Année politique Suisse 1989 : Infrastructure, aménagement, environnement / Sol et logement
 
Mietwesen
In zwei Etappen wurde der Hypothekarzinssatz für Althypotheken um 1 Prozent auf 6% und in 3 Etappen für Neuhypotheken auf 7 bis 7ë% erhöht. Zu Jahresende stand eine dritte Hypozinsrunde auch für Althypotheken bereits in Aussicht. Die Erhöhungen im Jahre 1989 würden gemäss Bundesbeschluss über Missbräuche im Mietwesen eine Mietzinserhöhung von maximal 14% zulassen. Das volle Ausmass der Mietzinssteigerung, welche regional und zeitlich sehr unterschiedlich erfolgte, wird erst im Mai 1990 sichtbar werden; Mieter- und Hauseigentümerverbände rechneten mit einem durchschnittlichen Anstieg um 10%, von dem 80 bis 90% der Mieter betroffen sein werden. Erhebungen des Bundesamts für Statistik stellten im Herbst einen Anstieg von rund 7% gegenüber dem Vorjahr fest. Gemäss Berechnungen des schweizerischen Hauseigentümerverbandes beläuft sich der Anteil des Hypothekarzinses an der Zusammensetzung der Kostenelemente der Mietzinse auf 60 bis 80%. Die Direktbetroffenen reagierten vielfach mit Verunsicherung, Arger und Wut; die Schlichtungsstellen wurden überlastet und die Anfechtungsbegehren nahmen bereits im ersten Halbjahr um 63% gegenüber dem Vorjahr stark zu. Aber auch die Hauseigentümer protestierten bei der zweiten Erhöhungsrunde. Parallel dazu manifestierte sich eine Zunahme der sozialen Unrast mit Häuserbesetzungen und vor allem mit wiederholten Demonstrationen, die in der Stadt Zürich über eine längere Zeitperiode hinweg jeweils am Donnerstagabend durchgeführt wurden und die nicht selten mit Gewalt und Sachbeschädigungen sowie mit Auseinandersetzungen mit der Polizei endeten [27].
Besonders besorgt zeigte sich der Schweizerische Mieterverband über die häufigen Schwankungen der Hypothekarzinse, bei deren Sinken die Mieter jeweils nur zu einem kleineren Teil profitieren. Er richtete deshalb Vorschläge an verschiedene Stellen für eine Entschärfung der Situation: Der Bundesrat wurde zu einer Änderung der Verordnung zum Bundesbeschluss über Missbräuche im Mietwesen eingeladen, derzufolge die mit einem Anstieg der Hypothekarzinsen begründeten Mietzinserhebungen als missbräuchlich gelten sollen, wenn frühere Hypozinssenkungen nicht an die Mieter weitergegeben worden waren. Die Hauseigentümerverbände wurden zu gemeinsamen Verhandlungen für paritätische Abkommen auf nationaler und regionaler Ebene aufgefordert, welche keine Mietzinsänderungen zulassen, wenn sich der Hypozinssatz zwischen 4 und 6 Prozent bewegt. Die Banken sollen die Refinanzierungsbasis für das Hypothekargeschäft so ändern, dass ein grösserer Teil der längerfristigen Gelder eine Stabilisierung des Hypozinses erlaubt, und die Pensionskassen sollten mindestens 30% ihrer Anlagen in Hypotheken für den preisgünstigen Wohnungsbau tätigen. An die Adresse der Kartellkommission schliesslich war der Vorschlag gerichtet, die Auswirkungen der Wettbewerbsbeschränkungen der Banken bei der Festsetzung der Hypothekarzinse abzuklären. Der Hauseigentümerverband lehnte den Vorschlag des Mieterverbands zur Stabilisierung der Mietzinse ab [28].
Gegen eine automatische Überwälzung des Hypozinses auf die Wohnungsmieten richtete sich eine SP-Interpellation im Nationalrat, welche im weitern einen Mietzinsstopp und mittels Dringlichkeitsrecht die Unterstellung der Hypozinserhöhungen unter die Preisüberwachung forderte. Bürgerliche Vertreter sprachen sich dagegen für das freie Spiel der Marktkräfte aus und meinten, vorübergehende Zinserhöhungen müssten in Kauf genommen werden. Wegen negativen Auswirkungen auf Wohnungsbau und das Funktionieren des Marktes wandte sich auch Bundesrat Delamuraz gegen eine Mietzinsblockierung; er räumte allerdings ein, dass der Uberwälzungsmechanismus nicht völlig befriedigend sei und dass Kreditzinse in die Kompetenzbefugnis des Preisüberwachers eingeschlossen werden könnten, aber nicht auf dem Dringlichkeitsweg, sondern im Rahmen des Gegenentwurfs zur zweiten Preisüberwachungsinitiative. M. Lusser, Präsident des Direktoriums der schweizerischen Nationalbank, hielt seinerseits den gesetzlich festgeschriebenen Übertragungsmechanismus von Hypozinserhöhungen auf die Mieten für unsinnig und sprach sich für eine Aufhebung dieser Verbindung aus [29].
