Année politique Suisse 1989 : Eléments du système politique / Institutions et droits populaires
 
Regierung
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Rücktritt von Elisabeth Kopp
Am 9. Dezember 1988 hatte Bundesrätin Kopp zugegeben, dass sie ihren Mann telefonisch über Ermittlungen gegen die Firma Shakarchi, bei welcher er zu jener Zeit Verwaltungsrats-Vizepräsident war, kurz informiert habe. Nach Aussprachen mit Spitzenvertretern der FDP hatte die 1984 als erste Frau in den Bundesrat gewählte Elisabeth Kopp wenige Tage später ihre Demission auf Ende Februar 1989 angekündigt. Der Bundesrat hatte danach Hans Hungerbühler, erster Staatsanwalt des Kantons Basel-Stadt, mit der Abklärung der genauen Umstände beauftragt, die zu diesem Telefongespräch geführt hatten. Der für diese Ermittlungen im Prinzip zuständige Bundesanwalt Gerber war wegen Befangenheit in den Ausstand getreten [1].
Die gerichtspolizeiliche Untersuchung von Hungerbühler deckte auf, dass E. Kopp nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Gemäss den Abklärungen habe sie, nachdem sie von ihrer persönlichen Beraterin über den Inhalt von Akten aus der Bundesanwaltschaft orientiert worden sei, ihren Mann informiert und ihm geraten, sich über Details bei dieser Mitarbeiterin zu erkundigen. Da der dringende Verdacht auf Amtsgeheimnisverletzung oder sogar Begünstigung bestehe, beantragte Hungerbühler dem Parlament die Aufhebung der Immunität der Bundesrätin und die Eröffnung eines Strafverfahrens. Frau Kopp trat nach der Veröffentlichung dieses Berichtes am 12. Januar 1989 unverzüglich von ihrem Amt zurück [2].
Beide Parlamentskammern stimmten in einer Sondersession im Februar der Immunitätsaufhebung ohne Gegenstimme zu. Am 15. März wählte die Vereinigte Bundesversammlung den Freiburger Staatsanwalt Joseph-Daniel Piller zum ausserordentlichen Bundesanwalt [3]. Dieser beantragte - nach Abschluss der vom eidgenössischen Untersuchungsrichter Koeferli durchgeführten Ermittlungen - beim Bundesstrafgericht Anklageerhebung wegen Amtsgeheimnisverletzung gegen E. Kopp, ihre persönliche Mitarbeiterin und eine Beamtin des EJPD. Mangels schlüssiger Anhaltspunkte verzichtete Piller hingegen darauf, eine Strafverfolgung wegen Begünstigung zu beantragen. Die Anklagekammer des Bundesgerichts, welche überprüfen musste, ob die Anklageschrift den gesetzlichen Erfordernissen entsprach und ob die Anklage grundsätzlich gerechtfertigt sei, entschied sich anfangs November für eine Zulassung der Klage [4].
Nach diesen Ermittlungen konnte der am 24. November veröffentlichte Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Rücktritt von E. Kopp bringen. Politisch brisanter waren seine Enthüllungen über die Aktivitäten der Bundesanwaltschaft und dabei insbesondere der politischen Polizei [5].
Der Bericht enthält aber auch eine detaillierte Chronik der Ereignisse vor dem Eingeständnis des Telefongesprächs E. Kopps mit ihrem Mann. Kein gutes Licht auf die Alt-Bundesrätin warfen die im PUK-Bericht gemachten Feststellungen über ihr Verhalten. So sei sie auf den Rat ihrer eingeweihten Chefbeamten, das ominöse Telefongespräch bekanntzugeben, bevor es von den Medien aufgedeckt werde, nicht eingetreten. Kurz bevor sie durch die Berichte in der Presse dann doch zu einem Geständnis gezwungen worden sei, habe sie versucht, die Schuld auf ihre persönliche Mitarbeiterin abzuwälzen. Für die in einigen Medien geäusserten schwerwiegenderen Verdächtigungen gegen E. Kopp im Zusammenhang mit ihrer Amtsführung als Justizministerin fand allerdings auch die PUK keine Anhaltspunkte [6]. E. Kopp war freilich mit der Darstellung nicht einverstanden. Über ihren Anwalt verlangte sie erfolglos, dass der PUK-Bericht zurückzuziehen und das Kapitel über die Umstände ihres Rücktritts zu streichen seien. Kurz darauf wandte sie sich dann allerdings in einem Schreiben an die eidgenössischen Räte. Darin gestand sie erstmals eigene Fehler zu und entschuldigte sich für ihr Verhalten zwischen dem Telefonanruf an ihren Mann und ihrem Rücktritt [7].
