Année politique Suisse 1990 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises
 
Kulturpolitik
Am 14. Dezember verstarb überraschend Friedrich Dürrenmatt in seinem 70. Altersjahr. Sein Tod enthob ihn der Mühe einer Auseinandersetzung mit den für 1991 geplanten Feiern zum 700 jährigen Bestehen der Eidgenossenschaft. Er, der einst die Prognose gemacht hatte, die Welt werde entweder untergehen oder verschweizern, wobei ihm keine der beiden Vorstellungen sehr angenehm erscheine, und der sich geäussert haben soll, das Sinnvollste wäre, die Schweiz 1991 abzuschaffen, um sie 1992 neu zu gründen, hatte zwar — in Gegensatz etwa zu Max Frisch — den Boykott von Kulturschaffenden für die Jubiläumsfeierlichkeiten nicht unterzeichnet. Anlässlich seines letzten öffentlichen Auftritts, seiner foudroyanten Rede zu Ehren Vaclav Havels, hatte er aber mit der Parabel der "Schweiz als Gefängnis" in einer Art geistigem Vermächtnis klargestellt, dass für ihn in diesem Staat kein Anlass zu Jubel und unreflektiertem Selbstwertgefühl besteht [1].
Auf den Kulturboykott, mit welchem rund 400 Kulturschaffende gegen die mangelnde Bereitschaft der Behörden protestieten, die Staatsschutzaffäre mit Taten anstatt nur mit Worten zu bewältigen, wird an anderer Stelle ausführlicher eingegangen (oben, Teil I, 1 a).
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Kulturförderung durch den Bund
Der unerwartete Tod Dürrenmatts bewog das Bundesamt für Kultur (BAK), die für den 20. Dezember vorgesehene Eröffnungsfeier des Schweizerischen Literaturarchivs (SLA) auf anfangs 1991 zu verschieben. 1989 hatte Dürrenmatt seinen Nachlass der Eidgenossenschaft vermacht mit der Auflage, einen Ort der wissenschaftlichen Archivierung und Aufbereitung von literarischen Nachlässen einzurichten [2]. Wäre dieses Ansinnen nicht von einer Persönlichkeit der Bedeutung Dürrenmatts ausgegangen, hätte der Bundesrat wohl kaum so rasch eine realisierbare und zweckmässige Lösung gefunden. Ansonsten hielt er nämlich grundsätzlich an seiner seit 1986 vertretenen Linie fest, in Ermangelung einer klaren Verfassungskompetenz keine weiteren kulturelle Aufgaben zu übernehmen [3].
Die Notwendigkeit, die kulturelle Förderungstätigkeit des Bundes verfassungsmässig zu verankern, ist seit Mitte der siebziger Jahre unbestritten. Dennoch scheiterten in der Volksabstimmung vom 28. September 1986 sowohl die sogenannte Kulturinitiative mit dem umstrittenen Kulturprozent wie auch der Gegenvorschlag des Bundesrates und des Parlamentes. Dieses Doppel-Nein von Volk und Ständen wurde aber allgemein nicht als grundsätzliche Ablehnung der Kulturförderung durch den Bund interpretiert, umso mehr, als die wissenschaftliche Auswertung der Abstimmung ergab, dass sich eine deutliche Mehrheit der Stimmenden in der einen oder anderen Form für eine umfassende kulturpolitische Verfassungskompetenz des Bundes ausgesprochen hatte. Die Vorlage war in erster Linie am damals noch geltenden Verbot des doppelten Ja bei gleichzeitiger Abstimmung über Volksinitiative und Gegenvorschlag gescheitert [4].
Nach Ansicht des Bundesrates rechtfertigten diese Ausgangslage, der unbestrittene Stellenwert der Kulturförderung auch als Bundesaufgabe sowie entsprechende parlamentarische Vorstösse einen relativ raschen Anlauf für einen neuen Kulturförderungsartikel. Ende Jahr schickte die Regierung einen entsprechenden Entwurf in die Vernehmlassung. Dem Text liegt ein weitgefasster Kulturbegriff zugrunde. Darunter soll nicht mehr nur etwas Elitäres verstanden werden, schrieb das EDI in seinen Erläuterungen; Kultur umfasse neben den klassischen Domänen der bildenden Kunst, der Literatur, der Musik, des Theaters und des Films zum Beispiel auch das Laien- und Volkstheater sowie Teilbereiche der Förderung der Minderheiten, der Jugendarbeit und der Erwachsenenbildung [5] .