Auch die Kommission für Konjunkturfragen des EVD regte die Prüfung der Koppelung der Mieten mit der Entwicklung der Hypothekarzinse in der Schweiz an. Die rechtlich zulässige automatische Anpassung der Mietzinse könne namentlich zu Beginn von Rezessionsphasen zu unerwünschten Preisschüben und damit zu einer Verschärfung der Situation führen, was im Falle der Landwirtschaft auch höhere Preise für Agrarprodukte nach sich ziehe. Damit werde eine wirksame und wohldosierte Inflationskontrolle gefährdet [30].
Mit einer sofort inkraftgetretenen Änderung der Verordnung über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen sollen die Schlichtungsstellen bei Mietzinsanpassungen nach Hypothekarzinsänderungen auch berücksichtigen, ob und wie weit frühere Zinsänderungen weitergegeben wurden. Eine Hypozinssenkung gilt auch dann als weitergegeben, wenn auf eine Mietzinserhöhung aufgrund anderer Kostensteigerungen ganz oder teilweise verzichtet wurde. Mit den neuen Bestimmungen möchte der Bundesrat sicherstellen, dass alle Schlichtungsstellen nach den gleichen Kriterien urteilen [31].
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Revision des Miet- und Pachtrechts
Die Revision des achten Titels des Obligationenrechts über das Miet- und Pachtrecht, welche einen 1986 angenommenen Verfassungsartikel konkretisiert, konnte 1989 zum Abschluss gebracht werden. Nachdem sich im Vorjahr der Ständerat für eine eher vermieterfreundliche Revision der Bundesratsvorlage entschieden hatte, sorgte der Nationalrat für eine massvolle Korrektur zugunsten der Mieter, ohne allerdings so weit zu gehen wie zuvor die Regierung oder seine eigene Kommission. Für eine vermieterfreundliche Fassung traten FDP, SVP, LP und Auto-Partei ein, für eine mieterfreundliche Version SP, LdU, EVP, Grüne und POCH. Die CVP war in vielen Fragen gespalten. Bundesrat Koller hielt fest, dass die 1986 beim Verfassungsartikel gegebenen Versprechungen einzulösen seien und dass dabei Eigentumsgarantie und Vertragsfreiheit nicht absolut und schrankenlos gelten könnten. Der Mieter als schwächerer Partner müsse vor missbräuchlichen Zinsen und Kündigungen geschützt werden.
In den Beratungen des Nationalrats ergaben sich in mehreren Punkten Differenzen zu den Beschlüssen des Ständerats: Besonders umstritten war die Anfechtbarkeit der Anfangsmieten. Der bundesrätliche Vorschlag für eine Ausdehnung auf alle Situationen wurde in einer Abstimmung mit Namensaufruf abgelehnt. Die Vorlage wurde jedoch gegenüber der kleinen Kammer verschärft, indem neben dem Merkmal der erheblichen Mietzinserhöhung bei Mieterwechsel die beiden Kriterien der persönlichen und familiären Notlage sowie der Wohnungsnot nebeneinander und nicht bloss kumuliert gelten. Bezüglich des Weiterlaufens von Mietverträgen bei Handänderungen wurde das alte römisch-rechtliche Prinzip "Kauf bricht Miete" dahingehend relativiert, dass die in den individuellen Wohnungs- und Geschäftsmietverträgen vereinbarten Kündigungsfristen, und nicht mehr die gesetzlichen, gelten sollen, es sei denn, der Vermieter könne dringenden Eigenbedarf für sich und nahe Verwandte geltend machen. Weitere Differenzen zum Ständerat ergaben sich beim Retensionsrecht bei Geschäftsräumen, welches wieder gestrichen wurde, bei der Ausdehnung der Gültigkeit der Bestimmungen über die Miete von Wohn- und Geschäftsräumen auf Ferienwohnungen, falls diese länger als drei Monate bewohnt sind, bei der Bekanntgabe der Nebenkostenabrechnung, welche durch den Vermieter mindestens einmal pro Jahr zu erfolgen hat, bei den Rahmenmietverträgen zwischen 'Vermieter- und Mieterverbänden, welche nicht von den zwingenden Bestimmungen des Gesetzes abweichen dürfen, sowie beim Hinterlegungsrecht des Mietzinses. In der Gesamtabstimmung wurde die Vorlage im Nationalrat mit 107:0 Stimmen bei etlichen Enthaltungen angenommen. Zustimmung in beiden Räten fand auch eine Motion der Nationalratskommission betreffend Allgemeinverbindlichkeit von Rahmenmietverträgen und von sonstigen gemeinsamen Vorkehren von Vermieter- und Mieterverbänden oder Organisationen, die ähnliche Interessen wahrnehmen. Der Grundtenor nach Abschluss der langen Debatte war durchwegs anerkennend; Kommissionspräsident Hubacher (sp, BS) sprach von einem tragbaren Kompromiss und der Schweizerische Mieterverband bewertete das Ergebnis insgesamt als nicht negativ [32].
