Année politique Suisse 1990 : Politique sociale / Groupes sociaux / Flüchtlinge
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Haltung der Bundesbehörden
Auf den 2. Oktober trat das Gesetz über die Schaffung eines Bundesamtes für Flüchtlinge (BFF) in Kraft. Entgegen früher geäusserter Rücktrittsabsichten wird Peter Arbenz dem neuen Amt bis mindestens Ende 1992 vorstehen. Die Bestätigung von Arbenz wurde von der Linken, die im Vorjahr noch lautstark seinen Rücktritt verlangt hatte, und den Hilfswerken ziemlich kommentarlos zur Kenntnis genommen. Zu diesem weniger emotionalen Umgang mit seiner Person trug der ehemalige Delegierte für das Flüchtlingswesen (DFW) wohl auch selber bei, befleissigte er sich doch neuerdings recht zurückhaltender Töne und zunehmend differenzierter Äusserungen. Mehrmals wies er auf die innere Verunsicherung einer Gesellschaft als Hauptursache der Fremdenangst hin und rief die Bevölkerung zu grösserer Toleranz den Asylsuchenden gegenüber auf [24] .
Das bedeutet aber nicht, dass die Kritik an der Praxis der Bundesbehörden verstummt wäre. Besonders die Hilfswerke bemängelten immer wieder, dass die Asylgesuchsentscheide des DFW von geringer Sachkompetenz und Menschenkenntnis geprägt seien und die angewendeten Kriterien der psychischen Situation von Menschen, die in ihrer Heimat gefoltert oder vergewaltigt wurden, kaum Rechnung trügen. Dabei konnten sie sich auf eine Studie berufen, die im Auftrag des Roten Kreuzes entstanden war, und die harsche Kritik an den Begründungen der DFW-Entscheide übte. Die GPK des Nationalrates nahm dieses Gutachten als Grundlage, um die Arbeit des DFW zu durchleuchten. Nachdem sie bereits anlässlich einer Inspektion im April die Qualität der Empfangsstellenprotokolle gerügt hatte, fand sie nun auch die Vorwürfe gegen das Zustandekommen der DFW-Entscheide in vielen Punkten bestätigt und bemängelte vor allem die Reduzierung der Asylentscheide auf Textbausteine. Sie wollte ihre Kritik aber im Verhältnis zur Grösse und Schwierigkeit der gestellten Aufgabe verstanden wissen [25].
Die Hilfswerke wandten sich mit aller Entschiedenheit gegen die Weisung des BFF, ihre Vertreter bei den Nichteintretensverfahren von den Befragungen auszuschliessen. Mit Schützenhilfe der SP erreichten sie, dass das Amt hier teilweise nachgeben musste. Weniger Erfolg hatten sie mit ihrer – ebenfalls von der SP unterstützten – Forderung nach einem Ausschaffungsstop für kurdische Asylbewerber. Im Nationalrat darauf angesprochen, erklärte der Bundesrat, trotz seiner Besorgnis über die Menschenrechtssituation in der Türkei könne er keine Anzeichen für eine systematische Verfolgung der Kurden ausmachen [26] .
Klar war hingegen für den Bundesrat, dass Angehörige aus den ehemaligen Ostblockstaaten Polen, Ungarn und CSSR nicht mehr von Menschenrechtsverletzungen bedroht sind, weshalb er diese Länder zu 'safe countries' erklärte. Im Dezember sprach Bundespräsident Koller von der Möglichkeit, die Sowjetunion ebenfalls in die Liste der sicheren Länder aufzunehmen. Dass dies nicht bedeutet, dass die Schweiz deshalb nicht gewillt wäre, Emigranten aus Osteuropa aufzunehmen, machten sowohl Bundespräsident Koller wie Arbenz klar [27] .
Ende Jahr wurde ersichtlich, dass die dritte Asylgesetzrevision nicht zu einer merklichen Entspannung der Lage geführt hatte. Die Hilfswerke und die SP bemängelten wachsende Willkür im Verfahren und unverständliche Verzögerungen bei der Schaffung der verwaltungsunabhängigen Rekurskommission. Rechtsbürgerliche Kreise dagegen verlangten wieder lautstark die Einführung von Notrecht und den Einsatz der Armee an der Grenze. In einem Brief an die Kantone schloss Bundespräsident Koller Ende Jahr die Anwendung von Notrecht zwar weiterhin aus, kündigte aber an, dass 1991 voraussichtlich Formationen der Armee das Grenzwachtkorps und die Grenzpolizeidienste verstärken würden [28] .
 
[24] AS, 1990, S. 1587 f.; SN, 20.1.90; Vat, 15.2.90; LNN, 23.3.90; Presse vom 12.9.90; TA und NZZ, 28.11.90; Presse vom 22.12.90; L'Hebdo, 28.12.90.
[25] Lit. Hausammann / Achermann; BB!, 1990, II, S. '781 ff. und 1991, I, S. 293 ff.
[26] TA, 23.8.90; Bund, 24.8.90; TW, 25.8. und 2.10.90; Vr, 12.10.90; Suisse und JdG, 1.11.90; SPS-Pressedienst, 6.11.90; NZZ, 15.11. und 21.12.90; Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1071 f. und 1697 f.
[27] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 2214; NZZ, 1.11.90; BZ, 7.12.90; Bund, 17.12.90.
[28] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1693 f., 2214 und 2215; Verbandl. B.vers., 1990, V, S. 61, 107 f., 110, 119 und 149; Presse vom 21.12. und 22.12.90.