Année politique Suisse 1988 : Chronique générale / Résumé / Jahresthemen — Faits marquants
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Auto-Partei
Was sich bei den Nationalratswahlen vom Herbst 1987 angekündigt hatte, ist im Berichtsjahr eingetreten: Der 1985 gegründeten Auto-Partei ist bei ihrem erstmaligen Auftreten bei kantonalen und kommunalen Wahlen ein Durchbruch gelungen, welcher sich durchaus mit demjenigen der Grünen in den beiden Vorjahren vergleichen lässt. Sie zog in St. Gallen, Thurgau und Schaffhausen in Fraktionsstärke in die kantonalen Parlamente ein. Die Wahlen in den Städten Bern, Biel und vor allem St. Gallen zeigten zudem, dass sich ihre Erfolge keineswegs auf ländliche Gebiete mit einem hohen Anteil an motorisierten Pendlern beschränken. Dass aber dieses Auftauchen einer neuen Partei, die gleich bei ihren ersten Auftritten bis zu 11% der Stimmen auf sich vereinigen konnte, die politische Szene erschüttert hätte, lässt sich nicht behaupten. Anders als etwa bei den Erfolgen der nationalistischen Rechten zu Beginn der 70er Jahre, reagierten die Medien und die Politiker eher mit kopfschüttelnder Irritation als mit Entsetzen und Alarmrufen.
Für das rasche Aufkommen neuer Parteien bietet das politische System der Schweiz – zumindest auf kantonaler und kommunaler Ebene – in der Regel eine recht gute Ausgangslage. Ein Grund dafür besteht in der relativen Bedeutungslosigkeit der Parlamente, welche nur einen geringen und indirekten Einfluss auf die Zusammensetzung der Regierungen haben und deren sachpolitische Entscheide zumeist dem obligatorischen oder fakultativen Referendum unterstehen. Diese relative Machtlosigkeit der Parlamente und die Konkordanzpolitik der grossen Parteien führen dazu, dass den Parlamentswahlen nicht die Bedeutung eines entscheidenden Kampfs um politische Mehrheiten zukommt und ihr Ausgang nur beschränkte Auswirkungen auf die zukünftige Politik hat. Sie werden denn auch von einem Teil der Bürgerinnen und Bürger als Gelegenheit wahrgenommen, ein Votum für diejenige Partei abzugeben, welche der aktuellen persönlichen Befindlichkeit am besten entspricht. Und dies sind dann eben nicht selten neue Parteien, die den Eindruck vermitteln, sich als erste oder gar als einzige mit einem aktuellen Thema zu befassen. Ein historischer Rückblick zeigt aber auch, dass es in den letzten Jahrzehnten nirgends einer dieser neuen Parteien gelungen ist, über mehrere Legislaturperioden hinweg einen Stimmenanteil von deutlich über 10% zu erzielen und damit entscheidend in die Phalanx der etablierten Parteien einzubrechen.
Dass nach dem Landesring in den 30er und vor allem in den 60er Jahren, der nationalistischen Rechten in den Siebzigern und den Grünen seit Beginn dieses Jahrzehnts nun eine Auto-Partei erfolgreich ihr Debüt auf der politischen Bühne gibt, hängt aber auch mit politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zusammen. Mit der organisatorischen Formierung einer radikalen Opposition gegen die auch von den bürgerlichen Parteien mitgetragenen Entscheidungen zum Schutz der Umwelt musste eigentlich gerechnet werden. Zudem kann es im Grunde kaum erstaunen, wenn im reichsten Land Europas, in dem für die Mehrheit der Bevölkerung das Interesse an öffentlichen Angelegenheiten hinter die uneingeschränkte Befriedigung der individuellen Konsum- und Freizeitbedürfnisse zurückgetreten ist, eine Partei gewisse Erfolge hat, die sich plakativ dieses zweite Ziel auf die Fahnen geschrieben hat.
