Année politique Suisse 1988 : Infrastructure, aménagement, environnement / Protection de l'environnement
Abfälle
Neben der Luftreinhaltung war das Abfallproblem der zweite umweltpolitische Schwerpunkt des Jahres 1988, wobei das Leitbild für die schweizerische Abfallwirtschaft von 1986 wegweisend war. Das EDI schickte den
Entwurf der technischen Verordnung über Abfälle (TVA), welche die Zielsetzungen dieses Leitbildes konkretisiert, in die Vernehmlassung. Die neuen Vorschriften sollen es den Vollzugsbehörden ermöglichen, in verstärktem Mass auf die Abfallentsorgung und die Erstellung von Abfallanlagen Einfluss zu nehmen und eine wirtschaftliche und umweltgerechte Abfallbewirtschaftung zu gewährleisten. Neben der Separatsammlung von wiederverwertbaren und kompostierbaren Stoffen sieht die TVA vor, dass insbesondere auch die Sonderabfälle durch geeignete Behandlungsverfahren so aufbereitet werden, dass sie entweder dem Recycling zugeführt oder in Deponien ohne Gefährdung der Umwelt endgelagert werden können. Die technischen Anforderungen an Kehrichtverbrennungsanlagen, Sondermüllverbrennungsöfen und an die verschiedenen Deponietypen sowie die nötigen Vorschriften betreffend Bewilligung, Bau, Betrieb und Kontrolle der Anlagen nehmen in der TVA breiten Raum ein. Ferner sollen die Kantone verpflichtet werden, innert fünf Jahren eine Planung über das Verwerten, Behandeln und Deponieren der Abfälle zu erstellen
[43].
Ein wichtiges Ziel des Abfall-Leitbildes ist die
Begrenzung des Abfallaufkommens an der Quelle. Angesichts der ständig wachsenden Müllberge waren seit den 80er Jahren immer wieder entsprechende Massnahmen gefordert worden. Nachdem im Bereich der Getränkeverpackungen Verhandlungen mit der betroffenen Branche über eine freiwillige Senkung des Verbrauchs von Wegwerfgebinden und zur Förderung der Retourflaschen gescheitert waren, bereitete das BUS eine diesbezügliche Verordnung vor. Sie soll sicherstellen, dass in Zukunft der überwiegende Anteil der kohlensäurehaltigen Getränke (Süssgetränke, Mineralwasser und Bier) in
Mehrweggebinden abgepackt wird. Zudem ist ein Verbot von Getränkedosen aus Aluminium und Weissblech sowie von PVC-Verpackungen vorgesehen. Nicht zuletzt aufgrund der vehementen Kritik seitens der Getränkeabfüllindustrie wurden dagegen die im Verkaufspreis enthaltene Entsorgungsgebühr und die Erhebung eines Pfandes auf Einwegverpackungen unter 0,4 Liter Inhalt fallengelassen
[44].
Zwar erlaubt die 1987 in Kraft getretene
Verordnung über den Verkehr mit Sonderabfällen (VVS) das lückenlose Erfassen und die Kontrolle des in der Schweiz anfallenden Sondermülls, doch fehlen die in der TVA vorgesehenen Anlagen zur umweltgerechten Entsorgung noch weitgehend. Eine Statistik des BUS über die Ausfuhr von Sondermüll ergab, dass 1988 rund ein Drittel dieser Abfälle exportiert wurde. Gegenüber dem Vorjahr war zudem eine markante Zunahme der Exporte von 67 600 auf 110 000 Tonnen (+62%) zu verzeichnen, wobei diese zu über 95% in Mitgliedstaaten der EG gelangten
[45]. Obwohl das BUS keine Sondermüllausfuhr in Länder der Dritten Welt gestattete, waren auch Schweizer Firmen in entsprechende Skandale verwickelt
[46]. Um zu verhindern, dass Entwicklungsländer zum Giftmüllkübel der Industriestaaten werden, wurde auf Initiative der Schweiz eine UNO-Konvention zur internationalen Kontrolle des Transports gefährlicher Abfälle vorangetrieben
[47].
