Année politique Suisse 1989 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport
 
Suchtmittel
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Drogen
In Anbetracht des sich ständig zuspitzenden Elends in der Drogenszene herrschte ein allgemeiner Konsens darüber, dass der Bekämpfung des Drogenhandels in Zukunft ein viel grösseres Gewicht beigemessen werden müsse. Sowohl die Motion Cavadini (fdp, TI), die nun auch vom Ständerat überwiesen wurde, wie auch die Schlussfolgerungen des PUK-Berichts verlangten den Ausbau der Zentralstelle für die Drogenbekämpfung und eine bessere interkantonale Koordination. In unzähligen Zeitungskommentaren wurden dieselben Forderungen erhoben [30]. Im November beschloss der Bundesrat, dem UNO-Übereinkommen gegen den illegalen Handel mit Betäubungsmitteln und psychotropen Substanzen beizutreten [31]. Bereits anfangs Jahr hatte er den Text eines Briefwechsels zwischen der Schweiz und Grossbritannien, welcher vermehrte Rechtshilfe vorsieht, genehmigt [32].
Bedeutend umstrittener war nach wie vor die Frage nach dem Umgang mit den Drogensüchtigen. Neu lanciert wurde die Debatte durch die Publikation des Berichtes "Aspekte der Drogensituation und der Drogenpolitik in der Schweiz", der im Auftrag des Bundesrates von der Subkommission Drogenfragen der Eidg. Betäubungsmittelkommission erstellt worden war. Die Autoren des Berichts befürworteten eine generelle Straffreiheit für den Drogenkonsum und den Besitz von Kleinstmengen zum Eigengebrauch sowie ein niedrigeres Strafmass für süchtige Dealer, empfahlen aber eine schärfere Verfolgung des Handels. Eine generelle Unterscheidung zwischen "harten" und "weichen" Drogen lehnten sie aus fachlichen Gründen ab, ebenso die staatlich kontrollierte Abgabe von Heroin an Süchtige; dafür wurden Ersatzprogramme, in erster Linie mit Methadon, und die Schaffung von geeigneten Auffangstrukturen befürwortet [33].
In der anschliessenden Vernehmlassung in den Kantonen zeigte sich, dass der traditionelle "Röstigraben" nun auch von einen "Haschischgraben" überlagert wird [34]. Während sich die deutschsprachigen Kantone – zum Teil zwar mit gewissen Vorbehalten in bezug auf die Straffreiheit beim Konsum von "harten" Drogen, vereinzelt aber auch mit weitergehenden Empfehlungen, z.B. der Abgabe von Heroin an Süchtige – für die im Drogenbericht enthaltenen Vorschläge aussprachen, lehnten die welschen Kantone und der Tessin jegliche Straffreiheit kategorisch ab [35]. Interessant war dabei die Haltung der Zürcher Kantonsregierung, die sich für eine Liberalisierung bei den "weichen" Drogen aussprach, den Handel und Konsum von "harten" Drogen aber weiterhin unter Strafe stellen möchte und die Abgabe von Heroin an Süchtige ablehnte. Sie stellte sich damit in einen gewissen Widerspruch zum Zürcher Kantonsrat, der im September die Regierung aufgefordert hatte, eine Standesinitiative einzureichen, welche eine Liberalisierung des Betäubungsmittelgesetzes in dem Sinne verlangen sollte, dass der Handel und Konsum von Drogen geringer Gefährlichkeit und der Konsum sowie die Beschaffung der übrigen Drogen zum Eigengebrauch straffrei werden sollten [36].
Über die Gefährlichkeit oder Harmlosigkeit der sogenannten "weichen" Drogen stritten sich auch die Gerichte. Im Januar stufte das Zürcher Bezirksgericht bei der Bemessung des Strafmasses Haschisch als für die Gesundheit relativ unbedenklich ein, wurde dabei aber knapp einen Monat später von der ihm übergeordneten Instanz zurückgepfiffen. Das Urteil des Zürcher Obergerichts wurde im Oktober vom Bundesgericht geschützt [37].
