Année politique Suisse 1988 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises / Kirchen
Überaus heftige Auseinandersetzungen um den theologischen, vor allem aber auch den praktisch-seelsorgerischen Kurs fanden innerhalb der römisch-katholischen Kirche statt. Dass die Kirchenleitung mit ihrem autoritären traditionalistischen Impetus breite Protestaktionen seitens des lokalen Klerus und des Kirchenvolkes auslöste und gleichzeitig das Schisma des integristischen Erzbischofs M. Lefebvre nicht verhindern konnte, zeigt eindrücklich den erreichten Grad an Polarisierung.
Im
Bistum Chur entzündete sich der Streit anlässlich der
Wahl eines Weihbischofs mit Nachfolgerecht auf den Bischofssitz. Das Churer Domkapitel besitzt das Recht, aus einem Dreiervorschlag aus Rom den Bischof zu wählen. Dieses Wahlrecht wurde nun umgangen, indem der amtierende Bischof J. Vonderach mit einem eigenen Vorschlag in Rom um die Ernennung eines Koadjutors (Weihbischofs) nachsuchte. Der Papst ernannte darauf den von Vonderach favorisierten Liechtensteiner
W. Haas – der seinerseits eine streng konservative und somit romtreue Linie vertritt – und stattete ihn gleichzeitig mit dem Nachfolgerecht auf den Bischofssitz aus. Dies löste heftige Proteste des Domkapitels aus, welches zwar nicht das Recht der Weihbischofswahl besitzt, sein Recht der Bischofswahl aber durch die Gewährung des Nachfolgerechts verletzt sah; ausserdem sei der Geist und eine Bestimmung des II. Vatikanischen Konzils, welches die Berücksichtigung ortskirchlicher Gremien forderte, missachtet worden. Tausende von Protestbriefen trafen bei der bischöflichen Kurie ein, eine Mehrheit der Zürcher Priester, der Priesterrat des Bistums Chur und der Schweizerische Katholische Frauenbund forderten Haas' Verzicht auf die Weihe oder wenigstens auf das Nachfolgerecht; der Schwyzer Kantonsrat forderte die Regierung auf, Haas zum Rücktritt zu bewegen, da ein geltender Staatsvertrag zwischen dem Kanton und dem Vatikan verletzt worden sei (der Kanton hat Anrecht auf zwei Domherrensitze und besitzt somit ein indirektes Wahlrecht); verschiedene Kirchgemeinden drohten mit der Sistierung ihrer Bistumsbeiträge. Es waren allerdings weniger juristische Erwägungen, welche diesen Proteststurm auslösten, als vielmehr die Person des künftigen Bischofs, der mit seinen vorkonziliären Ansichten aneckt. Insbesondere sein Wunsch, Laien, darunter vor allem die Frauen, von der Mitwirkung bei der Heiligen Messe auszuschliessen, den kirchlichen Dogmen wieder vermehrt Nachachtung zu verschaffen und im Priesterseminar die integristische Lehre zu bevorzugen und die Laientheologinnen und -theologen von den künftigen Priestern abzusondern, wurde von der Kirchenbasis nicht verstanden. Haas berief sich auf seine Gehorsamspflicht gegenüber dem Papst. Seine Weihe wurde von Demonstrationen begleitet, und auch danach blieb der Widerstand ungebrochen, indem sich zahlreiche Pfarreien weigerten, den Neugeweihten für die Firmung zu empfangen. Als Stimme der fortschrittlichen und basiskirchlichen Bewegungen wurde eine neue Zeitschrift gegründet. Das eigenmächtige Vorgehen Roms löste auch Widerstände gegen die Neueinteilung der Bistümer, insbesondere gegen die Errichtung eines Bistums Zürich aus. Die Katholische Synode des Kantons Zürich hielt jedoch an ihrer diesbezüglichen Forderung fest, betonte aber ihren Wunsch nach einem Mitbestimmungsrecht bei der Bischofswahl
[25].
Der bereits 1976 vom kirchlichen Dienst suspendierte
Erzbischof M. Lefebvre wendet sich prinzipiell gegen Aufklärung, Demokratie und Modernismus, und da er sich damit auf dem einzig möglichen Weg der Wahrheit glaubt, löste er sogar ein Schisma (Kirchenspaltung) aus, als er trotz fehlender kurialer Erlaubnis vier Bischöfe zu seinen Nachfolgern weihte. Bereits im Winter hatte er mit der Ankündigung von zwei Klostergründungen im Wallis und am Genfersee signalisiert, dass sich seine integristische Glaubensgemeinschaft ausbreite. Die jährlich vorgenommenen Weihen von Priestern, die in seinem Seminar in Ecône ausgebildet werden, waren in der Vergangenheit von Rom noch stillschweigend toleriert worden, doch nützten jetzt auch intensive Kontakte mit der Kurie und die Warnungen des Papstes und der Schweizerischen Bischofskonferenz nichts mehr: Lefebvre zog sich samt den von ihm geweihten Bischöfen mit dem Weiheakt die automatische Exkommunikation zu. Ein Teil seiner Anhänger lehnte jedoch das Schisma ab und gründete eine eigene integristische Priesterbruderschaft. Der grosse Zustrom zur traditionalistischen Glaubensrichtung bewog in der Folge Bischof Mamie, in seinem Bistum Lausanne/Freiburg/Genf die lateinische Messe wieder zuzulassen
[26].
[25] Ernennung Haas': Presse vom 8.4.88. Proteste dagegen: allgemein: NZZ, 12.4. und 5.5.88; BüZ, 19.4., 26.4. und 4.5.88; TA, 20.4., 22.4. und 3.5.88; Domkapitel: Presse vom 11.5. und 13.5.88; Priesterrat: BüZ, 26.8.88; Kt. Schwyz: Vat. und LNN, 16.4.88; Val., 20.5., Presse vom 21.5.88; Vat., 28.9., 25.10. und 15.11.88; Verweigerung der Bistumsbeiträge: Vat., 13.6., 22.6. und 30.11.88; LNN, 14.6.88; TA, 25.6.88; Weihe: Presse vom 24.5.88; Verweigerung der Firmung: LNN, 25.5.88; Vat., 27.5.88; BüZ, 10.12.88; Bistum Zürich: NZZ, 18.5.88; Ww, 7.7.88; Stellungnahmen von Haas: Vat. und TA, 19.5.88; Vat., 5.9.88; TA, 21.1 1.88. Die neue Zeitschrift heisst Aufbruch – Forum für eine offene Kirche, vgl. dazu TA, 29.11.88; SZ, 3.12.88. Hintergründe und Zusammenfassungen der Affäre Haas: Ww, 5.5. und 22.12.88; TA, 21.11.88. Vgl. auch Lit. Engel und Herold.
[26] Klostergündungen: Ww, 21.1.88; NZZ, 29.2.88. Verhandlungen mit Rom: Suisse, 5.2. und 22.5.88; NF und 24 Heures, 9.4.88; BZ, 3.6.88; Presse vom 17.6.88. Weihe: Presse vom 1.7.88. Massnahmen Mamies: Suisse, 16.7.88; Vat., 18.7.88. Neue Priesterbruderschaft: NZZ, 25.7., 30.7. und 3.8.88. Vgl. auch Stellungnahmen der Theologen L. Kaufmann (Ww, 23.6.88 und TW, 4.7.88) und H. Küng (TA, 29.6.88). Zur Ausbreitung der integristischen Vereinigung "Comunione e liberazione" im Tessin vgl. NZZ, 19.2.88; SGT, 19.3.88. Vgl. auch SPJ 1987, S. 230.
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