Auch in den Differenzbereinigungsverfahren vermochte sich schliesslich in den zentralen Punkten die Version des Nationalrats durchzusetzen, so namentlich bei der Anfechtbarkeit der Anfangsmiete auch aus Gründen des örtlichen Wohnungsmangels, bei der Ungültigkeit einer Kündigung, wenn der Vermieter den Mieter zum Wohnungskauf zwingen will, bei der Notwendigkeit des "dringenden Eigenbedarfs" als Grund für Kündigung nach Hauserwerb sowie bei der Möglichkeit, dass sich Vermieter und Mieter auch aussergerichtlich über Geldforderungen einigen können, ohne den dreijährigen Kündigungsschutz zu verwirken. Auf sein Konto konnte der Ständerat letztlich die Beibehaltung des Retensionsrechts bei Geschäftsliegenschaften buchen. In der Schlussabstimmung wurde die Vorlage in den beiden Räten mit 117 zu 10 bzw. 40 zu 4 Stimmen angenommen. Sie soll im Laufe des Jahres 1990 in Kraft treten. Das neue Miet- und Pachtrecht, welches indirekt auf eine Volksinitiative zurückgeht, brachte insgesamt und entgegen ersten Befürchtungen doch eine wesentliche Verbesserung der Stellung der Mieter gegenüber den Hauseigentümern. Die Vorlage konnte von der wachsenden Wohnraumproblematik und der Kampagne gegen die Bodenspekulation profitieren [33].
 
[27] TA, 9.2., 29.4., 30.5. und 3.11.89; NZZ, 11.2., 8.4., 10.7., 8.8., 15.9., 20.11. und 4.12.89; Bund, 30.5.89; JdG und 24 Heures, 8.8.89; Die Volkswirtschaft, 63/1990, Nr. 2, S. 29 ff.; vgl. SPJ 1988, S. 166. Über die unterschiedliche Handhabung der Wohnungsnot in den Städten Zürich und Genf vgl. WoZ, 22.12.89. Zu den Demonstrationen siehe oben, Teil I, 1b (Öffentliche Ordnung).
[28] Presse vom 19.4.89; NZZ und TA, 26.5.89. Die Schweizerische Mietervereinigung wurde in Schweizerischer Mieterverband umbenannt; er konnte zugleich sein 100000. Mitglied feiern; das Präsidium ging von Jean Queloz auf NR Moritz Leuenberger (sp, ZH) über (NZZ, 6.3.89).
[29] Interpellation: Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1884 ff.; NZZ und JdG, 30.11.89. Lusser: TA, 16.12.89. Zur Preisüberwachung siehe oben, Teil I, 4a (Wettbewerbspolitik).
[30] NZZ, 29.3.89.
[31] AS, 1989, S. 1856; BaZ, JdG und NZZ, 19.9.89.
[32] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 461 ff. und 495 ff.; Presse vom 16.3. und 17.3.89; vgl. SPJ 1988, S. 166 f.
[33] Amtl. Bull. StR, 1989, S. 421 ff., 683 f. und 845; Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1876 ff. und 2278; BBl, 1989, III, S. 1676 ff. Abgeschrieben wurden von beiden Räten Standesinitiativen der Kantone Freiburg und Genf betreffend obligatorische Verwendung von offiziellen Formularen beim Abschluss von Mietverträgen (Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1879 f.; Amtl. Bull. StR, 1989, S. 434 f.).