Année politique Suisse 1990 : Chronique générale / Finances publiques / Bundesfinanzordnung
Die Kommission des erstberatenden Ständerates beschloss, sich nicht mit der vom Bundesrat 1989 vorgeschlagenen Modernisierung der Warenumsatzsteuer (WUSt) zu begnügen, sondern dem Plenum die Einführung der auch in der Vernehmlassung bevorzugten Mehrwertsteuer nach EG-Modell vorzuschlagen. Sonst folgte die Kommission, zum Teil allerdings mit knappen Mehrheiten, weitgehend den Vorgaben des Bundesrates; dies betraf insbesondere die Verankerung des Höchststeuersatzes in der Verfassung, die Möglichkeit eines Steuerzuschlags von 1,3% zugunsten der AHV-Finanzierung und den Verzicht auf die Besteuerung der Leistungen des Gast- und Coiffeurgewerbes
[1].
Der
Ständerat folgte in der Sommersession grösstenteils den Anträgen seiner Kommission. Insbesondere stimmte er der Einführung einer Mehrwertsteuer mit 29:4 Stimmen zu. Eine im Hinblick auf die Volksabstimmung wichtige Änderung nahm er hingegen bei der Besteuerung der Wirte und der Coiffeure vor: er beschloss mit grosser Mehrheit, auf die vorgeschlagene Steuerbefreiung zu verzichten. Keine Chance hatten hingegen Anträge für eine zeitliche Befristung und gegen den Sonderzuschlag zugunsten der AHV. Auch eine Motion der Kommissionsminderheit, welche angesichts der vom Wechsel zur Mehrwertsteuer erwarteten Mehreinnahmen eine Herabsetzung der direkten Bundessteuer verlangte, wurde vom Rat deutlich abgelehnt
[2].
Nachdem sich auch die Nationalratskommission weitgehend den Beschlüssen der kleinen Kammer angeschlossen hatte, gab der Bundesrat ebenfalls seine Zustimmung zum neuen Modell bekannt. Wesentlich für das Zustandekommen eines Konsens war, dass sich die Bundesratsparteien im Verlaufe der Herbstsession auf eine
Gesamtlösung der Bundesfinanzreform in einem Paket geeinigt hatten. Dabei mussten alle Parteien Abstriche machen: die SP bei ihren Forderungen nach einer vollständigen Kompensation der Ertragsausfälle bei der Stempelsteuerrevision resp. nach einer Zweckbindung von Mehreinnahmen (z.B. zugunsten der Krankenversicherung) und die Bürgerlichen bei ihren Begehren nach einer Reduktion der direkten Bundessteuer und nach einer zeitlichen Befristung der Finanzordnung sowie bei ihrem Widerstand gegen die Einführung der Proportionalsteuer für juristische Personen bei der direkten Bundessteuer. Zu diesem Kompromiss gehörte auch ein Passus, der vorsieht, dass nur alle drei Vorlagen der Finanzreform (MWSt, Direkte Bundessteuer und Stempelabgaben) zusammen in Kraft treten können. Damit soll gewährleistet werden, dass das Gesamtpaket nicht durch die Entscheide des Souveräns an der Urne wieder aufgeschnürt wird
[3].
Der Kompromiss erwies sich auch bei den Beratungen des
Nationalrats in der Wintersession als tragfähig. Der Rückweisungsantrag der Liberalen wurde mit 105 zu 17 Stimmen abgelehnt. Allerdings bekundete vor allem die SVP Mühe, sich an die Abmachungen unter den Bundesratsparteien zu halten. Ihr Sprecher Blocher (ZH) kündigte an, dass die Fraktion die Forderungen nach einer zeitlichen Befristung und für einen Abbau der direkten Steuern um mindestens 10% unterstützen werde. In der Detailberatung unterlagen jedoch die Anträge Reimann (svp, AG) und Coutau (1p, GE) für eine Befristung auf zwölf Jahre sowie der Antrag Rychen (svp, BE) für einen Rabatt bei der direkten Bundessteuer relativ deutlich. Bei der abstimmungspolitisch wichtigen Frage der Besteuerung des Gastgewerbes korrigierte die Volkskammer den Ständeratsentscheid und beschloss, diese Branche während einer Übergangsphase von 5 Jahren mit einem reduzierten Satz von 4% zu belasten
[4].
In der Differenzbereinigung fand dieses Entgegenkommen auch in der kleinen Kammer Zustimmung. In der
Schlussabstimmung verabschiedeten die beiden Räte die Vorlage mit 120 zu 31 (bei 21 Enthaltungen) resp. 32 zu 2 Stimmen. Im Nationalrat stimmten von den Regierungsparteien die SP und CVP nahezu geschlossen dafür (1 Enthaltung resp. 2 Gegenstimmen), während bei der FDP und der SVP die Opposition recht bedeutend war (je rund 40% Enthaltungen oder Nein-Stimmen). Von den kleineren Fraktionen unterstützte die LdU/EVP die Reform, die LP sprach sich dagegen aus und die GP enthielt sich mehrheitlich der Stimme
[5].
Die vom Parlament verabschiedete Kompromisslösung zum Gesamtpaket vermochte aber nicht darüber hinwegzutäuschen, dass sich die Verfassungsvorlage der
Zustimmung des Souveräns noch nicht sicher sein kann. Bereits vor der Beratung im Nationalrat hatte der Gewerbeverband heftige Opposition angekündigt und gedroht, die Einführung einer Mehrwertsteuer mit allen Mitteln zu bekämpfen. Der Vorort gab sich etwas zurückhaltender; er begrüsste zwar das Prinzip der MWSt, war aber enttäuscht, dass sich seine Forderung nach einer Entlastung bei der direkten Bundessteuer nicht durchgesetzt hatte
[6]
.
[1] NZZ, 10.2., 27.2., 14.4. und 15.5.90; Bund, 15.5.90. Siehe SPJ 1989, S. 120.
[2] Amtl. Bull. StR, 1990, S. 419 ff. und 445 ff.; NZZ, 20.6.90.
[3] NZZ, 11.7., 18.9., 24.10. und 6.11.90; Vr, 7.11.90; BZ, 28.11.90. Zum Kompromiss vgl. auch Amtl. Bull. NR, 1990, S. 2048.
[4] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 2045 ff., 2157 ff., 2189 ff. und 2224 ff.; NZZ, 5.12., 6.12. und 11.12.90.
[5] Amtl. Bu!!. StR, 1990, S. 1027 ff. und 1101; Amtl. Bull NR, 1990, S. 2495 f.; BBI, 1990, 11I, S. 1657 ff.; Presse vom 12.12. und 15.12.90.
[6] Gewerbeverband: NZZ, 16.11.90; SGT, 8.12.90 (P. Triponez). Vorort: BZ, 12.12.90; wf, Dok., 26.11.90. Zu den allerdings noch recht diffusen Meinungen in der Bevölkerung zu einer MWSt siehe UN/VOX-Repräsentativ-Befragung: Staatsfinanzen, Zürich 1990; SGT, 11.12.90
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