Die gelassene Reaktion der politischen Elite auf die Erfolge der Auto-Partei mag mit der 'bürgerlichen Normalität' von deren Ideologie und dem damit ausgelösten Déjà-vu-Effekt zusammenhängen. Darüber können auch die fremdenfeindlichen Tupfer in ihren Stellungnahmen zur Asylpolitik – die bisher eher Dissens innerhalb der Partei denn Propagandawirkung nach aussen erzeugt haben – nicht hinwegtäuschen. Mit ihren Tiraden gegen die reglementierende Allmacht des Staates übernimmt die Auto-Partei die vom Schweizerischen Gewerbeverband seit Jahrzehnten vertretene Politik und erinnert zugleich den Freisinn an die populäre Kurzfassung seiner gar nicht so alten Wahlkampfparole «mehr Freiheit, weniger Staat». Auch das andere Element der politischen Argumentationslinie, der Kampf für die Interessen der Automobilisten, ist alles andere als neu und war bisher bei den mitgliederstarken Interessenverbänden TCS und ACS gut aufgehoben.
Die politische Leistung der Gründer der Auto-Partei – und darin unterscheiden sie sich zum Beispiel von den Grünen – besteht also nicht darin, neue Themen oder zumindest neue Lösungsvorschläge in die Politik eingebracht zu haben. Ihr 'Verdienst' ist vielmehr darin zu sehen, dass es ihnen gelungen ist, die beiden Protestpotentiale des gewerblichen Kampfes gegen staatliche Vorschriften einerseits und der über neue umweltschutzpolitische Vorschriften verärgerten Automobilisten andererseits unter einen Hut gebracht zu haben. Beide Protestgruppen hatten bisher bei Abstimmungskämpfen ihr beträchtliches Potential mehrfach demonstriert. Während die gewerblichen Anti-Etatisten ihre politische Heimat bei den bürgerlichen Parteien gefunden hatten, liess sich das Protestpotential der Automobilisten zwar für Sachfragen wie Tempolirniten und Motorfahrzeugsteuern, kaum aber für parteipolitisches Engagement mobilisieren.
Als eigentlich originelle Leistung der Auto-Partei, die eine Weltpremiere darstellt und bereits ihre Nachahmer in der BRD und in Italien gefunden hat, muss daher ihre ganz und gar nicht zufällige Namensgebung angesehen werden. Mit dem Verzicht auf einen politisch besetzten abstrakten Begriff wie etwa Freiheit oder Fortschritt will sie erklärtermassen die frustrierten, politisch aber nicht interessierten Automobilisten ansprechen. In dieselbe Richtung zielt auch das Rambo-Vokabular einiger Parteiführer. Wer die politischen Gegner mit Entlaubungsmitteln und Flammenwerfern bekämpfen will, spricht – auch wenn dies nur bildlich gemeint ist – ein anderes Publikum an als die herkömmlichen rechtsbürgerlichen Politiker. Dass diese Strategie erfolgreich ist, zeigen nicht nur die Wahlerfolge der Auto-Partei, sondern auch eine Analyse ihrer Sympathisanten: diese sind überwiegend jung und männlichen Geschlechts.
Bei allen Erfolgen der Auto-Partei muss doch gesagt werden, dass durch sie weder der Staat als Ganzes noch die Vorherrschaft der bisherigen Regierungsparteien herausgefordert sind. Dazu ist ihre Ideologie zu konventionell, ihr Wähleranteil zu gering und ihre Elite mit zu wenig politischem Format ausgestattet. Herausgefordert sind jedoch die bürgerlichen Parteien, welche bisher die Zeche der Wahlgewinne der Auto-Partei mit zum Teil erheblichen Stimmen- und Mandatsverlusten zu begleichen hatten. Für sie stellt sich – ähnlich wie für die SP mit umgekehrten Vorzeichen in den 70er Jahren – die Frage, wie sie dem Einbruch auf ihrem rechten Parteiflügel begegnen wollen. Die Wahlresultate von 1988 deuten darauf hin, dass eine Kurskorrektur nach rechts keine Gewähr gegen die Erfolge der Auto-Partei bietet, sondern eher den aggresiveren und unverbrauchten Newcomern der neuen Konkurrenzpartei Auftrieb gibt.