Der vorgesehene neue Artikel 27septies BV ist umfassender und dynamischer formuliert als der alte Gegenvorschlag. Trotzdem geht er substantiell nicht wesentlich darüber hinaus. Nach wie vor ist die Förderungskompetenz nur durch eine Kann-Formel festgehalten. Aus Rücksicht auf die föderalistischen Gegebenheiten wird grösstes Gewicht auf das Prinzip der Subsidiarität gelegt, welches Kantonen, Gemeinden und Privaten ihre Entfaltungsbereiche belässt. Der Entwurf setzt aber konsequent dort ein, wo das kulturpolitische Engagement des Bundes unabdingbar werden kann — in der Pflege der kulturellen Beziehungen zum Ausland, bei der Wahrnehmung kultureller Aufgaben von gesamtschweizerischer Tragweite sowie in der besonderen Förderung kulturell wenig begünstigter Landesteile [6].
Ebenfalls in die Vernehmlassung gingen Entwürfe zu einem neuen Filmgesetz und, als Alternative, zu einer revidierten Vollziehungsverordnung auf der Basis des geltenden Gesetzes. Die Einsicht, dass das aus dem Jahr 1962 stammende Filmgesetz einer Modernisierung bedarf, setzte sich bereits Ende der siebziger Jahre durch, als deutlich wurde, dass das Fernsehen das Kino in der Publikumsgunst zunehmend ablöst. Fernsehen und neue Medien trugen nicht nur zum 'Kinosterben' bei, auch formal verwischten sich die Grenzen immer mehr. In jüngerer Zeit zeigte sich zudem, dass gewisse Einschränkungen — so etwa die Kontingentierung bei der Einfuhr ausländischer Filme — mit den weltweiten Freihandelsbemühungen und den europäischen Liberalisierungs- und Integrationsbestrebungen nicht mehr vereinbar sind.
Das revidierte Gesetz möchte den Verleih und die Vorführung von Filmen erleichtern. Die auf den Zweiten Weltkrieg zurückgehende Kontingentierung soll abgeschafft und die Angebotsvielfalt durch eine Marktordnung mit Mindestanteilen an Erstaufführungen sichergestellt werden. Zugleich möchte der Bund schweizerische Spielfilme nicht nur wie bisher aufgrund ihres kulturellen Wertes, sondern auch entsprechend ihrem Publikumserfolg finanziell unterstützen können, um so neue Produktionsanreize zu schaffen. Ausserdem soll die Eidg. Filmkommission neu organisiert werden. Eine revidierte Verordnung, die ebenfalls zur Aufhebung der Kontingentierung führen würde, hätte gegenüber einem neuen Gesetz zwar den Vorteil, dass sie detaillierter ausgestaltet und in relativ kurzer Zeit in Kraft gesetzt werden könnte, sie würde aber nach Meinung des EDI eine erfolgsabhängige Finanzhilfe nicht ermöglichen, und die Verleihförderung bliebe den Verleihorganisationen vorbehalten [7].
Die Solothurner Filmtage konnten ihren 25. Geburtstag begehen. Der Besuch Bundesrat Stichs zur Eröffnung und derjenige von Bundespräsident Koller zu Ende der Manifestation waren ein äusseres Zeichen dafür, dass der neue Schweizer Film und mit ihm die Filmtage 'respektabel' geworden sind. Angesichts der präsentierten Filme fragten sich aber viele der anwesenden Kritiker und Zuschauer, ob der Schweizer Film nicht schon seine Blütezeit, seine Jahre der grössten kulturellen und politischen Kreativität definitiv hinter sich habe [8] .
Die im Entwurf für einen neuen Kulturförderungsartikel erwähnten kulturellen Beziehungen zum Ausland werden heute vornehmlich von der Stiftung Pro Helvetia wahrgenommen. An deren Spitze steht seit anfangs 1990 erstmals eine Frau. Bei der Neubestellung des Stiftungsrates wählte der Bundesrat die christlichdemokratisehe Solothurner Ständerätin Rosemarie Simmen zu dessen neuer Präsidentin. Sie trat die Nachfolge des altershalber zurücktretenden Zürcher LdU-Nationalrates Sigmund Widmer an. In Kulturkreisen reagierte man auf diese Wahl ziemlich skeptisch und bemängelte den bisher bescheidenen Leistungsnachweis Simmens im Kulturbereich. Nicht ohne Ironie wurde vermerkt, dass mit dieser Wahl nun die Kulturpolitik unseres Landes fest in CVP-Hand ist, da sowohl der Departementschef wie der Direktor und der stellvertretende Direktor des BAK dieser Partei angehören [9].
