Année politique Suisse 1989 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique / Öffentliche Ordnung
Zu
Ausschreitungen und Anschlägen von Rechtsextremen gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte war es zwar bereits in früheren Jahren gekommen, im Berichtsjahr
häuften sie
sich aber derart, dass sich auch der Bundesrat und der Nationalrat besorgt zeigten. Im Nationalrat bot eine Dringliche Interpellation der SP Anlass zur Auseinandersetzung mit diesen Vorkommnissen. Mit Ausnahme von Dreher (ap, ZH), der die Debatte zu einer Attacke auf die seiner Meinung nach zu weiche Flüchtlingspolitik des Bundesrates benutzte, verurteilten sämtliche Votanten diese Anschläge. Der Rat überwies ein Postulat Grendelmeier (ldu, ZH), welches von der Regierung einen Bericht über die rechtsextremen Umtriebe fordert. Gegen den Widerstand der Linken überwies die Volkskammer allerdings auch ein Postulat Steffen (na, ZH), das verlangt, dass dieser Bericht ebenfalls Aufschluss über linksextreme und religiöse Aktivitäten und Gruppierungen geben soll. Im Sinne einer Präzisierung wurde schliesslich noch ein Postulat Reimann (svp, AG) gutgeheissen, das einen Bericht über alle gewalttätigen politischen Gruppen wünscht
[22].
Lautstark und gewalttätig setzte sich insbesondere die "
Patriotische Front" in Szene, als deren Sprecher der in der Politik bisher nicht bekannte Marcel Strebel auftrat. Diese rund 20 zumeist junge Männer zählende rechtsradikale Organisation war Ende 1988 in der Innerschweiz gegründet worden. Sie trat erstmals im Mai mit einer Demonstration in Rotkreuz (ZG) und einer nächtlichen Jagd auf Asylbewerber in Zug öffentlich auf
[23]. Im November erregte sie mit ihrem gewalttätigen und von der anwesenden Polizei nicht verhinderten Eindringen in eine Flüchtlingsunterkunft in Steinhausen (ZG) landesweite Empörung. Diese Empörung richtete sich auch gegen das passive Verhalten der Polizei, welche dann allerdings doch noch aktiv wurde und einige Mitglieder der Patriotischen Front in Untersuchungshaft steckte
[24]. Ähnliche, aber weniger auf Medienwirksamkeit ausgelegte Aktionen gingen im Raum Schaffhausen auf das Konto von sogenannten Skins (
Skinheads)
[25].
Wie bereits im Vorjahr kam es auch 1989 in den Grossstädten zu einer Serie von Demonstrationen im Zusammenhang mit der Wohnungsknappheit. Es gelang den sich vor allem aus der
Hausbesetzerszene rekrutierenden Aktivisten jedoch nicht, breite Bevölkerungskreise für ihre Strassendemonstrationen zu mobilisieren. Dies mag einerseits mit ihrem sehr militanten Auftreten zusammenhängen, ist aber andererseits auch auf ihr absichtliches Distanzhalten zu allen politischen Organisationen zurückzuführen
[26].
In
Zürich entwickelte sich im Verlauf des Jahres geradezu ein
Demonstrationsritual: jeden Donnerstag abend (Tag des Abendverkaufs) versammelten sich auf einem Platz in der Altstadt etwa 100-200 Demonstranten und versuchten von dort ins Stadtzentrum vorzudringen. Neben Auseinandersetzungen mit der Polizei, welche die unbewilligten Demonstrationen aufzulösen versuchte, kam es auch regelmässig zu massiven Sachbeschädigungen in Form von eingeschlagenen Schaufenstern und umgekippten Autos. Zu ähnlichen Krawallszenen und Katz-und-Maus-Spielen zwischen der Polizei und kleinen Gruppen von Demonstranten gegen die Wohnungsnot kam es in einigen Fällen auch in Bern und Genf. Daneben fanden allerdings auch — in der Regel von den Mieterverbänden organisierte — friedliche und grosse Kundgebungen zur Situation auf dem Wohnungsmarkt statt
[27].
In
Basel kam es im Zusammenhang mit Aktionen von ehemaligen Besetzern des
Areals der alten Stadtgärtnerei zu Ausschreitungen. Auf Antrag der Regierung beschloss daraufhin der Grosse Rat ein Vermummungsverbot. Mit diesem soll der Polizei die Identifizierung und gerichtliche Verfolgung von einzelnen gewalttätigen Demonstranten erleichtert werden. Die Linke opponierte diesem Beschluss mit der Argumentation, dass es auch für friedliche Manifestanten gute Gründe geben könne, unerkannt an einer Kundgebung teilzunehmen. Das letzte Wort in dieser Sache wird das Volk sprechen, da die SP gegen den Beschluss das Referendum eingereicht hat
[28].
