Année politique Suisse 1990 : Eléments du système politique / Institutions et droits populaires / Parlament
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Immunität
Das Parlament musste sich verschiedentlich mit Gesuchen um die Aufhebung der Immunität einzelner seiner Mitglieder befassen. So hatte Nationalrat Sager (svp, BE) 1988 gegen seinen Ratskollegen Bäumlin (sp, BE) Strafklage wegen Verleumdung bzw. übler Nachrede eingereicht. Da die beanstandete Äusserung von Bäumlin ursprünglich im Rahmen der Parlamentsarbeit gemacht und erst nachträglich publiziert worden war, lehnten beide Kammern auf Antrag der Petitionskommission die Immunitätsaufhebung diskussionslòs ab. Zu einem gleichen Entscheid — bei allerdings recht starker Opposition — kam es im Fall von Nationalrat Günter (ldu, BE), gegen den die Justizbehörden ein Verfahren wegen der Unterbringung eines abgewiesenen Asylbewerbers eröffnen wollten. Bei Entscheiden über die Aufhebung der Immunität verfügtdas Parlament jeweils über einen gewissen Handlungsspielraum, welche Tätigkeiten es als in Zusammenhang mit der Ausübung des parlamentarischen Mandats stehend betrachten will [44].
Diesen Zustand wollte Nationalrat Ruf (sd, BE) ändern. Er hatte 1987 mit einer parlamentarischen Initiative verlangt, dass nur noch die im Plenum oder in den Kommissionen gemachten Äusserungen straffrei bleiben sollen. Der Rat lehnte diese restriktive Regelung deutlich ab, ohne allerdings das Problem der Abgrenzung zwischen mandatsbedingten — und damit vor Strafverfolgung geschützten — und anderen Tätigkeiten eingehend zu erörtern. Dies soll allerdings nachgeholt werden: die zuständige Kommission beschloss, zu diesem Thema im Februar 1991 ein Seminar mit Staatsrechtlern abzuhalten [45].
Eine Mehrheit des Nationalrats sah die Ehre des schweizerischen Pailamentés durch Äusserungen beleidigt, welche Nationalrat Ziegler (sp, GE) in ausländischen Medien gemacht hatte. Stein des Anstosses war vor allem seine Aussage in einer Fernsehsendung des Süddeutschen Rundfunks, dass 70% der Parlamentarier Verwaltungsratsmitglieder von Grossbanken seien (in Wahrheit sind es 4,5%) und dass das Parlament korrupt sei. Die Volkskammer überwies mit 83:54 Stimmen eine Motion, welche vom Ratsbüro verlangt, den Wahrheitsgehalt dieser Anschuldigungen abzuklären und gegebenenfalls eine Entschuldigung..von Ziegler einzuholen und diese der Offentlichkeit bekannt zu machen [46]. Die mündlichen und schriftlichen Aussagen Zieglers werden das Parlament auch weiterhin beschäftigen. So reichte ein Genfer Untersuchungsrichter ein Gesuch um Immunitätsaufhebung wegen einer Verleumdungsklage eines Genfer Geschäftsmannes ein. Die zuständige Nationalratskommission beschloss, dem Plenum die Ablehnung des Gesuchs zu beantragen. In Zusammenhang mit seinem in Paris erschienen Buch La Suisse lave plus blanc ist Ziegler in Frankreich, wo ihn keine Immunität schützt, im Verlauf des Berichtsjahres in mehreren Fällen wegen Verleumdung bzw. Beschimpfung eingeklagt und zum Teil bereits verurteilt worden [47].
 
[44] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 670 ff. (Bäumlin) und 1234 ff. (Günter); Amtl. Bull. StR, 1990, S. 536 ff. (Bäumlin) und 851 ff. (Günter).
[45] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 675 ff.; TA, 20.11.90 (Seminar).
[46] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 508 ff.
[47] Klage in Genf: BaZ, 5.2.90; JdG, 6.2., 2.5. und 15.5.90; Suisse, 12.6.90; Westschweizer Presse vom 5.9.90. Frankreich: Suisse, 26.2. (Safra), 18.10. (Jacquemoud-Rossari), 23.10. und 4.12.90 H. Kopp).