Année politique Suisse 1988 : Eléments du système politique / Institutions et droits populaires
Parlament
Die Arbeit der Legislative stand weiterhin im Zeichen der Zeitnot. Nach der Ansicht von Kritikern der Organisation und der Arbeitsprinzipien des eidgenössischen Parlaments wirkt sich dieser Zustand negativ auf die fachliche Kompetenz und die Qualität der Entscheidungen aus. Die passive Rolle der Legislative bei der Aufdekkung der Vorgänge im EJPD und insbesondere die Wahl von E. Kopp zur Vizepräsidentin durch die Bundesversammlung gab derartigen Urteilen Auftrieb. Das Parlament selbst trug diesen Kritiken insofern Rechnung, als es einerseits einem Ausbau der Parlamentsdienste zustimmte und sich andererseits eine Verbesserung der Entschädigungen genehmigte.
Eine Untersuchung durch beigezogene auswärtige Experten hatte eine recht grosse Unzufriedenheit der Parlamentarier mit ihren Arbeitsbedingungen und dem Dienstleistungsangebot der Parlamentsdienste belegt. Die Büros der beiden Räte beantragten deshalb mit einer parlamentarischen Initiative die
Einrichtung von persönlichen Arbeitsplätzen für die Abgeordneten sowie organisatorische und arbeitstechnische Änderungen bei den
Parlamentsdiensten. Von letzteren wurde insbesondere die vermehrte Nutzung der Möglichkeiten der Informatik gefordert. Mit dem Vorschlags- und Mitspracherecht bei der Wahl des Führungspersonals der Parlamentsdienste und der Bildung einer parlamentarischen Aufsichtskommission soll die Stellung der Benutzer verbessert werden. Das Parlament hatte es eilig, diese Vorschläge in die Tat umzusetzen. Bereits in der nächstmöglichen Session wurden sie von beiden Räten behandelt und verabschiedet. Die Rückweisungsanträge der Sozialdemokraten, denen diese Gangart zu schnell und zu wenig überlegt war, hatten keinen Erfolg. Überwiesen wurde ebenfalls eine Motion Rebeaud (gp, GE), welche verlangt, dass nach zwei Jahren eine Evaluierung vorzunehmen ist
[23].
Neben den Dienstleistungen der Parlamentsdienste und der Raumfrage ist auch die Zeit, welche die Parlamentarier für ihre Arbeit einsetzen können, von Bedeutung für die Qualität dieser Arbeit. Diese Zeit steht bei einem Nichtberufsparlament in Zusammenhang mit der ausgerichteten Entschädigung. Die Büros der beiden Kammern beantragten eine Revision des Bundesgesetzes über die Bezüge der Mitglieder der eidgenössischen Räte lind über die Beiträge an die Fraktionen. Am System, dass die Parlamentarier nicht entlöhnt werden, sondern Entschädigungen in Form von Jahrespauschalen, Taggeldern und Spesen erhalten, wurde festgehalten. Grundsätzlich neu war am Revisionsvorschlag jedoch, dass ihnen auch ein Beitrag an die berufliche Vorsorge auszurichten sei. Diese Neuerung und auch die Tatsache, dass nicht die Taggelder, sondern die
Jahrespauschale substantiell erhöht wird (von Fr. 16 500 auf 30 000), weist darauf hin, dass die Parlamentsarbeit auf Bundesebene zumindest als Teilzeitarbeit anerkannt wird. Diese Einschätzung teilten auch die beiden Kammern, welche die Vorlage praktisch oppositionslos guthiessen. Obwohl man sich einig war, dass für ein Parlamentsmandat rund 50% der Arbeitszeit aufgewendet werden muss, wurde die Frage der Umwandlung in ein Berufsparlament aus der Diskussion ausgeklammert. Mehrere Redner äusserten sich dazu immerhin indirekt durch die Betonung der Vorzüge des Milizparlaments
[24].
Bestrebungen zur Umwandlung der Bundesversammlung in ein
Berufsparlament bestehen hingegen innerhalb der politischen Linken. Die Jungsozialisten beschlossen an ihrer Delegiertenversammlung, dem Parteitag der SPS die Lancierung einer entsprechenden Volksinitiative vorzuschlagen, die zudem ein Verbot für die Ausübung von Verwaltungsratsmandaten für die Abgeordneten bringen würde. Die Mutterpartei versagte diesem Vorstoss und auch der von derselben Seite vorgebrachten Forderung nach Abschaffung des Ständerates die Unterstützung
[25].
Der Nationalrat schloss als Zweitrat die im Vorjahr begonnenen Verhandlungen über die
Revision des Geschäftsverkehrsgesetzes ab. Im anschliessenden Differenzbereinigungsverfahren verzichtete der Ständerat auf die vom Nationalrat nur lau unterstützte "gemeinsame Erklärung" zu wichtigen politischen Ereignissen. Die gewichtigsten Meinungsunterschiede bestehen weiterhin in der Frage der sogenannt unechten Motionen. Die kleine Kammer hielt an ihrem Vorschlag fest, wonach Motionen auf diejenigen Bereiche zu beschränken sind, welche in die Kompetenz der Legislative fallen, und lehnte den weniger restriktiven Kompromissvorschlag des Nationalrats ab. Das vom Ständerat anlässlich der ersten Beratung kreierte Instrument der "Empfehlung" wurde von ihm nun wieder fallengelassen, nachdem der Nationalrat diesen Ersatz für sogenannt unechte Motionen nicht akzeptiert hatte
[26].
Über die Vorschläge der vorberatenden Kommission des Nationalrats zur besseren Integration des Parlaments in die politische Planung haben wir im Zusammenhang mit den Regierungsrichtlinien berichtet
[27]. Nach der Volkskammer hiess auch der Ständerat die formelle Festschreibung des Verfahrens bei Abstimmungen über Initiative und Gegenvorschlag im Parlament gut
[28].
[23] BBl, 1988, III, S. 69 ff.; Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1296 ff. und 1527; Amtl. Bull. StR, 1988, S. 674 ff. und 744; AS, 1989, S. 257 ff.; NZZ, 20.8.88; SPJ 1987, S. 30.
[24] BBl, 1988, I, S. 1430 ff.; Amtl. Bull. StR, 1988, S. 65 ff. und 119 f.; Amtl. Bull. NR, 1988, S. 367 ff. und 473 f.; AS, 1988, S. 1162 ff. Vgl. auch SPJ 1987, S. 30.
[25] NZZ, 20.6. und 10.10.88; Vr, 10.10.88.
[26] Amtl. Bull. NR, 1988, S. 379 ff.; Amtl. Bull. StR, 1988, S. 429 ff. Zu den Beschlüssen des NR siehe SPJ 1987, S. 30.
[27] Siehe oben, Regierung.
[28] Amtl. Bull. StR, 1988, S. 404 und 744; AS, 1989, S. 260 f.; vgl. SPJ 1987, S. 33.
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