eigene politische Kultur des Stadtkantons mögen wichtige Voraussetzungen für das Entstehen derartiger Ideen bilden. Aber auch die seit einiger Zeit von Genfer Politikern beklagte ungenügende Berücksichtigung Genfs in der eidgenössischen Politik (z.B. bei den Subventionen für den Flughafenausbau oder bei den Bundesratswahlen) ist dabei von Bedeutung. Brennend scheint das Problem allerdings nicht zu sein; die beiden Gruppen, deren Initianten nicht zur politischen Prominenz zählen, hatten bisher weder grossen Zulauf, noch haben sie nennenswerte Aktivitäten entfaltet
[5].
Bei der
grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen schweizerischen Kantonen und regionalen Einheiten der Nachbarstaaten waren 1987 weitere Fortschritte zu verzeichnen: Die Kantone Genf, Waadt und Wallis schlossen sich mit zwei französischen Departementen zu einem "Genferseerat" zusammen. Erste materielle Verhandlungen wurden auf dem Gebiet der Verkehrspolitik in Angriff genommen. Ahnliche Institutionen zur regelmässigen Zusammenarbeit bestehen bereits in den Regionen Nordwestschweiz-Basel, Jurakantone und Alpengebiete
[6].
Die "Europäische Charta der
kommunalen Selbstverwaltung" wird einstweilen dem Parlament nicht zur Ratifikation vorgelegt. Nach den negativen Reaktionen in der 1986 durchgeführten Vernehmlassung beauftragte der Bundesrat das EDA mit der Vornahme von zusätzlichen Abklärungen
[7].
[1] Zu den entsprechenden Sachzusammenhängen siehe unten, Teil I, 6c (Raumplanung), 6d (Umweltpolitik) und 7d (Réfugiés). Zum Konflikt zwischen EJPD und Berner Regierung siehe auch BZ, 17.1.87. Allgemein zum Vollzugsföderalismus siehe W. Linder, Politische Entscheidung und Gesetzesvollzug in der Schweiz, Bern 1987, S. 224 ff.
[2] NZZ, 19.1.87; NHG-Mitteilungen, 1987, Nr. 1, S. 35.
[3] BZ, 31.7. und 10.11.87. Zur Vernehmlassung vgl. SPJ, 1986, S. 26 f. Zu den Schulen für soziale Arbeit siehe auch unten, Teil I, 8a (Formation professionnelle).
[4] Amtl. Bull. StR, 1987, S. 980 ff.; BaZ, 11.2., 26.2., 9.4.und 25.5.87; vgl. auch StR Rhinow (fdp, BL) in BaZ, 18.12.87.
[5] 24 Heures, 26.1., 13.2. und 16.6.87; Suisse, 9.12.87. Das Rassemblement jurassien sah in den sezessionistischen Genfern potentielle Bundesgenossen und widmete ihnen eine grosse Besprechung (Jura libre, 5.2.87). Siehe dazu auch SPJ, 1986, S. 27, Anm. 5.
[6] 24 Heures, 18.2., 20.2. und 24.11.87; BaZ, 19.2.87; JdG, 25.2.87.
[7] NZZ, 29.9.87. Zu Inhalt und Vernehmlassung der Charta siehe SPJ, 1986, S. 27 f.
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