Année politique Suisse 1989 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises
Sprachgruppen
Seit 1983 ist das Finanzdepartement beauftragt, alle zwei Jahre eine Aufschlüsselung der in den oberen Besoldungsklassen gewählten Bundesbeamten vorzulegen. Von den 1986 und 1987 gewählten Personen waren 79% deutscher, 17,7% französischer und 2,8% italienischer Muttersprache, womit die Deutschschweizer nach wie vor im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung etwas übervertreten sind. Die ebenfalls 1983 erlassene Weisung, wonach Direktor und Vizedirektor eines Bundesamtes nach Möglichkeiten aus zwei verschiedenen Sprachregionen stammen sollten, konnte bisher nur für die Hälfte der Bundesämter erfüllt werden; nur 11 der rund 90 Bundesämter werden zudem von nicht deutschsprachigen Direktoren geleitet
[26].
Derartige Feststellungen sind selbstverständlich nicht geeignet, den Eindruck der Welschen, sie würden als sprachliche Minderheit nicht genügend ernstgenommen, abzubauen. Ebensowenig wie der Entscheid des Bundesrates, erneut einen Deutschschweizer zum Generalstabschef zu ernennen
[27]. Und gar nicht goutiert wurde, dass der Berner Ständerat Hänsenberger (fdp) bei der Diskussion der Parlamentarischen Initiative de Chastonay (cvp, VS) zur Bildung einer schweizerischen Gruppe der Internationalen Vereinigung der Parlamentarier französischer Sprache (AIPLF) vor einem "wachsenden lateinischen Dünkel" warnte, der den Sprachfrieden mehr stören könnte als die Deutschschweizer Mundartwelle. Als Trost für diesen Affront konnten die welschen "compatriotes" zur Kenntnis nehmen, dass die Initiative de Chastonay in beiden Räten praktisch einstimmig angenommen wurde
[28].
Der Beschluss des Bundesrates, die Schweiz solle vollberechtigt und nicht nur mit Beobachterstatus am dritten
Frankophoniegipfel in Dakar teilnehmen, wurde in der Romandie mit Genugtuung aufgenommen, in die sich allerdings auch leichte Bitterkeit mischte, da es der Bundesrat nicht für nötig hielt, zumindest ihren französischsprachigen Aussenminister an das von Staats- und Regierungschefs besuchte Treffen zu delegieren. Die Landesregierung hatte eine vollberechtigte Teilnahme an den ersten beiden Gipfeln von Paris (1986) und Quebec (1987) aus Gründen der Neutralität abgelehnt. Ganz wich der Bundesrat allerdings auch jetzt nicht von seiner bisherigen Haltung ab: die Schweizer Delegation unter der Leitung von EDA-Staatssekretär Jacobi brachte gleich zu Beginn des Gipfeltreffens einen Vorbehalt an und erklärte, dass sich die Schweiz an allfällige politische Resolutionen nicht gebunden fühle, wenn sie den aussenpolitischen Grundsätzen unseres Landes widersprächen
[29].
Um einen Minderheitenstreit mit umgekehrten Vorzeichen ging es im
Kanton Freiburg. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert kämpfen die Deutschfreiburger – rund ein Drittel der Kantonsbevölkerung – um ihre sprachliche Gleichberechtigung. Sieben Jahre nach Entgegegennahme einer entsprechenden Motion Jutzet (sp) präsentierte der Freiburger Staatsrat nun seine Vorstellungen über das künftige Zusammenleben der beiden Sprachen und löste damit fast einen Sprachenkrieg aus: er trat nämlich nicht nur für die sprachliche Gleichberechtigung ein, er wollte auch ganze Gegenden zu "gemischten Gebieten" erklären, wie dies faktisch in den Städten Freiburg und Murten bereits der Fall ist. Diese Durchlöcherung des Territorialitätsprinzips erregte den geballten Zorn der Romands weit über die Kantonsgrenzen hinaus, weil sich diese "poches mixtes" alle im traditionell französischsprachigen Kantonsteil befänden und damit der wirtschaftlich bedingten "germanisation rampante" noch zusätzlich Vorschub geleistet würde. Genauso erbittert hatte die welsche Mehrheit einige Monate zuvor den Wunsch der Deutschfreiburger bekämpft, am Gericht des Saanebezirks eine deutschsprachige Abteilung einzurichten
[30].
Nicht weniger stürmisch ging es im
Kanton Graubünden zu und her, wo die Einführung des "
Rumantsch Grischun" (RG), das gemäss einer SRG-Umfrage von 73,7% der Rätoromanen verstanden wird, immer mehr zu einer Art Glaubenskrieg eskalierte. Die Gegner der Kunstsprache lehnen das RG als plakative Schriftsprache nicht grundsätzlich ab, prophezeien aber, dass dessen zu extensiver Gebrauch – beispielsweise in einer Zeitung oder in Schulbüchern – für die historisch und harmonisch gewachsenen Idiome das Ende bedeuten werde. Während bisher die Diskussionen zwar emotional, aber durchwegs korrekt geführt worden waren, schlugen die Gegner nun plötzlich neue und schrille Töne an: von Genozid war die Rede, von Sprachimperialismus und von Nazimethoden. In einer Resolution verlangten sie ein mehrjähriges Moratorium sowie eine genaue und verbindliche Definition für das RG in allen seinen Anwendungen. Diese Opposition veranlasste auch die Befürworter des RG zu gesteigerter Aktivität. Mehrere namhafte Rätoromanen publizierten ein "Romanisches Manifest", in welchem sie dafür plädierten, dem RG eine Chance einzuräumen. Das Manifest wurde innert weniger Wochen von mehr als 1000 Personen mitunterzeichnet. Zur Förderung des RG wurde der Verein "Uniun rumantsch grischun" (URG) gegründet
[31]. Schützenhilfe erhielt das RG aber auch weiterhin vom Bund: anfangs Jahr wurden in Chur die erstmals auch in RG ausgestellten Schweizer Pässe vorgestellt, in welchen die allgemeinen Angaben in den vier Landessprachen und in Englisch figurieren und die persönlichen Eintragungen für Einwohner des Kantons Graubünden auf Wunsch in RG vorgenommen werden können. Derart unterstützt beschloss die Lia Rumantscha (LR), das kulturelle und sprachliche Dachorgan der Rätoromanen, den Versuch mit RG um weitere drei Jahre zu verlängern
[32].
