Année politique Suisse 1989 : Chronique générale / Finances publiques
 
Voranschlag 1990
Wiederum hat der Finanzminister einen Voranschlag präsentiert, der trotz einer hohen Wachstumsrate einen Überschuss vorsieht: Die Ausgaben werden um 8,3% auf 29,85 Mia Fr. und die Einnahmen um 8,2% auf 30,34 Mia Fr. ansteigen, woraus ein Überschuss des Finanzvoranschlags von 474 Mio Fr. resultieren wird. Bundesrat Stich warnte allerdings vor Sorglosigkeit. Es bestünde eine längerfristige Tendenz zu allgemein schwächeren Ergebnissen in den nächsten Jahren; schon für 1991 könnte ein Defizit von mehr als einer halben Milliarde ausfallen. Der Gesamtvoranschlag (inklusive Abschreibungen und Rückstellungen) rechnete bereits für 1990 mit einem Defizit von 447 Mio Fr. Zwar wird 1990 'aus steuertechnischen Gründen ein einnahmenstarkes Jahr sein, aber erste Ausgaben für Grossprojekte wie "Bahn 2000", NEAT, die 10. AHV-Revision und die Neuordnung der Krankenversicherung werden in greifbare Nähe rükken [24].
Im Bericht des Bundesrates zum Finanzplan 1991 und zu den Haushaltsperspektiven 1992/93 wurde eine Teuerung von 2,5% bei einem realen Wachstum von 2% angenommen; das Ansteigen der Löhne wurde gegenüber den Erwartungen für 1990 ebenfalls niedriger eingestuft. Der Bundesrat rügte, dass unter dem Eindruck der guten Rechnungsabschlüsse die Begehrlichkeit der Politiker wachse. Diese gefährliche Tendenz verpflichte ihn, für eine straffere Ausgabendisziplin und den Verzicht auf Steuergeschenke einzustehen [25]. Im Anschluss an die Budgetdebatte stimmte der Nationalrat zwei Motionen seiner Finanzkommission zu. Mit der ersten wird der Bundesrat eingeladen, im Voranschlag für 1991 die Ausgaben nicht stärker anwachsen zu lassen als das Bruttoinlandprodukt (BIP). Die zweite verlangt, dass zukünftig das Ausgabenwachstum im Vierjahresdurchschnitt nicht stärker anwachsen darf als das BIP [26].
Das im Budget 1990 vorgesehene Ausgabenwachstum wird aller Voraussicht nach über dem Wirtschaftswachstum liegen. Entsprechend wird sich die Staatsquote von 9,6% auf 9,8% erhöhen. Die Finanzkommission des Ständerates schlug Kürzungen von 232 Mio Fr. vor. Abstriche wurden bei allen Departementen gemacht, am gewichtigsten fielen sie in absoluten Zahlen beim EDI, beim EMD und beim EVED mit je über 50 Mio Fr. aus. Bei allen gekürzten Einzelposten handelte es sich freilich nicht um Reduktionen gegenüber dem Vorjahr, sondern um Beschneidungen eines als allzu üppig empfundenen Wachstums. Der Ständerat folgte mit einer Ausnahme (7 Mio Fr. beim Nationalfonds) den Empfehlungen seiner Kommission. Auch die Nationalratskommission war der Meinung, der Ausgabenzuwachs von 8,3% sei zu hoch; sie schlug Kürzungen von 277 Mio Fr. vor.
Im Nationalrat war der grünen Fraktion auch dieses reduzierte Wachstum noch zu hoch. Sie stellte einen Rückweisungsantrag und verlangte, dass die Regierung ein Budget vorlege, dessen Ausgabenzuwachs das Wirtschaftswachstum keinesfalls übersteige. Trotz der Unterstützung durch einige bürgerliche Abgeordnete wurde dieser Antrag mit offensichtlichem Mehr abgelehnt. Der Rat akzeptierte in der Detailberatung die meisten Kürzungsvorschläge seiner Kommission. Eine wichtige Ausnahme wurde allerdings bei der öffentlichen Entwicklungshilfe gemacht. Bei einer Abstimmung unter Namensaufruf sprach sich der Rat mit 113:57 dagegen aus, das Ausgabenwachstum in diesem Bereich um 15 Mio Fr. zu reduzieren. Gegen den Antrag der Kommission und des Bundesrates stimmte der Nationalrat aber auch einem von verschiedenen Landwirtschaftsvertretern vorgebrachten Antrag zu, die Investitionskredite in der Landwirtschaft von 20 Mio auf 40 Mio Fr. zu steigern. In der Differenzbereinigung stimmte die kleine Kammer dem vom Nationalrat beschlossenen Verzicht auf Kürzungen bei der Entwicklungshilfe zu. Die Erhöhung der Ausgaben für landwirtschaftliche Investitionen lehnte sie jedoch ab und konnte sich damit auch durchsetzen [27].
 
[24] Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Voranschlag der Schweizerischen Eidgenossenschaft für das Jahr 1990, Bern 1989. Vgl. auch Presse vom 20.10.89; wf, Dok., 23.10. und 27.11.89.
[25] A.a.O., S. 84 f. Siehe auch O. Stich, "Geld und Geist in der modernen Eidgenossenschaft", in Documenta, 1989, Nr. 4, S. 29 ff.
[26] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 2097.
[27] BaZ, 8.11.89 (StR-Kommission); Amtl. Bull. StR, 1989, S. 639 ff. und 812 ff.; NZZ, 22.11.89 (NR-Komm.); Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1898 ff., 1964 ff., 1977 ff., 2066 ff. und 2154 ff.; BBl, 1989, III, S. 1725. Zu den Auseinandersetzuungen um das Budget des EMD siehe oben, Teil I, 3 (Défense nationale et société).