Année politique Suisse 1987 : Economie / Agriculture / Agrarpolitik
In seinen agrarpolitischen Leitlinien und anderen
programmatischen Entwürfen nennt der
Schweizerische Bauernverband (SBV) als vordringliche Aufgabe die Sanierung des namentlich in den Bereichen Milch, Fleisch und Getreide übersättigten Marktes mittels Selbsthilfemassnahmen. Flankierend dazu erwartet er von Seiten des Bundes eine Allgemeinverbindlichkeits-Erklärung der entsprechenden Verbandsbeschlüsse. Weiter signalisiert der SBV eine Öffnung gegenüber Direktzahlungen, auch wenn er primär an der Einkommenssicherung über den Preis festhalten will. Bezüglich der Direktzahlungen schränkt er allerdings ein, dass diese nicht generell sein dürfen, da ihnen sonst ein Geruch von Almosen anhafte; sie müssten vielmehr gezielt und mit ökologischen Auflagen erfolgen. Mit diesen beiden Massnahmen hofft der SBV, den landwirtschaftlichen Markt sanieren zu können, vorausgesetzt, diese Bestrebungen werden nicht durch Billigimporte unterlaufen. Er verlangt daher vom Bund entsprechende handelspolitische Eingriffe. Diese Trendwende beim SBV schlug sich bei der jährlichen Eingabe zur Einkommenssicherung an den Bundesrat nieder: Der SBV verzichtete aufgrössere Preisforderungen und begehrte statt dessen Unterstützung bei den Selbsthilfemassnahmen und Direktzahlungen nach Art. 19 des Landwirtschaftsgesetzes (LWG) an kleinere und mittlere Bauernbetriebe. Die Landesregierung trat nur auf die Forderungen nach Direktzahlungen ein und lehnte die anderen Begehren aus rechtlichen und politischen Gründen – wie der Uruguay-Runde des GATT, befürchteten Gegenmassnahmen von aussenpolitischen Handelspartnern sowie der Opposition der Importeure und Konsumenten – ab. Dies führte beimSBV zu einer Ernüchterung, welche sich Ende Jahr in erneuten, diesmal wieder traditionellen Preisforderungen niederschlug
[1].
Für eine
Ausweitung der Direktzahlungen sprach sich auch die FDP-Fraktion der Bundesversammlung in ihren Agrar-Thesen aus: Diese sollen als Gegenleistung für ein umweltgerechtes Produktionsverhalten im Rahmen der Oberziele der Agrarpolitik (Vorsorge für Zeiten gestörter Zufuhr, Schutz und Pflege der Kulturlandschaft, Erhaltung der dezentralen Besiedlungsstruktur) verstanden werden. Ein weiteres Instrument gegen die Überproduktion und zur Förderung der Extensivierung der Landwirtschaft sehen die Freisinnigen in der Einführung von Vorzugspreisen für Qualitätserzeugnisse aus umweltgerechter Produktion. Beide Konzepte bedürfen ihrer Meinung nach einer aussenhandelspolitischen Absicherung
[2].
Ebenfalls und schon Jahre vor der FDP sieht der LdU in Direktzahlungen ein Instrument zur Drosselung der Überproduktion. Nach seinen Vorstellungen soll eine Reform der Landwirtschaftspolitik dahingehend durchgeführt werden, dass das bäuerliche Einkommen nicht mehr zur Hauptsache über den Preis garantiert, sondern durch produktionsunabhängige Direktzahlungen ergänzt wird. Diese sollen an ökologische und strukturpolitische — im Sinne der Erhaltung einer dezentralen Besiedlung des Landes — Auflagen gebunden sein. Finanziert werden könnten diese Beiträge mit Abgaben auf Düngemitteln und Agrochemikalien sowie mit einer Umlagerung der bisherigen Landwirtschaftssubventionen. Zur Realisierung dieser Reform bedarf es nach dem LdU Grenzschutzmassnahmen gegen Dumpingpreise. Diese Forderungen werden in ähnlicher Form ebenfalls vom Konsumentinnenforum der deutschen Schweiz erhoben
[3].
Radikaler als die oben genannten agrarpolitischen Reformvorstellungen sind jene der Gruppe Neue Agrar Politik (NAP), welche sich aus Personen der Grünen, des LdU und der SPS sowie von Umweltschutzorganisationen (SBN, SGU, WWF) und Biolandbau-, Drittwelt- und Konsumentenorganisationen zusammensetzt. Deren Sympathien für differenzierte Preise — anstelle von Direktzahlungen — sind offensichtlich. Mit der Lancierung einer eigenen Volksinitiative will sie noch zu warten bis zur Volksabstimmung über die Kleinbauern-Initiative
[4].