Die Pro Helvetia hatte im Berichtsjahr für ihre Arbeit 22 Mio Fr. zur Verfügung. Für die Vierjahresperiode 1992 bis 1995 möchte sie ihre Bundessubventionen verdoppeln und mit gesamthaft 168 Mio Fr. Projekte im In- und Ausland unterstützen können. Eine entsprechende Eingabe an den Bundesrat wurde vom Stiftungsrat gutgeheissen. Grössere finanzielle Abgeltung für die kulturelle Präsenz der Schweiz im Ausland forderten auch einzelne Parlamentarier. Der scheidende Pro Helvetia-Präsident Widmer (Idu, ZH) regte in einem überwiesenen Postulat an, der Bund möge die Bedeutung des Swiss Institute in New York, welches in den nunmehr vier Jahren seines Bestehens ausschliesslich auf die Spenden Privater und der Wirtschaft angewiesen war, durch die Entrichtung regelmässiger Beiträge anerkennen. Eine grosszügigere materielle Abgeltung der Aktivitäten des Europäischen Kulturzentrums in Genf verlangte eine als Postulat überwiesene Motion Pini (fdp, TI) [10].
Mit mehr Geld will der Bund auch die Schweizerische Volksbibliothek (SVB) – und damit das Lesen in der Schweiz – unterstützen. Die 1920 gegründete Stiftung SVB hat den Zweck, das allgemeine öffentliche Bibliothekswesen der Schweiz zu fördern und zu einer ausgeglichenen Versorgung aller Landesteile und Bevölkerungskreise mit Büchern und anderen Informationsmitteln beizutragen. Hauptsächlich auf dieser Ausgleichsfunktion gründet die Bundessubvention, die bereits 1921 einsetzte und heute mit jährlich 1,5 Mio Fr. rund 65% der Stiftungseinnahmen ausmacht. Die Landesregierung beantragte nun den Räten, für die Informatisierung der SVB und für die Errichtung eines Deutschschweizer Bibliothekszentrums in Solothurn einen Sonderbeitrag von rund 2,2 Mio Fr. zu bewilligen und die ordentliche jährliche Finanzhilfe in den Jahren 1992 bis 1995 in zwei Etappen auf 2 Mio Fr. zu erhöhen. Die kleine Kammer, welche die Vorlage als Erstrat behandelte, stimmte dem Vorschlag des Bundesrates einstimmig zu [11].
Die Kinder- und Jugendliteratur soll ab 1991 besser gefördert werden. In Erfüllung eines 1988 überwiesenen Postulats Hafner (sp, SH) überprüfte das BAK seine Unterstützungspraxis und arbeitete neue Richtlinien des EDI aus. Dies gab der Bundesrat bei der Behandlung einer als Postulat überwiesenen Motion Danuser (sp, TG) bekannt, welche eine Erhöhung der entsprechenden Subventionen verlangt hatte [12].
Um finanzielle Zuwendungen ging es auch bei den meisten Fragen, die im Berichtsjahr die Museen betrafen. Nach dem Nationalrat stimmte auch der Ständerat dem neuen Konzept und dem Zusatzkredit von rund 55 Mio Fr. für die Errichtung einer Zweigstelle des Landesmuseums in Schloss Prangins bei Nyon (VD) zu. Als neue Aussenstelle des Landesmuseums hat der Bundesrat auf den 1. Juli das Musikautomatenmuseum in Seewen (SO) übernommen. Einstimmig genehmigten beide Räte einen ausserordentlichen Bundesbeitrag, den sie selber durch die Überweisung zweier gleichlautender Motionen verlangt hatten, an die Kosten für die betriebliche und touristische Infrastruktur des Freilichtmuseums Ballenberg (BE) [13] .
