Année politique Suisse 1989 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
print
Kostenentwicklung
Dies soll auch im Hinblick darauf geschehen, die galoppierende Entwicklung der Gesundheitskosten besser in den Griff zu bekommen [2]. Da auf den Spitalsektor annähernd 50% des Gesamtaufwandes für das Gesundheitswesen entfallen, wurden vor allem hier Alternativen gesucht. Dabei standen die Bestrebungen um den Ausbau der Spitex-Leistungen im Vordergrund, deren Uneinheitlichkeit und unsichere Finanzierung Anlass zu zahlreichen Diskussionen gab [3]. Der Nationalrat überwies ein Postulat Fischer (cvp, LU), welches den Bundesrat ersucht, zu prüfen, ob nicht über die Invalidenversicherung angemessene Taggelder ausbezahlt werden könnten, da die spitalexterne Pflege von den Angehörigen grosse materielle Opfer verlangt [4]. Von frauenpolitischer Seite wurde befürchtet, Spitex werde das traditionelle Frauenbild weiter zementieren und zu bedenklichen Lücken in der Altersvorsorge derjenigen Frauen führen, die für die Pflege ihrer Angehörigen einen Erwerbsunterbruch in Kauf nehmen [5].
Der Preisüberwacher Odilo Guntern nahm die Ärztehonorare unter die Lupe. Seiner Ansicht nach bildet eine blosse Erhöhung des Indexes der Konsumentenpreise noch kein taugliches Kriterium zur Bestimmung einer allfälligen Preisanpassung bei den Arztkosten. Er folgte damit der Haltung des Bundesrates, der bereits 1 982 die Ärzteschaft in ihren — seiner Meinung nach ungerechtfertigten — Forderungen zurückband [6].
Zur Eindämmung der Gesundheitskosten wird auch der Prävention immer grössere Bedeutung beigemessen. Ende November rief die schweizerische Sanitätsdirektorenkonferenz (SDK) die Schweizerische Stiftung für Gesundheitsförderung ins Leben, welche landesweit Aktionen der Gesundheitsförderung und der Krankheitsvorbeugung mitfinanzieren, fachtechnisch unterstützen und koordinieren will. Die Kantone lösten damit ein Versprechen ein, da sie anfangs der achtziger Jahre die Schaffung eines Bundesgesetzes über Prävention mit der Begründung abgelehnt hatten, für diesen Bereich seien die Kantone zuständig [7].
Die starke Betonung der Prävention auf allen Ebenen ging einher mit einem wachsenden Unbehagen an der Schulmedizin, deren Zielsetzungen und Massnahmen vermehrt hinterfragt wurden. In einer parlamentarischen Initiative verlangte Nationalrat Hafner (gp, BE), dass die Bundesbehörden ihre Unterstützung der gesamtschweizerischen Impfkampagne gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) sofort einstellen sollten, da dadurch ein faktischer Impfzwang geschaffen werde, der die freiheitlichen Grundrechte verletze [8]. Das allgemein grosse Interesse für alternative Heilmethoden kam in einem vom Nationalrat überwiesenen Postulat Hafner zum Ausdruck, welches die Berücksichtigung der Erfahrungsmedizin insbesondere in der Arzneimittelkommission anregte, und das von 100 Parlamentarierinnen und Parlamentariern mitunterzeichnet worden war [9].
 
[2] BA für Sozialversicherung, Statistik über die Krankenversicherung: Einnahmen, Ausgaben und Krankenpflegekosten 1966-1987, Bern 1988; Gesch.ber. 1989, S. 130 f.; Lit. Gygi / Frei; A. Frei, "Entwicklung der Gesundheitskosten im Überblick", in Die Volkswirtschaft, 63/1990, Nr. 3, S. 16 ff. Zum abnehmenden Grenznutzen in unserem Gesundheitswesen siehe: G. Kocher, "Perspektiven unseres Krankheitswesens: Gesundheitspolitische Reformen oder blosse Rhetorik?", in Die Volkswirtschaft, 63/1990, Nr. 3, S. 10 ff.
[3] Der Nationalrat folgte der Empfehlung seiner vorberatenden Kommission und sprach sich dafür aus, die Spitex-Petition des 1. Schweizerischen Spitexkongresses, die u.a. die versicherungsmässige Gleichstellung von Spitex- und Spitalpatienten fordert, an die mit der Revision der Krankenversicherung beauftragte Kommission weiterzuleiten (Amtl. Bull. NR, 1989, S. 2131 f.). "Lobby für Spitex schaffen", in Traktandum Magazin, 1989, Nr. 2, S. 49 ff.: Siehe dazu auch Lit. Sommer und SPJ 1988, S. 194.
[4] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 600 f. Durch eine Änderung der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV) können ab 1.1.90 über die IV "angemessene Entschädigungen" ausgerichtet werden (AS, 1989, S. 1236 f. und ZAK, 1989, S. 296 f.).
[5] TW, 12.8.89. Auf diesen Umstand und die Tatsache, dass in diesem Gebiet viel zu wenig Daten bekannt sind, wiesen auch A. Fetz / E. Freivogel / S. Grossenbacher, Strukturwandel der Gesellschaft und Veränderung der Frauenrolle, Bern 1988, hin. Im Rahmen der 10. AHV-Revision gibt es deshalb auch Stimmen, die vorschlagen, Betreuungsgutschriften nicht nur für die Kindererziehung, sondern auch für die Betreuung pflegebedürftiger und alter Angehöriger einzuführen (Bund, 26.8.89).
[6] TA, 30.3.89. Dem Preisüberwacher wurden von acht Kantonen Tarifanpassungsanträge vorgelegt. Bei ZH, SO, NE, OW sowie UR lehnte er die Erhöhungen als nicht gerechtfertigt ab. Einzig Zürich folgte dieser Empfehlung nicht (Bund, 21.4.90).
[7] Presse vom 24.11.89.
[8] Verhandl. B.vers., 1989, IV, S. 24; BZ, 25.2.89; Presse vom 30.3.89; Ww, 4.5.89.
[9] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1724 f. Siehe dazu auch die Artikelserie zur Alternativmedizin in Traktandum Magazin, 1989, Nr. 2, S. 35 ff. Dem Trend folgend, bieten neuerdings einige Krankenkassen Zusatzversicherungen für alternative Behandlungsmethoden an (Bund, 19.1.89).