Die Vereinigung zum Schutze der kleinen und mittleren Bauern (
VKMB) sah sich mit ihrem
Konzept der Preisdifferenzierung durch die sich anbahnende Konsensfindung der meisten Agrarpolitiker in Richtung von vermehrten Direktzahlungen stark in die Defensive gedrängt. Als ungerecht empfand sie ferner die von den verschiedenen landwirtschaftlichen Verbänden beschlossenen Selbsthilfemassnahmen und rief daher ihre Mitglieder auf, diese zu boykottieren; es sei nicht Sache der kleinen und mittleren Bauern, die Fehler der Grossbauern auszubaden. Ungehalten zeigte sich die VKMB auch über eine Äusserung des Vizedirektors des SBV, Hans Dickenmann, wonach der schweizerischen Landwirtschaft besser mit weniger, aber existenzfähigen Bauernbetrieben gedient sei. In einer Protestresolution verlangten die Kleinbauern die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission, welche abkläre,.wo in der Agrarpolitik dem LWG – speziell dem Grundsatz der Erhaltung eines gesunden Bauernstandes – zuwidergehandelt wurde, wer dies zu verantworten habe und wie die Fehlentwicklung rückgängig gemacht werden könne
[5].
[1] BZ, 3.1.87; LID-Pressedienst, 1482, 20.2.87; 1521, 20.11.87; BaZ, 7.3., 24.3. und 9.5.87; LID, Dok., 279, 17.11.87; Presse vom 18.11.87; Der Monat in Wirtschaft und Politik, 1987, Nr. 10. Siehe auch SGT, 8.4.87; wf, AD, 15, 11.4.87 und 28, 13.7.87; Ww, 28.5.87; wf, KK, 30, 27.7.87; TAM, 14.11.87. Direktzahlungen: SHZ, 17.9.87; NZZ, 10.11.87. Der Ständerat überwies eine Motion Debétaz (fdp, VD), welche die von den Produzenten eingeleiteten Selbsthilfemassnahmen als allgemeinverbindlich erklären wollte, nur als Postulat (Amtl. Bull. StR, 1987, S. 156 ff.; Presse vom 20.3.87. Siehe auch unten (tierische Produktion) und Teil IIIb (Einleitung). Vgl. ferner SPJ, 1986, S. 96 f.
[2] Agrar-Thesen der FDP-Fraktion der Bundesversammlung", in Politische Rundschau, 66/1987, Nr. 2; Presse vom 27.5.87.
[3] LdU: BaZ, 29.1.87; LNN, 31.1.87; Freitung, 3.4.87; SZ, 2.9.87; Ww, 12.12.87; Der Monat in Wirtschaft und Politik, 1987, Nr. 10. Siehe ferner die als Postulat überwiesene Motion Jäger (Idu, SG) für eine Lenkungsabgabe auf landwirtschaftlichen Hilfsstoffen (Amtl. Bull. NR, 1987, S. 988 f.) sowie jene der LdU/EVP-Fraktion für eine Landwirtschaft ohne Gift (Amtl. Bull. NR, 1987, S. 987). Konsumentinnenforum: BaZ, 30.6.87. Siehe auch die Stellungnahmen der übrigen Parteien zur Landwirtschaftspolitik: Bund, 29.4.87; wf, Dok., 35, 31.8.87 (Beilage); NZZ, 31.8.87; TA, 9.9.87; LID-Pressedienst, 1511, 11.9.87. Vgl. ferner SPJ, 1986, S. 96.
[4] SZ, 21.1.87; TA, 22.1.87; WoZ, 20.2. und 18.12.87; Ww, 29.10.87.
[5] Presse vom 26.1.87; Gnueg Heu dune!, 1987, Nr. 2 und 3; Vat., 30.12.87. Siehe auch das Votum des Freiburger Sozialdemokraten Piller zu den Selbsthilfemassnahmen (Amtl. Bull. StR, 1987, S. 158) und die Interpellationen Zwygart (evp, BE) und Piller (sp, FR) betreffend die Verfassungsmässigkeit der Landwirtschaftspolitik (Amtl. Bull. NR, 1987, S. 1515 ff. und Amtl. Bull. StR, 1987, S. 327 f.) sowie SPJ, 1986, S. 96.
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