Für das Panorama der Schweizer Geschichte, das auf das Jubiläumsjahr hin in Schwyz eröffnet werden soll, müssen vorderhand keine Sponsoren gesucht werden. Der Ständerat, der in der Wintersession 1989 noch beantragt hatte, die rund 2 Mio Fr., welche für die Inbetriebnahme des Museums nötig sind, von privater Seite aufzubringen, schwenkte anfangs Jahr auf die Linie des Nationalrates ein und stockte den bereits bewilligten Objektkredit von 13 auf 14,95 Mio auf. Dennoch mussten die Arbeiten an dieser weiteren Aussenstelle des Landesmuseums für einige Monate sistiert werden, da zwei Schwyzer Stimmbürger mit einer staatsrechtlichen Beschwerde, welcher das Bundesgericht die aufschiebende Wirkung zuerkannte, erreichen wollten, dass der Schwyzer Souverän über das Projekt an der Urne befinden könne; das Bundesgericht wies die Beschwerde schliesslich ab. Problemlos eröffnet werden konnte hingegen der Neubau des PTT-Museums in Bern [14]..
Obwohl ein Archiv für Tondokumente einen wichtigen Beitrag zu einer nationalen Kulturpolitik leisten könnte, gelingt es der Landesphonothek in Lugano aus finanziellen und räumlichen Gründen kaum, ihren Hauptaufgaben nachzukommen. Als geographisches Gegengewicht zur Landesbibliothek in Bern und zur Cinémathèque in Lausanne nahm die Landesphonothek 1987 Sitz in Lugano. Von Anfang an kämpfte die Stiftung, die vom Bund, vom Kanton Tessin sowie von der Stadt Lugano finanziell getragen wird, mit materiellen Schwierigkeiten. Mit der für 1991 erfolgten Aufstockung der Beiträge von 450 000 auf 900 000 Fr. können nun wenigstens die wichtigsten Bedürfnisse dieser Institution befriedigt werden. Unterstützung erhielten die Anliegen der Stiftung auch durch eine im Vorjahr vom Nationalrat angenommene Motion, die den Bundesrat beauftragt, nach Lösungen für die Schaffung einer zentralen Phono- und Videothek zu suchen; der Ständerat überwies diesen Vorstoss allerdings nur in der unverbindlicheren Form eines Postulates [15].
Der Bundesrat beschloss, 1990 und 1991 die Vorbereitungsarbeiten zu einer Datenbank der schweizerischen Kulturgüter mit insgesamt 400 000 Fr. zu unterstützen. Es geht dabei um eine Projektstudie der Schweizerischen Akademie der Geisteswissenschaften und des Verbandes der Museen der Schweiz. Diese Institutionen beabsichtigen, dem Bund auf das Jahr 1992 hin die Schaffung dieser Datenbank zu beantragen. Die aus einem Projekt des NFP 16 hervorgegangene Nationale Informationsstelle für Kulturgütererhaltung (Nike) wird neben der Eidgenossenschaft, dem Fürstentum Liechtenstein, acht Städten sowie zahlreichen Privaten nun auch von allen Kantonen unterstützt; als letzter Kanton beschloss die Waadt, jährliche Beiträge an die Nike zu entrichten [16].
Eine Motion Portmann (cvp, GR), mit welcher der Bundesrat aufgefordert wird, dem Parlament gestützt auf das Unesco-Ubereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturgutes der Welt eine Botschaft mit dem Antrag zu unterbreiten, der Stiftung für die als Weltkulturgut eingestufte Klosteranlage St. Johann in Müstair (GR) einen Sonderbeitrag von 7 Mio Fr. zu gewähren, wurde vom Nationalrat als Postulat überwiesen. Ständerat Cottier (cvp, FR) reichte ein Postulat ein, welches den Bundesrat ersucht zu prüfen, mit welchen Massnahmen der Bund zum Schutz der Kulturgüter vor einer Gefährdung durch die rasche Zunahme des Schadstoffgehalts in der Atmosphäre beitragen kann [17].
Der Entwurf für ein neues Urheberrecht, welchen viele Kulturschaffenden nach wie vor als autorenfeindlich bekämpfen, wurde im Berichtsjahr von der zuständigen Ständeratskommission diskutiert. Sie sprach sich grundsätzlich für Eintreten auf die Vorlage aus, behielt sich aber vor, gewisse urheberfreundlichere Akzentverschiebungen vorzunehmen [18].
