Année politique Suisse 1989 : Enseignement, culture et médias / Médias
Medienpolitische Grundfragen
Im Zeitalter der totalen Vernetzung verschiedenster Kommunikationsmittel auf europäischer und weltweiter Ebene beginnen nicht nur Medienpolitiker sich zu fragen: Wieviel Medien braucht der Mensch? Gerade im TV-Bereich hat eine UNIVOX-Untersuchung gezeigt, dass ein gewisser Sättigungsgrad erreicht ist. Die meisten Zuschauer schalten nämlich die Hälfte ihrer empfangbaren Programme kaum je ein, und nur 16% wünschen sich noch mehr Programme
[1].
Mit den Beratungen über das neue Radio- und Fernsehgesetz ist auch die Diskussion um die Werbeordnung vor allem am Fernsehen wieder in die Öffentlichkeit getragen worden. Obwohl mehrheitlich die Meinung vorherrscht, dass in der Schweiz keine "amerikanischen Verhältnisse" Einzug halten sollen, ist die Tendenz trotzdem gegenläufig. Die europäische Fernsehkonvention, welche die Schweiz mitunterzeichnet hat, sieht denn auch die Unterbrechung von Sendungen durch Werbung vor
[2].
Weiteren Zündstoff hat die Kontroverse um "
Brutalo"-Filme erhalten, weil das Fernsehen DRS im Rahmen der Sendung "limit" einen solchen Film gezeigt hat. Auf gesetzlicher Ebene ist eine Strafgesetzbuch-Revision abgeschlossen worden, die Gewaltdarstellungen in Bild und Ton, welche die elementare Würde des Menschen in schwerer Weise verletzen, verbietet. Ein von einem Genfer "Comité anti-censure" lanciertes Referendum gegen diesen "Zensurartikel" kam nicht zustande, obwohl verschiedene Kulturschaffende, Videohändler und auch die eidgenössische Filmkommission ähnliche Einwände gegen den neuen StGB-Artikel vorbrachten wie das Genfer Komitee. Allen gemeinsam war das Argument, dass das Verbot eine künstlerische Zensur ermögliche und zudem einen blühenden Schwarzhandel mit Videokassetten zur Folge haben werde
[3].
Verschiedene Sendungen am Fernsehen und Radio haben die Sensibilität der Bevölkerung in bezug auf die Rolle der Medien und deren Spielraum in der Demokratie herausgefordert. So ist die Unabhängige Beschwerdeinstanz (UBI) als Repräsentantin der Kontrolle über die staatlichen Medien ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Andererseits forderten Journalistenverbände eine Verstärkung ihrer eigenen Position in Form des Rechts zur Zeugnisverweigerung, um eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber staatlichen und privaten Institutionen bewahren zu können. Ein solches Zeugnisverweigerungsrecht ist im Entwurf des neuen Mediengesetzes des Kantons Solothurn erstmals verankert
[4].
Die
Affäre Kopp lieferte im Dezember eine Illustration zum nicht unproblematischen Verhältnis zwischen den bisweilen stark am Unterhaltungswert orientierten Medien und der Politik: Elisabeth Kopp, die sich bis anhin geweigert hatte, in einem Interview öffentlich zu den gegen sie vorgebrachten Anschuldigungen Stellung zu nehmen, trat in der TV-Unterhaltungssendung "Supertreffer" auf. Empörte Zuschauer warfen den Produzenten hierauf vor, sie hätten mit diesem Auftritt das politische Image der alt-Bundesrätin aufpolieren wollen und damit das Medium Fernsehen missbraucht
[5].
Bei der Tages-Anzeiger AG gab die Entlassung des Korrektors Roland Kreuzer, welcher zugleich Präsident der GDP-Sektion Zürich ist, Anlass zu einer langen Polemik. Gewerkschafter und Medienschaffende kritisierten das Management, sich über gewerkschaftliche Rechte und Arbeitsschutzbestimmungen hinwegzusetzen und unbequeme Mitarbeiter unter dem Vorwand des Verstosses gegen Treu und Glauben zu eliminieren. Eine Solidaritätsaktion von Mitarbeitern und Abonnenten rief zu einem Abonnementsboykott auf
[6].