Die grösste politische Manifestation fand im Berichtsjahr in Bern statt: zu einem
Fest der GSoA kurz vor der Abstimmung über die Armeeabschaffungs-Initiative nahmen auf dem Bundesplatz rund 15 000 Personen teil. Die mit 5 000 Teilnehmenden zweitgrösste Manifestation wurde ebenfalls in der Bundesstadt durchgeführt und richtete sich gegen den Bau von Kernkraftwerken. Etwa gleich gross war eine Kundgebung von Emigranten in Zürich gegen die Politik der jugoslawischen Regierung in der Provinz Kosovo. Zu diesem Thema führten die albanischsprachigen Organisationen auch in Bern und Genf grosse Manifestationen durch: Insgesamt verzeichneten wir im Berichtsjahr 22 Demonstrationen mit mehr als 1 000 Beteiligten (1988: 18): acht davon fanden in Zürich statt, sechs in Bern, vier in Basel, drei in Genf und eine in Luzern. Dominierendes Thema bei diesen Grossdemonstrationen war erneut der Protest gegen Zustände im Ausland, namentlich in Jugoslawien (acht Mal), je dreimal standen das Wohnen bzw. die Forderung nach Abrüstung und Frieden im Zentrum
[29].
[22] Amtl. Bull. NR, S. 1730, 2134 ff., 2150 ff. und 2245 ff.; LNN und TA, 30.9.89. Siehe auch unten, Teil I, 7d (Flüchtlinge). Zum europäischen Übereinkommen zur Bekämpfung der Gewalt auf Sportplätzen siehe unten, Teil I, 7b (Sport).
[23] Vat. 8.5. (Rotkreuz) und 22.5.89 (Zug); LNN, 14.8.89. Allgemein zur Patriotischen Front siehe Vat., 23.5.89; TA, 24.5.89; BZ, 30.5.89; Ww, 3.8.89 (Interview mit Strebel).
[24] Presse vom 6. und 7.11.89; LNN, 15.11. und 27.11.89 (Verhaftungen). Der Bundesrat rief die verantwortlichen Behörden auf, alles zu unternehmen, um Gewaltakte gegen Flüchtlinge zu verhindern (Presse vom 9.11.89). NR Ziegler (sp, GE) reichte eine Motion ein, welche ein Verbot der Patriotischen Front fordert (Verhandl. B.vers., 1989, V, S. 114).
[25] NZZ, 20.2., 23.10.89; SN, 22.4. und 8.11.89. Zu den Skinheads und deren Verbindung zu Neonazis siehe WoZ, 8.9. und 24.11.89.
[26] Allgemein und analytisch zu dieser Bewegung siehe NZZ, 13.6.89; WoZ, 14.7.89; TA, 29.7.89.
[27] Zürich: Zürcher Presse jeweils vom Freitag und Samstag ab Mitte März, insbs. NZZ, 11.3., 17.3., 16.11., 13.11., 20.11. und 24.11.89; TA, 10.7., 21.11.89. Bern: Bund, 5.5. und 30.10.89; BZ, 15.9.89. Genf: JdG, 9.10. und 13.10.89. Zu den grossen Demonstrationen siehe unten.
[28] BaZ, 3.4., 3.6., 3.7., 19.6., 14.9. und 31.10.89. Die in der alten Stadtgärtnerei engagierten Aktivisten stellten ihre Demonstrationen noch vor dem Vermummungsverbot als kontraproduktiv ein (BaZ, 6.7.89); vgl. auch SPJ 1988, S. 25 f.
[29] In dieser Zusammenstellung sind die Kundgebungen der Gewerkschaften zum 1. Mai, welche in den Grossstädten jeweils einige Tausend Beteiligte aufweisen, nicht erfasst. Belege für die Demonstrationen mit 1000 und mehr Teilnehmenden (in Klammer Anzahl / Thema): Genf: JdG, 27.5. (1000 / Staatspersonal), 19.6. (1500 / Kosovo), 13.10.89 (2000 / Wohnen); Basel: BaZ, 28.3. (2000 / Abrüstung), 26.6. (2500 / Verkehr, Velo), 2.9. (3000 /Frieden), 11.9.89 (3000 / Türkei); Bern: Bund, 11.3. (1500 / Tibet), 24.4. (5000 / AKW), 12.6. (2000 / China), 23.10. (15 000 / Armee, GSoA), 27.11. (2000 / Kosovo), 8.12.89 (2000 / Spitalpersonal); Luzern: LNN, 6.3.89 (1500 / Frauen); Zürich: TA, 20.3. (2500 / Wohnen und 1000 / Kosovo), 16.5. (1000 / Kosovo), 5.6. (1500 / Verkehr, Velo), 4.9. (5000 / Kosovo), 29.9. (1500 / Liberalisierung der Drogenpolitik), 9.10. (2500 / Wohnen), 13.11.89 (1000 / gegen Rassismus).
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