Unterstützung erhoffen sich die sprachlichen Minderheiten von den Schlussfolgerungen des umfangreichen Berichts "
Zustand und Zukunft der viersprachigen Schweiz", den eine vom EDI eingesetzte Expertengruppe erarbeitet hatte und der im September in allen vier Landessprachen der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Der Bericht stellte fest, dass die Sprachenvielfalt der Schweiz in beunruhigendem Mass zu einem Nebeneinander verschiedener Sprachen geworden ist, ohne genügende Kenntnisse, hinreichendes Interesse und notwendiges Verständnis einer Sprachgruppe für die je anderen Sprachen und Kulturen, und dass die Schweizer ein merkwürdig distanziertes und weitgehend unreflektiertes Verhältnis zur Bilinguität oder Plurilinguität unterhalten. Die Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz des Berner Staatsrechtlers P. Saladin analysierte die Grundbedingungen der Erhaltung kommunikativer Viersprachigkeit und schlug in den hierfür sensiblen Bereichen (Bildungswesen, Medien, öffentliche Verwaltung etc.) Massnahmen zur Verbesserung der intrasprachlichen und interkulturellen Verständigung vor. Gleichzeitig stellte sie zwei Varianten für einen neuen Sprachenartikel in der Bundesverfassung zur Diskussion: eine kürzere, offenere und eine ausführlichere, dichtere Version. Inhaltlich stimmen die beiden Varianten jedoch weitgehend überein: Bund und Kantone sind zuständig für die Erhaltung der vier Landessprachen, die Sprachenfreiheit bleibt garantiert, doch wird im Interesse der bedrohten Minderheiten das Territorialitätsprinzip – je nach Variante – explizit oder implizit in der Verfassung verankert. Die Experten unterstrichen aber wiederholt, dass mit einem Verfassungsartikel die gegenwärtigen Sprachenprobleme der Schweiz nicht gelöst werden können, da die Lebenskraft einer Sprache letztlich vom Willen einer Bevölkerungsgruppe abhänge, die Sprache selber zu pflegen, und von der Bereitschaft der Gesamtbevölkerung, die Minderheiten zu respektieren. Der Bundesrat nahm von dem Bericht, der für seine Ausführlichkeit und Sorgfalt allgemein gelobt wurde, Kenntnis und gab ihn in eine breite Vernehmlassung
[33].
[26] NZZ, 5.4.89; Bund, 28.11.89. Stimmen aus der Romandie meinten, die Attraktivität Berns könnte sich für französischsprachige Kaderleute erhöhen, wenn der Kanton die Ecole française de Berne mit einer Gymnasialstufe dotieren würde (24 Heures, 10.4.89).
[28] Amtl. Bull. NR, 1989,S. 1107 ff. (Annahme mit 89:1 Stimmen) und S. 1809 (Schlussabstimmung: einstimmige Annahme); Amtl. Bull. StR, 1989, S. 543 f. (Annahme mit 25:1 Stimmen) und S. 624 (Schlussabstimmung: Annahme mit 35:1 Stimmen); Suisse, 9.10.89; 24 Heures, 30.10.89.
[29] Presse vom 20.4. und vom 24.-27.5.89. Wortlaut des Schweizer Vorbehalts: K. Jacobi, "La Suisse et la Francophonie", in Documenta, 1989, Nr. 2, S. 27. Siehe dazu auch oben, Teil I, 2 (Organisations internationales) und SPJ 1986, S. 193 f.
[30] Sprachenartikel: Suisse, 22.10.89; Lib., 23.10., 27.10., 28.10. und 30.11.89; LM, 27.10.89. Gericht: Suisse, 23.2.89; Lib., 12.4., 24.5. und 20.9.89.
[31] Verbale Attacken der Gegner: BüZ, 8.4., 28.4., 28.6. und 16.8.89; BaZ, 10.6. und 28.7.89; CdT, 16.6.89. Umfrage der SRG: BüZ, 9.1.89. Resolution der Gegner: BüZ, 17.4.89. Romanisches Manifest: BüZ, 6.5. und 12.5.89; Suisse, 12.5. und 30.5.89. Gründung eines Fördervereins: BüZ, 16.6.89.
[32] Schweizer Pässe: BüZ, 13.1.89. DV der LR: BüZ, 12.6.89; NZZ, 16.6.89. Zur LR und deren Finanznöte siehe: BüZ, 24.10., 28.10., 17.11. und 11.12.89; NZZ, 26.10. und 11.12.89. Die prekäre Finazlage führte die LR auch dazu, die Vorarbeiten für die geplante Zeitung "Quotidiana" zurückzustellen.
[33] Siehe Lit. Zustand und Zukunft...; Presse vom 5.9.89. BR Cotti zur Mehrsprachigkeit der Schweiz: SGT, 28.4.89. Siehe auch SPJ 1988, S. 242.
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