Während alle Parteien ausnahmslos eine härtere Gangart gegen den gewinnorientierten Drogenhandel und mehr Einsatz bei der Prävention forderten, wichen ihre Auffassungen beim Umgang mit den Drogensüchtigen zum Teil recht stark voneinander ab. Die SVP nahm dabei eine besonders repressive Haltung ein. Sie machte die ihrer Ansicht nach zunehmend permissive Haltung in der Drogenfrage für die Ausbreitung des Drogenelends verantwortlich, lehnte jede Art der Straffreiheit des Konsums sowie die medizinisch überwachte Abgabe von Heroin ab und verlangte eine konsequente Beachtung der geltenden gesetzlichen Vorschriften [38]. Auch CVP und EVP wollten am Ziel einer drogenfreien Gesellschaft festhalten, den Konsum weiterhin unter Strafe stellen und die kontrollierte Abgabe von Heroin nicht zulassen [39]. Die FDP sprach sich – mit Vorbehalten – für eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums aus, aber gegen eine Abgabe von Heroin unter ärztlicher Aufsicht [40]. Damit wich sie von der Auffassung ihrer Sektionen in den Städten Basel und Zürich ab, welche — mit dem täglichen Drogenelend besonders konfrontiert — die Prüfung der kontrollierten Heroinabgabe an Süchtige befürwortet hatten [41].
Die SP stimmte der Entkriminalisierung des Drogenkonsums zu und wünschte mehr Uberlebenshilfe für die Süchtigen, was auch die therapeutische Abgabe von Heroin miteinschliessen sollte. Sie erinnerte daran, dass im Nationalrat nach wie vor eine parlamentarische Initiative ihres Abgeordneten Rechsteiner (SG) hängig ist, welche sich für die Straffreiheit des Drogenkonsums, für eine Teilentkriminalisierung des Handels mit Cannabisprodukten sowie für eine Herabsetzung des Strafmasses einsetzt [42]. Der Landesring sprach sich ebenfalls für eine Straffreiheit des Drogenkonsums aus und wiederholte seine bereits im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Aids gestellte Forderung nach ärztlich kontrollierter Abgabe von Heroin. In diesem Sinn hatte der Berner Nationalrat P. Günter im Juni eine Motion im Parlament eingereicht [43]. Die Grüne Partei verlangte ebenfalls die Entkriminalisierung des Konsums und einen kontrollierten, regelmässigen und legalen Zugang zu den Suchtmitteln [44].
Während die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren den straffreien Drogenkonsum einstimmig ablehnte, äusserten sich einige Polizeidirektoren positiv gegenüber einer medizinisch überwachten Abgabe von "harten" Drogen, obgleich sie bezweifelten, dass damit dem illegalen Drogenhandel wirksam begegnet werden könnte [45]. Die Eidg. Kommission für Jugendfragen wollte ebenfalls den Drogenkonsum entkriminalisieren, die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände forderte die staatlich kontrollierte Abgabe, während der Verband Schweizerischer Drogenfachleute gar für ein Staatsmonopol im Drogenhandel eintrat [46].
Eine Umfrage bei rund 1000 Personen nannte das Drogenproblem die momentane Hauptsorge der Schweiz (72% gegen 71 % für den Umweltschutz). 45% wünschten sich bessere soziale Einrichtungen für die Drogenabhängigen, 31% waren für ein härteres Durchgreifen der Polizei und 18% befürworteten den straffreien Konsum [47].
Bei dieser nach wie vor unklaren Lage auf Bundesebene kam der Politik derjenigen Städte, welche eine grosse Drogenszene kennen, besondere Bedeutung zu. Bern ist seit Jahren führend in der Überlebenshilfe für Drogensüchtige. Ein juristisches Gutachten bestätigte jetzt die Legalität seiner "Fixerstübli", d.h. jener von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellten geschützten Räume, in den Drogen konsumiert und medizinische und soziale Beratung eingeholt werden können. Andere deutschschweizerische Städte, so z.B. Zürich und Basel, zogen nun zumindest teilweise nach, während in der Westschweiz weiterhin auf Repression gesetzt wurde [48].
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Tabak und Alkohol
Die beiden Volksinitiativen ("Zwillingsinitiativen") "zur Veminderung der Tabakprobleme" und "zur Verminderung der Alkoholprobleme" wurden am 11. Oktober mit 115 210 bzw. 110 648 Unterschriften eingereicht [49]. Als Erfolg durften die in dieser Hinsicht sensibilisierten Kreise auch den Umstand werten, dass der Nationalrat bei der Beratung des neuen Radio- und Fernsehgesetzes dem bundesrätlichen Vorschlag eines zwingenden Verbotes der Tabak- und Alkoholwerbung (Art. 17, Abs. 5) mit 118 zu 68 Stimme den Vorzug gab gegenüber der Empfehlung der Mehrheit der vorberatenden Kommission, welche für eine "Kann"-Formulierung plädiert hatte [50].
