Année politique Suisse 1988 : Partis, associations et groupes d'interêt / Associations et autres groupes d'interêt / Arbeitnehmer
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Frauen und Gewerkschaft
Am 16. April beschlossen in Bern rund 60 Frauen, welche zu einem Teil bisher innerhalb des SGB aktiv gewesen waren, die Gründung einer Frauengewerkschaft Schweiz (FGS). Als wichtiges Motiv für die Gründung wurde die Frustration über die mangelhafte Berücksichtigung von Frauenanliegen durch die bestehenden Gewerkschaften genannt. An der Versammlung anwesende prominente Gewerkschafterinnen bekundeten zwar ihr Verständnis für diese Unzufriedenheit, sie warnten aber davor, dass die Neugründung zu einer Spaltung und damit zu einer Schwächung der gewerkschaftlich und feministisch engagierten Frauen führen könnte [29]. Gemäss ihrer Programmplattform wollen die Initiantinnen den Arbeitsbegriff erheblich weiter fassen als die Gewerkschaften und auch die Interessen der nichterwerbstätigen Frauen vertreten. Die in der Plattform angeführten Forderungen erstrecken sich weit über das traditionelle gewerkschaftliche Kampfgebiet des Arbeitsmarktes hinaus und umfassen auch Bereiche wie Landesverteidigung, Frieden, Entwicklungspolitik, Bildung, Energie, Forschung und Sexualstrafrecht. Welche Strategie die neue Gewerkschaft, die weder an den SGB noch an einen andern Dachverband angeschlossen ist, anwenden und an wen sie ihre Forderungen richten wird, blieb noch unklar. Nicht bloss von Gewerkschaftsseite wurde eingewendet, dass angesichts der Breite des Forderungsspektrums der FGS eher die Gründung einer Frauenpartei angebracht gewesen wäre. Auf diesen Vorwurf entgegneten die Gründerinnen, dass sie Parteistrukturen und Parlamentarismus nicht für geeignete Mittel zur Herbeiführunp von wirklichen Veränderungen halten [30]. Bis zum Jahresende konnte die neue Organisation ihren Mitgliederstand auf 300 erhöhen, wobei sich darunter nach eigenen Angaben viele Frauen befinden, die bisher weder politisch noch gewerkschaftlich aktiv gewesen sind. Die Tätigkeitsschwerpunkte lagen einstweilen im Aufbau einer internen Struktur und in der Erarbeitung von Positionen zu verschiedenen Themen [31].
Der Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) stellte die Gleichberechtigung der Geschlechter am Arbeitsplatz ins Zentrum seines Jahreskongresses vom 23.–25. Juni in Zürich. Er verabschiedete einen umfangreichen Katalog von Frauenförderungsmassnahmen und kündigte an, dass er sein Engagement in Bereichen mit besonders tiefen Löhnen und hohem Frauenanteil, wie etwa dem Gesundheitswesen, verstärken will. Aber auch organisationsintern sollen die Frauen vermehrt zum Zuge kommen. Als erste Gewerkschaft der Schweiz beschloss der VPOD eine Quotenregelung bei der Besetzung der Leitungsgremien: Die Frauen sollen in Zukunft in der Geschäftsleitung und im Vorstand mindestens entsprechend ihrem Mitgliederanteil (zur Zeit 22%) vertreten sein. Ein weiter gehender Antrag, der diese Quote auf mindestens 40% festlegen wollte, wurde hingegen deutlich abgelehnt [32].
 
[29] TW, 12.4., 18.4., 20.4. und 23.4.88 (R. Dreyfuss); Presse vom 18.4.88. Vgl. auch oben, Teil I, 7d (Condition de la femme).
[30] FGS–Frauengewerkschaft Schweiz, Plattform, Bern 1988 sowie Lit. Engeloch. Vgl. auch S. Brander in WoZ, 22.4.88.
[31] TA, 19.11.88; NZZ, 28.12.88. Siehe auch WoZ, 9.9.88.
[32] Presse vom 24.6., 25.6. und 27.6.88; VPOD – Les services publics, 19.5., 23.5., 30.6. und 7.7.88. Siehe auch WoZ, 24.6.88.