Im Anschluss an die Rücktrittserklärung von E. Kopp hatte Nationalrat Reichling (svp, ZH) mit einer parlamentarischen Initiative verlangt, dass die zulässige wirtschaftliche Tätigkeit der Ehegatten von Bundesräten gesetzlich geregelt werden soll. Die zuständige Nationalratskommission sprach sich mit 17:2 Stimmen gegen derartige Vorschriften aus, da diese in der Praxis kaum durchführbar wären. Nach Ansicht der Kommission ist es die Aufgabe der Parteien, Probleme, wie sie im Fall Kopp zutage getreten sind, durch eine sorgfältige Kandidatenauswahl zu vermeiden [8].
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Bundesratswahlen
Die Ersatzwahl für E. Kopp wurde in der Februar-Sondersession durchgeführt. Im Vorfeld hatten die Vertreter der CVP, der SP und der SVP betont, dass für sie kein Anlass zum Rütteln an der Zauberformel gegeben sei und sie den Anspruch des Freisinns nicht bestreiten würden [9]. Die Verteidigung des traditionellen, wenn auch nicht rechtlich abgesicherten Zürcher Sitzes erwies sich hingegen als schwieriger. Einerseits wurde auch parteiintern die jeweils nur kurze Amtszeit der drei letzten freisinnigen Zürcher Bundesräte Honegger (5 Jahre), Friedrich (2) und Kopp (4) kritisiert. Andererseits tat sich die Kantonalpartei mit der Kandidatenauswahl schwer: Nachdem Fraktionschef Bremi und die Nationalrätinnen Nabholz und Spoerry auf eine Nomination verzichtet hatten, schlug sie den 59jährigen Ständerat Jagmetti vor [10]. Mit teilweise jüngeren Kandidaten rückten die Innerschweizer Freisinnigen auf: Die Luzerner präsentierten den 47jährigen Unternehmer und Ständerat Villiger, die Urner den 45jährigen Rechtsanwalt und Nationalrat Steinegger und die Zuger den 59jährigen Regierungs- und Nationalrat Stucky. Die für die Nomination zuständige freisinnige Fraktion schlug der Vereinigten Bundesversammlung Kaspar Villiger zur Wahl vor [11].
Der Landesring, der auch in der Vergangenheit immer wieder seinen Anspruch auf einen Regierungssitz angemeldet hatte, erachtete die Gelegenheit zum Aufbrechen der Zauberformel als besonders günstig. Parteipräsident Jaeger bezeichnete die Affäre Kopp als neuen Beleg für die Krise der Konkordanzpolitik der vier Bundesratsparteien, und er sprach sich dafür aus, dass der freiwerdende Sitz unbedingt wieder mit einer Frau besetzt werden müsse. Die Delegierten des LdU nominierten die Zürcher Ständerätin Monika Weber, welche auch die Unterstützung der Fraktion der Grünen und der drei Nationalräte der EVP fand [12].
Bei einem absoluten Mehr von 118 Stimmen wählte die Vereinigte Bundesversammlung am 1. Februar im ersten Wahlgang mit 124 Stimmen Kaspar Villiger zum neuen Bundesrat; 35 Stimmen entfielen auf Franz Steinegger, 33 auf Monika Weber und 19 auf Liliane Uchtenhagen. Mit dieser Wahl wurden gleich zwei Traditionen gebrochen: zum erstenmal seit der Gründung des Bundesstaates ist der Kanton Zürich nicht mehr in der Landesregierung vertreten, und zum erstenmal seit 1875 stammt ein freisinniger Bundesrat aus einem ehemaligen Sonderbundskanton [13].
Da E. Kopp im Dezember 1988, unmittelbar vor dem Bekanntwerden ihres verhängnisvollen Telefongesprächs, zur Vizepräsidentin des Bundesrats gewählt worden war, musste die Bundesversammlung nach ihrem Rücktritt auch dieses Amt neu besetzen. Die Reihe war an Arnold Koller, der mit 190 Stimmen gewählt wurde. In der Dezembersession wurde Koller mit 194 Stimmen zum Präsidenten und Flavio Cotti mit 177 zum Vizepräsidenten für 1990 erkoren [14]. Bei der Departementsverteilung blieben grössere Rochaden aus: Bundesrat Koller wurde neuer Vorsteher des EJPD, als dessen Leiter er bereits seit E. Kopps Rücktritt gewirkt hatte. Der neugewählte Villiger übernahm von Koller das EMD [15].
