Année politique Suisse 1990 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Fürsorge
Nach den Kriterien der EG und der WHO gilt eine Person als arm, wenn ihr Einkommen weniger als die Hälfte des Einkommens beträgt, das in einem Land durchschnittlich zur Verfügung steht. Geht man von dieser
Definition der Armutsschwelle aus, leben 8% oder ungefähr 500 000 Menschen in der Schweiz in Armut. Dient als Richtschnur die für die Entrichtung von Ergänzungsleistungen der AHV/IV massgebliche Einkommensgrenze, so sinkt der Anteil der Armen auf 4%. Auf 10% steigt er dagegen, wenn die für Mietzinszuschüsse massgebliche Einkommensgrenze berücksichtigt wird. Dies ergab eine Untersuchung des Instituts für Sozialwissenschaft der Universität Lausanne. Noch erschreckendere Zahlen lieferte eine Armutsstudie im Kanton Neuenburg, derzufolge mindestens ein Sechstel, wahrscheinlicher aber eher ein Fünftel der Bevölkerung unter der von EG und WHO definierten Armutsschwelle lebt
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Fachleute und Politiker wiesen immer wieder auf den engen
Zusammenhang zwischen Armut und Wohnungsnot hin. Diese Einsicht fand auch im Parlament ihren Niederschlag, wo eine parlamentarische Initiative der Kommission des Ständerates und drei Motionen eingereicht wurden, die den Bundesrat beauftragen, in diesem Bereich konkrete Massnahmen zur Verhinderung von Härtefällen zu ergreifen
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Die Förderung preisgünstigen Wohnungsbaus war denn auch ein zentrales Anliegen der
CVP, die im Sommer ein
Positionspapier zur "Armut im Wohlstand" veröffentlichte. Sie verlangte zudem, der Bund solle sein Engagement bei den Ergänzungsleistungen zur AHV/IV ausbauen, damit die Kantone die dadurch freiwerdenden Mittel zur Existenzsicherung derjeniger Menschen einsetzen könnten, die keinen Anspruch auf Ergänzungsleistungen haben, wie ausgesteuerte Arbeitslose oder Alleinerziehende. Die CVP fand auch die Einführung eines garantierten Mindesteinkommens (GME) prüfenswert. Da die Armut in der Schweiz primär die Frauen betrifft, erachtete sie die Durchsetzung der Lohngleichheit als vordringliches Postulat
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[45] Lausanner Studie: SN, 1.10.90. Neuenburg: Lit. Hainard; LM, 2.11.90. Aufgeschreckt durch diese Zahlen reichte die FDP-Fraktion ein Postulat ein, das für das Jubiläumsjahr eine nationale Konferenz zum Thema Armut anregt (Verhandl. B. vers., 1990, V. S. 57 f.). Im Rahmen des von 5 auf 8,5 Mio Fr. aufgestockten NFP 29 soll nun die seit langem geforderte nationale Armutsstudie entstehen (Bulletin NFP 29, Nr. 1, September 1990, S. 7).
[46] Amtl. Bull. StR, 1990, S. 832 f. Die Initiative wurde im Rat nur vorgestellt, nicht aber behandelt. Verhandl. B.vers.,1990, IV, S. 121 und 134 (Motionen Reimann sp, BE und Thür gp, AG im NR). Die Motion Zimmerli (svp, BE) im StR wurde in der Wintersession wieder zurückgezogen (Verhandl. B.vers., 1990, V, S. 150). Im Auftrag des BA für Wohnungswesen wurde eine Studie ausgearbeitet, die auch mögliche Massnahmen auflistet: siehe Lit. Arend et al. Siehe dazu auch die Stellungnahme des BR (Amtl. Bull. NR, 1990, S. 2506 f.).
[47] Presse vom 10.8.90. Zur grundsätzlichen Diskussion eines GME, wie sie die Grüne Partei verlangte, siehe unten, Teil I, 7c (Sozialversicherungen).
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