Année politique Suisse 1989 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
print
Aids
Die Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen und das Bundesamt für Gesundheitswesen (BAG) legten im April ihren Bericht "Aids in der Schweiz" vor. Gemäss dieser Studie wurden bis Ende 1988 in der Schweiz 10 279 HIV-positive Tests gemeldet; bei 702 Patienten war die Krankheit bereits ausgebrochen [12]. Der Bericht schätzt die Anzahl der in der Schweiz lebenden HIV-Positiven auf 20 000 bis 30 000 und rechnet bis 1991 mit 3500 Erkrankungen. Mit 7,62 Erkrankungen pro 100 000 Einwohner ist die Schweiz im europäischen Vergleich nach wie vor das am stärksten betroffene Land. Besonders gefährdet sind junge Erwachsene zwischen 20 und 35 Jahren. Während in früheren Jahren die Homosexuellen die Bevölkerungsgruppe mit der höchsten Aidsrate bildeten, nimmt seit 1986 die Atisbreitung bei den intravenös Drogensüchtigen enorm zu [13].
Davon ausgehend, dass am Anfang der Prävention die Information steht, wurde im März in Bern unter der Ägide des BAG das Informationszentrum "Aids Info-Docu Schweiz" gegründet, welches Unterlagen vermitteln und die Aktivitäten der verschiedenen Amtsstellen koordinieren soll [14]. Daneben führten das BAG und die "Aids-Hilfe Schweiz" mit neuen Plakatslogans und -sujets ihre landesweite "Stop Aids"-Kampagne weiter, deren Bedeutung für die Prävention durch einen Evaluationsbericht des Lausanner Universitätsinstituts für Sozial- und Präventionsmedizin wissenschaftlich untermauert wurde [15].
In diesem Klima der allgemeinen Sensibilisierung für die Aids-Problematik wurde mit Erstaunen und Bedauern zur Kenntnis genommen, dass Regierung und Parlament es weiterhin ablehnten, die für die angewandte klinische Forschung bestimmten Bundesbeiträge von jährlich drei auf acht Mio Fr. zu erhöhen, obgleich dies im Ende 1988 abgegebenen, allerdings unveröffentlichten Bericht der 1987 ins Leben gerufenen Eidgenössische Kommission zur Kontrolle der Aids-Forschung gefordert worden war [16].
Mit der Veröffentlichung ihres Aids-Konzepts gab sich die Verbindung der Schweizer Ärzte (FMH) eine gewisse "unité de doctrine". Die FMH sprach sich gegen HIV-Tests ohne Einwilligung der Patienten, aber für eine bessere epidemiologische Erfassung durch breitangelegte anonyme Testverfahren aus [17].
Einer weit verbreiteten Unsicherheit begegnete das BAG mit der Herausgabe einer Broschüre zum Thema "Aids und Arbeitsplatz", welche daran erinnerte, dass eine Aidserkrankung oder ein positiver Test an sich kein Kündigungsgrund sein dürfen, und welche die Arbeitnehmer aufforderte, von Stellenbewerbern oder Arbeitnehmern keinen HIV-Test zu verlangen [18]. Dieser Haltung schlossen sich die Arbeitgeber und der Schweizerische Gewerkschaftsbund an [19].
Die rechtlichen Aspekte der Infektion mit dem HIV-Virus wurden im Herbst an einer gemeinsamen Tagung von Arzten und Juristen, zu welcher das BAG und das Bundesamt für Justiz eingeladen hatten, ausgiebig erörtert. Die Tagungsteilnehmer sprachen sich dabei deutlich gegen eine repressive Politik im Sinn der im Epidemiengesetz vorgesehen Massnahmen aus, wie dies gewisse, dem privaten Verein "Aids-Aufklärung Schweiz" nahestehende Kreise angeregt hatten [20].
Die Eidg. Kommission für Aids-Fragen und das BAG veröffentlichten erstmals Zahlen über die volkswirtschaftliche Bedeutung von Aids. Dabei wiesen sie nach, dass Aids auf Jahre hinaus noch kein wesentlicher Faktor für die Kostenexplosion im Gesundheitswesen sein wird. Die indirekten Kosten (Arbeits-, respektive Produktionsausfall etc.) belaufen sich aber auf ein Mehrfaches [21].
 
[12] Im Herbst wurde die eintausendste Aids-Erkrankung gemeldet, und bis Ende Jahr stieg die Anzahl auf 1159 registrierte Fälle. Gegenwärtig verdoppelt sich die Zahl der ausgebrochenen Krankheiten alle 16 Monate (Gesch.ber. 1989, S. 116).
[13] Presse vom 6.4. und 24.10.89. Siehe auch SPJ 1988, S. 193.
[14] Presse vom 13.3.89. Das Zentrum gibt zweimonatlich die Broschüre Aids-Infothek heraus. Ab Sommer erschien neu auch das Magazin Stop der Aids-Hilfe Schweiz.
[15] NZZ, 11.4.89; Presse vom 3.5.89.
[16] SGT, 1.12.89. In der Wintersession wurde bei der Budgetberatung ein entsprechender Antrag Günter (Idu, BE) deutlich abgelehnt (Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1919 ff.). Der StR genehmigte den Voranschlag, ohne diese Frage überhaupt aufzuwerfen (Amtl. Bull. StR, 1989, S. 639 ff. und 812ff.).
[17] Presse vom 21.11.89.
[18] Aids und Arbeitsplatz: medizinische und rechtliche Aspekte, Bern 1989; Presse vom 25.4.89.
[19] SAZ, 26, 29.6.89; Gewerkschaftliche Rundschau, 81/1989, S. 108 ff.; Presse vom 17.5.89.
[20] NZZ, 16.5. ("Aids-Aufklärung Schweiz") und 18.10.89 (Tagung).
[21] "Wirtschaftliche Aspekte der Immunschwäche-Krankheit AIDS", in Die Volkswirtschaft, 63/1990, Nr. 3, S. 25 ff.