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Kulturförderung in den Kantonen und Gemeinden
Wie eine vom Bundesamt für Statistik durchgeführte repräsentative Befragung von über 50 000 Personen ergab, wird im Tessin und in der Romandie das lokale Kulturangebot mehrheitlich als mangelhaft erachtet. Bei den Romands überwog das negative Urteil mit 57%, bei den Tessinern gar mit 78%. Nur in der Deutschschweiz hielt eine knappe Mehrheit das Kulturangebot für genügend. In den städtischen Gemeinden mit ihrem grösseren Kulturangebot zeigten sich gesamtschweizerisch 55% der Befragten zufrieden, in den ländlichen Gegenden dagegen nur 30% [19].
Diese Einschätzung wurde teilweise durch eine Untersuchung der eidg. Finanzverwaltung bestätigt, welche im Rahmen der Finanzstatistik die Kulturausgaben der Gemeinden genauer unter die Lupe nahm. Genf stand mit 837 Fr. Kulturausgaben pro Einwohner mit Abstand an der Spitze, gefolgt von Basel (667 Fr.), Sion (472 Fr.), Solothurn (400 Fr.), Lugano (370 Fr.) und Zürich (324 Fr.). Im Mittelfeld wurden Städte wie Zug (239 Fr.), St. Gallen (206 Fr.), Lausanne (203 Fr.), Olten (193 Fr.), Bern (191 Fr.) und Biel (184 Fr.) ausgemacht. Deutlich unter dem gesamtschweizerischen Durchschnitt von 117 Fr. lagen die Städte Fribourg (45 Fr.) und Chur (37 Fr.). Die Erhebung wies auch eine Tendenz nach, welche viele grössere Städte seit langem beklagen: Je grösser die kulturelle Zentrumsfunktion eines Ortes, desto geringer sind die Kulturausgaben in den Agglomerationsgemeinden, weil diese vom kulturellen Angebot der Kernstadt profitieren. Einzelne Grosstädte, wie etwa Genf oder Zürich, gelangen denn so auch an die Grenzen ihrer finanziellen Belastbarkeit und sehen sich gezwungen, trotz Protesten der Kulturschaffenden und des Publikums ihre Kulturausgaben einzufrieren oder zu reduzieren [20].
In Luzern führten die Auseinandersetzungen um das künftige Kultur- und Kongresszentrum erneut zu heftigen Diskussionen. Die Jury des im Vorjahr beschlossenen Architekturwettbewerbs bekundete zwar ihre Präferenz für das Projekt von Jean Nouvel und Emmanuel Cattani, empfahl aber nicht nur dieses, sondern auch die zwei nächstplazierten Projekte zur Weiterbearbeitung. Die Juroren waren möglicherweise der Meinung, ein klares Votieren für den eigenwilligen Vorschlag der beiden Pariser Star-Architekten – ein Gebäude, das wie ein Ozeandampfer in den See hinausragen würde – könnte das ganze Projekt politisch gefährden. Dass sie mit ihren Bedenken nicht falsch lagen, zeigte sich im Herbst, als der Stadtrat (Exekutive) laut über eine Redimensionierung des Projekts nachzudenken begann. Anfangs Dezember fiel dann der Entscheid, welcher vor allem in Architekturkreisen Enttäuschung und Empörung hervorrief. Nach Interventionen der privaten Stiftung Konzerthaus und entgegen dem Antrag der Projektführungsgruppe wurde der Entwurf Nouvel-Cattani aus den Traktanden gekippt und beschlossen, dass nur das drittplazierte und bedeutend konventionellere Projekt des Lausanner Architekten Rodolphe Luscher weiterverfolgt wird [21].
Um Kulturraum ging es auch in der zwar finanziell bescheidensten, aber politisch umstrittensten Vorlage, über welche die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Stadt Zürich am 23. September abstimmten. Im Juni hatte der Gemeinderat (Legislative) nach zäher Debatte dem alternativen Kanzlei-Zentrum in Aussersihl – Ort geistiger Entfaltung für die einen, Refugium agitatorischer politischer Randgruppen für die anderen – einen jährlich wiederkehrenden Betriebskredit von 980 000 Fr. zugesichert und damit das seit 1984 geführte Provisorium zu einer definitiven Einrichtung machen wollen. Der anschliessende Abstimmungskampf wurde von den Gegnern mit aller Härte geführt. Während SD (ehemals NA) und SVP einhellig gegen die Vorlage wetterten und die Linken und Grünen sie ebenso geschlossen unterstützten, zeigten sich die Vertreter von FDP, LdU, CVP und EVP gespalten. Bei der Fassung der Abstimmungsparolen schlugen sich dann aber FDP (ohne die Jungfreisinnigen) und CVP auf die Seite der Gegner, LdU und EVP auf diejenige der Befürworter.