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Gehaltsordnung
Der Vorschlag des Bundesrates für eine Zusammenfassung und Modernisierung der Gehaltsordnung für Magistratspersonen des Bundes (Bundesräte, Bundeskanzler und Bundesrichter) war im Ständerat am 5. Dezember 1988, eine Woche vor der Demission von Bundesrätin Kopp, noch glatt über die Bühne gegangen. Im Nationalrat gab diese Neuordnung mehr zu reden. Zwar lehnte das Plenum einen Antrag der vorberatenden Kommission ab, die volle Pension bei nicht krankheitsbedingten Rücktritten erst nach acht Amtsjahren (statt vier) auszurichten. Auch ein Antrag der LdU/EVP-Fraktion, dass für eine allfällige Reduktion des Ruhegehaltes neben dem Erwerbseinkommen auch das Einkommen aus Vermögenserträgen zu berücksichtigen sei, scheiterte. Hingegen beschloss die Volkskammer, dass bei Magistratspersonen, die nach weniger als einer Amtsperiode zurücktreten, die Ausrichtung der vollen Pension von der Finanzdelegation des Parlaments bewilligt werden muss. Im Differenzbereinigungsverfahren schloss sich der Ständerat dieser von Bundesrat Stich bekämpften Mitbestimmung an [16].
 
[1] Presse vom 20.12.88. Siehe SPJ 1988, S. 28 ff.
[2] Presse vom 13.1.89. Siehe auch Lit. 'Mich trifft keine Schuld'.
[3] Immunität: Amtl. Bull. NR, 1989, S. 98 ff.; Amtl. Bull. StR, 1989, S. 67 ff.; Presse vom 28.2.89. Piller: Amtl. Bull. NR, 1989, S. 667 ff.; Presse vom 16.3.89. Vgl. auch K. Eichenberger, "Aufhebung der Immunität von Bundesräten", in NZZ, 25.1.89.
[4] BaZ, 14.9.89; Presse vom 22.9. und 15.11.89.
[5] Vorkommnisse im EJPD. Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission vom 22. November 1989, Bern 1989. Presse vom 25.1 1.89. Zur Einsetzung der PUK siehe unten, Parlament; zur politischen Polizei siehe oben, Teil I, 1b (Öffentl. Ordnung).
[6] PUK-Bericht, S. 22 ff. Parlamentsdebatte über den PUK-Bericht: Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1977, 1988 ff. und 2037 ff.; Amtl. Bull. StR, 1989, S. 790 ff.
[7] Bund, 7.12.89; Presse vom 15.12.89. Zu den Hintergründen der Entschuldigung siehe Blick, 19.12.89.
[8] NZZ, 15.9.89; SPJ 1988, S. 30 f.
[9] TW, 6.1.89.
[10] TA, 6.1., 9.1. und 13.1.89; NZZ, 9.1., 10.1., 13.1. und 18.I.89.
[11] Vat., 6.1.89; LNN, 10.1. und 11.1.89. FDP-Fraktion: Presse vom 21.1.89.
[12] AT und Bund, 10.1.89; TA, 12.1., 19.1. und 23.1.89; NZZ, 23.1.89.89; Vat., 23.1.89; Amtl. Bull. NR, 1989, S. 94 (GP). Vgl. auch U. Altermatt, "Der Landesring und die Bundesratswahlen", in NZZ, 27.1.89. Zur Zauberformel siehe auch das Gespräch mit Prominenten der Bundesratsparteien in Bilanz, 1989, Nr. 11, S. 231 ff.
[13] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 92 ff.; Presse vom 1.2.89. Zur Person von Kaspar Villiger siehe Vat., 31.1.89; AT und LNN, 2.2.89. Zur umstrittenen Radiosendung über die Geschäfte der Firma Villiger in den dreissiger Jahren siehe unten, Teil I, 8c (Offizielle Informationstätigkeit und Pressefreiheit).
[14] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 95 f. (Vizepräsidenten- Ersatzwahl) und 2307 (Präsidentenwahl); Presse vom 7.12.89.
[15] TA, 19.1.89; Presse vom 4.2.89; Ww, 20.4.89.
[16] BBl, 1988, III, S. 729 ff.; Amtl. Bull. StR, 1988, S. 805 ff. und 1989, S. 351 f., 457 und 623; Amtl. Bull. NR, 1989, S. 821 ff., 1245 ff. und 1806; BBl, 1989, III, S. 904 f.; TA, 22.6.89.