Im August legte die Eidgenössische Kommission für Alkoholfragen ihren "Alkoholbericht" vor, der darauf hinwies, dass Alkohol immer noch das sozialmedizinische Problem Nr. 1 ist. Der Bericht formulierte verschiedene Empfehlungen an die Behörden von Bund und Kantonen und legte besonderes Gewicht auf die Prävention. Das relativ dichte Ausschanknetz stand dabei im Visier der Kommission; ebenfalls ins Gespräch gebracht wurde eine Erhöhung des Ausschankalters für Jugendliche und eine verstärkte fiskalische Belastung von Wein und Bier. Der Bundesrat nahm vom Bericht Kenntnis, erteilte aber keine konkreten Aufträge zu seiner Auswertung [51].
 
[30] Amtl. Bull. StR, 1989, S. 278 ff.; PUK-Bericht, S. 86 ff. Während man 1987 196 Drogentote zählte, waren es 1988 210 und 1989 248 (Presse vom 7.1.89 und 25.1.90). Damit steht die Schweiz im gesamteuropäischen Vergleich an der Spitze (Presse vom 10.5.89). Zur Bekämpfung des Drogenhandels siehe oben, Teil I, 1b (Strafrecht).
[31] NZZ, 2.11.89. In einem in der Wintersession überwiesenen Postulat Segmüller (cvp, SG) wird der Bundesrat beauftragt zu prüfen, ob ein Beitritt der Schweiz zum internationalen Übereinkommen von 1971 über psychotrope Substanzen angezeigt wäre (Amtl. Bull. NR, 1989, S. 2238 f.).
[32] BBl, 1989, II, S. 496 ff.; NZZ, 12.1.89.
[33] Presse vom 20.6.89; DP, 29.6.89.
[34] Bund, 18.11.89.
[35] Suisse, 13.11.89; Bund, 18.11.89.
[36] TA und NZZ, 4.11.89.
[37] TA, 21.1. und 25.10.89; Presse vom 15.2.89. Siehe dazu auch R. Schumacher, "Strafrichter begehren gegen das Betäubungsmittelgesetz auf", in Plädoyer, 7/1989, Nr. 2, S. 6 ff.
[38] SVP Pressedienst, Nr. 43, 31.10.89, S. 6 f. In einer Interpellation der Fraktion gab die Partei ihrer Besorgnis über die "alarmierenden Aufweichungstendenzen" in der schweizerischen Drogenpolitik Ausdruck ( Verhandl. B. vers., IV, 1989, S. 45). Zu den z.T. recht pointierten Aussagen einzelner Vertreter der Zürcher SVP siehe Bund, 2.9. und 9.11.89.
[39] NZZ, 13.12.89. Die JCVP nahm eine bereits früher aufgebrachte Idee wieder auf und forderte die Legalisierung von Cannabis, durch dessen staatlich kontrollierten Anbau auch die Bergbauern eine zusätzliche Einnahmequelle finden könnten (Presse vom 7.7.89).
[40] NZZ, 1.11.89. Zur Diskussion innerhalb der Partei siehe auch Der Freisinn, Nr. 9 und 10, Sept.-Okt. 1989.
[41] BaZ, 26.1.89.
[42] SPS Pressedienst, Nr. 283, 5.12.89, S. 12; Verhandl. B.vers., 1989, IV, S. 21.
[43] NZZ, 1.9.89. Im Parlament konnte über die Motion keine Einigung erzielt werden; die Diskussion wurde deshalb auf später verschoben (Amt. Bull. NR, 1989, S. 1703 f.).
[44] NZZ, 1.11.89.
[45] Vat., 2.8.89; Bund, 9.11.89.
[46] NZZ, 29.9. und 12.10.89; Presse vom 15.12.89.
[47] Schweizerische Kreditanstalt, Bulletin, 1989, Nr. 10, S. 6.
[48] Lit. Schultz. Zu Berns Pionierrolle siehe "In Bern fixen sie 'sauber'", in Traktandum Magazin, 1989, Nr. 2, S. 7 ff. Für die Haltung der anderen Städte siehe Bund, 25.11. und 30.12.89.
[49] BBl, 1990, I, S. 923 ff. und 926 ff.; Presse vom 12.10.89. Siehe auch SPJ 1988, S. 199.
[50] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1627 ff.
[51] Presse vom 25.8.89. Siehe auch R. Müller, Plädoyer für eine offensive Gesundheitspolitik: Alkohol, Politik, Prävention, hg. im Auftrag der Eidg. Kommission für Alkoholfragen, Lausanne 1989.