Mit einem knappen Mehr von 50,8% sprachen sich die Stimmbürger gegen den Betriebskredit aus. Da aber das ehemalige Kanzlei-Schulhaus nicht nur den Aktivitäten der aufmüpfigen 'Kanzlisten', sondern ebensosehr den Bedürfnissen der Aussersihler Bevölkerung dient, überwies der Gemeinderat ein Postulat, welches die Exekutive ersucht, mit einer neuen Trägerschaft eine Übergangslösung zu suchen und in einem späteren Zeitpunkt dem Volk eine neue Vorlage für die Schaffung von Rechtsgrundlagen für diesen Kulturraum zu unterbreiten [22] .
Eine ähnliche Ausgangslage bot sich in Bern, wo anfangs Dezember die Gemeindeinitiative der SD (ehemals NA) "Sport statt Autonomes Jugendzentrum (AJZ) auf der Schützenmatte", welche den Abbruch des alternativen Kulturraums Reithalle anstrebte, zur Abstimmung gelangte. Im August hatte der Gemeinderat (Exekutive) mit einem Kompromissvorschlag, der die grosse Halle des Reitschulkomplexes erhalten, den Abbruch der Nebengebäude aber offen lassen wollte, versucht, einen Weg zwischen den Fronten aufzuzeigen. Als sich dann der Stadtrat ganz unerwartet nicht dazu durchringen konnte, diesen Gegenvorschlag zu unterstützen, herrschte Konsternation bei der Mehrheit der Politiker, da nun, in Ermangelung einer Alternative, die extremen Meinungen wieder voll aufeinanderprallten.
Der Abstimmungskampf wurde mit einer gewissen Gehässigkeit geführt. Parteipolitisch ergab sich ein mit Zürich vergleichbares Bild. Die Ja-Parole zur SD-Initiative gaben FDP (ohne Jungfreisinnige), SVP, SD, AP und EDU aus, die Nein-Parole die SP, die Grünen, das Junge Bern, LdU und EVP; die CVP gab die Stimme frei. Dass die Vorlage polarisierte, ging schon aus der Stimmbeteiligung hervor, die mit 40,4% weit höher lag als bei allen früheren Abstimmungen der letzten Jahrzehnte, bei denen es nicht gleichzeitig um eidgenössische Vorlagen ging. Mit einem Nein-Stimmen-Anteil von 57,6% lehnten die Stimmberechtigten die SD-Initiative überraschend deutlich ab, wodurch der Stadt Bern dieses denkmalschützerisch wertvolle Gebäude erhalten bleibt. Die künftige Nutzung des Areals muss nun zwischen der Stadt als Eigentümerin der Reitschule und dem Trägerverein ausgehandelt werden [23].
 
[1] Ww, 29.11.90; Presse vom 15.12.90; BaZ, 3.4.91.
[2] SPJ 1989, S. 240; Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1273 f. (Antwort des BR auf eine Interpellation Mühlemann, fdp, TG); SGT, 30.7.90; Bund, 20.12.90; NZZ, 21.12.90; SZ, 27.12.90.
[3] Siehe dazu die Ausführungen Cottis zu den Interventionen der beiden Waadtländer Abgeordneten Gardiol (gp) und Aguet (sp), welche den BR ersuchten, Schritte zu unternehmen, damit die einzigartige Fotoapparate-Sammlung von Michel Auer nicht ins Ausland verkauft werde (Amtl. Bull. NR, 1990, S. 483 und 1274 f.).
[4] Eine Kulturinitiative der Jungsozialisten (Juso), welche die Idee des Kulturprozents in der Stadt Bern wieder aufnehmen wollte, wurde in der Volksabstimmung mit nur 29,6% Ja-Stimmen deutlich verworfen (Bund, 8.3., 16.3. und 10.5.90; BZ, 17.5., 30.5., 6.6. und 11.6.90).
[5] Presse vom 11.12.90.
[6] Für die Bedeutung des Subsidiaritäsprinzips siehe Lit. Cotti und Lit. Defago. Dass der Gedanke einer nur subsidiären Kulturförderung durch den Bund auch in der Bevölkerung stark verwurzelt ist, zeigte eine im Lauf des Sommers veröffentlichte Univox-Umfrage (TA, 18.8.90).