Umstritten waren auch die Polizeieinsätze an mehreren Demonstrationen in Basel und Zürich, bei denen Ordnungshüter Medienschaffende zum Teil mit Gewalt an der Ausübung ihrer Funktion hinderten
[7].
Dass Recherchierjournalismus beim Radio sehr unbequem werden kann, haben zwei DRS-Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin anlässlich ihres Beitrags zur Geschichte der Firma Villiger in der Sendung "z.B." erfahren. Das Team hatte versucht, die Geschichte der Firmen der Familie des neu gewählten Bundesrates Kaspar Villiger vor und während der Zeit des zweiten Weltkrieges nachzuzeichnen; dabei war umstritten, wie weit das Unternehmen in die Wirtschaft des Nazi-Staates integriert war. Verschiedene Klagen und Konzessionsbeschwerden, die monierten, dass es die Absicht der Sendung gewesen sei, Bundesrat Villiger mit der Darstellung der Unternehmenspolitik seines Vaters zu kompromittieren, folgten unverzüglich nach der ausgestrahlten Sendung. SRG-Generaldirektor Riva konnte den Konflikt entschärfen,, indem er vor allem die Gewichtung der Sendung und die Plazierung innerhalb des Programms kritisierte, nicht aber den Inhalt an und für sich. Dies hatte jedoch weitere Auseinandersetzungen zwischen der SRG-Leitung und der FDP-Parteispitze zur Folge. Das Beispiel zeigte, wie schwierig für die Medien die kritische Behandlung eines umstrittenen Themas in der Öffentlichkeit ist. Noch deutlicher wurde dies bei den Klagen von Mohamed Shakarchi, der in seinem Namen und in dem der Shakarchi Trading SA von allen drei Fernsehketten eine Genugtuung von insgesamt 8 Mio Fr. verlangte. Ihm seien durch eine gezielte Vorverurteilungskampagne wegen Drogengeldwäscherei im Rahmen der Kopp-Affäre massive Geschäftseinbussen zugefügt worden
[8].
[1] TA, 6.7.89. Univoxumfrage zum Mediengebrauch: TA, 11.1.89. Univoxumfrage über Freizeitverhalten, welche den Stellenwert der Medien auch erfasste: SGT, 12.10.89.
[2] Siehe Abschnitt über Satelliten- und Privatfernsehen; vgl. auch Lit. Morf.
[3] Allgemein zum Thema: SPJ 1988, S. 249; SJU news, Juni, 1989; L'Hebdo, 23, 8.6.89. StGB-Revision: siehe oben, Teil I, 1b (Strafrecht). Genfer Komitee: JdG, 5.7.89; 24 Heures und LM, 6.7.89; Bund, 28.7.89.
[4] Neue Sendungen: TA, 7.4.89. Zu "limit" vgl. Abschnitt über die UBI. Satiresendung "übrigens": TA, 10.3.89. Das Thema Rassismus in der Sendung "Zischtigsclub": TA, 24.8.89. UBI: Babylon, März 1989. Zeugnisverweigerungsrecht: SJU news, August/September und Oktober 1989; SZ, 29.6.89; NZZ, 15.7.89; BaZ, 24.8.89. Zum Solothurner Gesetz siehe unten, Teil II, 6e.
[5] TA, 19.12.89. Allgemein zur Macht der Medien siehe Politik und Wirtschaft, 1989, Nr. 2, S. 22 ff. und SPJ 1988, S. 256.
[6] TA und NZZ, 14.1.89; WoZ, 28.4.89; SJU news, Februar und Mai 1989; TA-Sonderausgabe, 20.2.89. Hintergrund: NZZ, 23.2. und 14.3.89; Klartext, 1989, Nr. 2; Bresche-Magazin vom 3.3. und 6.6.89. Abo-Boykott: TA, BaZ und Vr, 7.6.89.
[7] SJU news, 1989, Juni und August/September; Klartext, 1989, Nr. 4; BaZ, 8.6.89; siehe auch Lit. Brühlmeier.
[8] Villiger: NZZ, 30.3. und 5.4.89; Bund, 1.4.89; TW, 4.4.89; Info extern SRG, 1989, März; Klartext, 1989, Nr. 3; SJU news, 1989, Mai. Shakarchi: Suisse, 21.11.89; NZZ, 22.11.89.
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