Erklärte Absicht der Bundesbehörden ist es, die Abfälle in Zukunft primär in der Schweiz zu entsorgen. Nur so lassen sich Anforderungen an eine umweltgerechte Behandlung und eine lückenlose Kontrolle durchsetzen und die Auslandabhängigkeit abbauen. Zudem werden die verschärften Restriktionen bei der Entgegennahme von Sondermüll zur Verbrennung auf hoher See — diese Art der Abfallbeseitigung soll 1994 eingestellt werden — kurzfristig zu empfindlichen
Kapazitätsengpässen in der Schweiz führen
[48]. Ein Konzept über Bedarf und Standorte von Anlagen zur Behandlung von Sonderabfällen liegt vor. Projekte für die dringend benötigten Verbrennungsanlagen und Deponien werden von der Bevölkerung jedoch überall bekämpft, und die Gespräche von Bund und Kantonen über die Realisierung entsprechender Anlagen brachten bisher keine Lösung
[49]. Unter dem Druck des sich zuspitzenden Entsorgungsnotstands überwiesen beide Kammern des Parlaments diskussionslos eine Motion von Nationalrat Büttiker (fdp, SO), die den Bundesrat beauftragt, unverzüglich die gesetzlichen Grundlagen für die Sicherstellung des Betriebes von Hochtemperatur-Verbrennungsanlagen für Sonderabfälle zu schaffen. Durch eine Revision des USG müsse der Bund die Kompetenz erhalten, die Benutzungspflicht für Anlagen im Inland einzuführen und den einzelnen, regional verteilten Anlagen Einzugsgebiete zuzuweisen (Abgabe- und Annahmepflicht für Sonderabfälle)
[50].
[43] Presse vom 27.8.88; BUS-Bulletin, 1988, Nr. 3, S. 12 ff.; vgl. TA, 19.3.88; Presse vom 26.8.88; SPJ 1986, S. 145 f. (Leitbild) und 1987, S. 175 f.
[44] Gesch.ber. 1988, S. 134; TA, 16.11.88; vgl. SPJ 1987, S. 175. Kritik: Ww, 28.1.88; TA, 11.2.88; SHZ, 25.2., 8.9. und 24.11.88. Siehe auch Amtl. Bull. NR, 1988, S. 422 f., 487 f., 944 ff. und 1992; BZ, 15.3.88; Bund, 21.3.88.
[45] BUS-Bulletin, 1988, Nr. 1, S. 10 ff. und 1989, Nr. 2, S. 8 ff. Siehe auch SPJ 1986, S. 146 und 1987, S. 176.
[46] Presse vom 13.5., 27.5. und 31.5.88; BZ, 21.6.88; TA, 14.7. und 23.11.88; SHZ, 28.7.88; SZ, 26.11.88; vgl. Amtl. Bull. NR, 1988, S. 634.
[47] 24 Heures, 2.2.88; BaZ, 22.7., 18.8. und 8.11.88; Suisse, 14.11. und 16.11.88; VO, 24.11.88; BUS-Bulletin, 1988, Nr. 3, S. 40 f.
[48] Zur Hochseeverbrennung siehe NZZ, 30.4. und 8.10.88; Presse vom 28.12.88; BUS-Bulletin, 1988, Nr. 4, S. 7 ff.
[49] Konzept: Presse vom 6.4.88; SHZ, 14.4.88; WoZ, 15.4.88; vgl. Lit. BUS. Widerstand: SZ, 6.2.88; BZ, 11.3. und 24.8.88; TA, 12.3.88; Ww, 7.4.88; Bund, 24.6.88. Gespräche: NZZ, 19.3. und 29.10.88; Presse vom 8.12.88; Ww, 15.12.88.
[50] Amtl. Bull. NR, 1988, S. 884 f.; Amtl. Bull. StR, 1988, S. 755 f.; BaZ, 19.5.88; JdG, 3.6.88; NZZ, 30.11.88; vgl. BZ, 27.2.88.
Copyright 2014 by Année politique suisse
Ce texte a été scanné à partir de la version papier et peut par conséquent contenir des erreurs.