[7] Presse vom 20.7.90; NZZ, 9.11.90. Reaktionen der Verleihbranche: BaZ, 2.11. und 21.12.90; NZZ, 9.11., 16.11. und 30.11.90; TA, 15.11.90; SGT, 23.11.90.
[8] SZ, 16.1.und 22.1.90; TW, 19. (.und 22.1.90; Bund, 20.1.90; LNN, 23.1.90; NZZ, 26.1.90.
[9] NZZ, 11.1. und 15.2.90; Ww, 18.1.90; SZ, 10.2.90; BZ, 31.3.90.
[10] NZZ, 8.9.90; Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1252 f. (Pini) und 1915 (Widmer). Für das Swiss Institute wurde im Voranschlag 1991 bereits ein Beitrag von 300 000 Fr. budgetiert (Voranschlag 1991, S. 431 f.). Dem 1989 überwiesenen Postulat Widmer, das Schweizerische Verlagswesen bei Buchausstellungen im Ausland durch einen jährlich wiederkehrenden Betrag zu unterstützen, wurde mit der Aufnahme eines entsprechenden Kredites im Voranschlag 1990 Rechnung getragen (Gesch.ber. 1990, S. 170).
[11] BBI, 1990, I, S. 1533 ff.; Amtl. Bull. StR, 1990, S. 747 f.; NZZ, 1.3., 22.8. und 2.10.90.
[12] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1253 f.
[13] Prangins: Amtl. Bull. StR, 1990, S. 6 ff. Seewen: Gesch.ber. 1990, S. 170; NZZ, 2.4.90; BaZ, 29.5.90. Ballenberg: BBI, 1990, I, S. 1150 ff.; Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1 177 f. ; Amtl. Bull. StR, 1990, S. 808.
[14] Panorama: Amtl. Bull. SIR, 1990, S. 1; BB1,1990, I, S. 1623; LNN, 8.2., 29.3. und 26.4.90. PTT-Museum: BZ, 23.6.90. Für Prangins, Seewen, Ballenberg und Schwyz siehe auch SPJ 1989, S. 240 f.
[15] CdT, 13.10.90; NZZ, 15.10.90; Voranschlag 1991, S. 432 f.; Amtl. Bull. StR, 1990, S. 619; siehe auch SPJ 1989, S. 240.
[16] Datenbank: NZZ, 6.3. und 7.4.90. Nike: SPJ 1989, S. 241; NZZ, 22.3.90.
[17] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 2422 f.; Verhandl. B. vers., 1990, V, S. 141 f.
[18] SPJ 1989, S. 242. Haltung der Urheber: AT, 26.2.90; Presse vom 19.4.90; Bund, 30.4.90; NZZ, 12.7.90. StR-Kommission: NZZ, 20.2., 8.5., 11.10. und 26.10.90; Bund, 30.5.90.
[19] Die Zahlen beruhen auf einer Erhebung von 1988 (Bund, NZZ und TW, 12.9.90).
[20] Der Untersuchung liegen ebenfalls Zahlen von 1988 zugrunde (SZ, 7.8.90). Genf: Suisse, 5.2., 1.5. und 17.9.90; WoZ, 23.5.90; JdG, 1.9., 8.9., 12.9. und 17.9.90. Zürich: NZZ, 19.6. und 21.6.90; TA, 15.8.und 31.8.90; WoZ, 2.11.90. Siehe auch SPJ 1989, S. 243.
[21] SPJ 1989, S. 243; LNN, 5.5., 12.9., 1.12., 5.12., 14.12, 15.12., 20.12., 22.12. und 31.12.90; TA, 1.12.90; Ww, 6.12.90.
[22] TA, 28.6., 22.8., 31.8., 11.9., 17.9., 18.9., 21.9., 24.9., 9.10., 25.10., 10.11., 17.11., 28.11., 30.11., 5.12., 6.12. und 8.12.90; NZZ, 25.9., 28.9., 1.11., 2.11., 20.12., 21.12. und 27.12.90.
[23] SPJ 1988, S. 241; BZ, 18.8., 13.9., 14.9., 15.10., 17.10., 1 0 . 1 1 . , 14.11., 21.11., 27.11., 28.11., 30.1 l ., 3.12.90. Ohne Polemik hatte der Stadtrat hingegen im Oktober einem Sanierungskredit von 360 000 Fr. für das Kulturzentrum Dampfzentrale zugestimmt (BZ, 26.10.90).