Année politique Suisse 1990 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises / Kirchen
print
Umstrittene Bischofsweihen
Auf den Tag genau zwei Jahre nach der höchst umstrittenen Ernennung von Wolfgang Haas zum Weihbischof mit Nachfolgerecht nahm der Papst den Amtsverzicht des Churer Bischofs Johannes Vonderach an, wodurch Haas automatisch alleiniger Leiter des zweitgrössten Schweizer Bistums wurde, welches in den Kantonen Graubünden, Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Glarus, Zürich sowie im Fürstentum Liechtenstein rund 700 000 Katholiken umfasst. Die Stabsübergabe auf dem Churer 'Hof löste in weltlichen und kirchlichen Kreisen Ratlosigkeit, Enttäuschung, Konsternation und Angst vor innerkirchlicher Spaltung aus. Dies geschah nicht nur wegen der streng konservativen Ansichten Haas', sondern auch weil mit seiner Bestätigung fundamentale Fragen des Kirchen- und Völkerrechts wieder aufgerollt wurden. Zahlreiche Gutachten waren in den vergangenen zwei Jahren nämlich zur Ansicht gekommen, der Papst habe mit seiner eigenmächtigen Ernennung Haas' zum Koadjutor verbriefteRechte der Schweizer Domkapitel verletzt [39].
In den folgenden Tagen und Wochen ertönte sowohl an der Basis als auch bei den betroffenen kantonalen und kirchlichen Instanzen immer lauter der Ruf nach einen Rücktritt jenes Mannes, an dessen Tragbarkeit sogar die Schweizer Bischofskonferenz offen zweifelte. Verschiedentlich wurde angedroht, die Bistumsbeiträge zu sistieren, was den Churer Hof in arge finanzielle Bedrängnis bringen dürfte. Da sich jeder Versuch eines konstruktiven Dialogs mit Haas zerschlug, sahen sich die Zürcher Katholiken veranlasst, ihre Abspaltung von Chur und die Schaffung eines eigenständigen Zürcher Bistums zu verlangen. Bevor dies geschehen könnte, müssten aber noch umfangreiche juristische Abklärungen getroffen werden. Art. 50 Abs. 4 BV besagt nämlich, dass die Errichtung neuer Bistümer der Genehmigung des Bundes unterliegt. Die katholische Kirche empfand diese Bestimmung stets als Erbe des Kulturkampfes und als Diskriminierung ihrer Konfession und hat schon verschiedentlich auf die Abschaffung dieses Artikels hingewirkt [40].
Der Bundesrat hatte bereits im Vorjahr durchblicken lassen, dass er den Wirbel um die Neubesetzung des Churer Bischofssitzes als innerkirchliche Angelegenheit betrachten und von einer direkten Einmischung absehen möchte. In diesem Sinn nahm er in der Herbstsession auch zu vier parlamentarischen Vorstössen Stellung. In Beantwortung von zwei Interpellation der Nationalräte Seiler (cvp, ZH) und Jaeger (ldu, SG) erklärte er, es sei begreiflich, dass die Vorgehensweise des Vatikans bei der Wahl Haas' und einzelne Entscheide des neues Amtsinhabers bei weiten Teilen der Bevölkerung Unverständnis und Besorgnis ausgelöst hätten. Der religiöse Frieden in der Schweiz sei aber nicht gefährdet, weil es sich beim Fall Haas um eine rein innerkatholische und nicht um eine überkonfessionelle Angelegenheit handle. Zur Frage, ob durch die Ernennung allenfalls bestehende Rechte verletzt worden seien, schrieb der Bundesrat weiter, dies müsse in erster Linie von den Kantonen entschieden werden. Wegen der geltenden Zuständigkeitsordnung und der kontroversen Rechtslage übe der Bundesrat bei der Beurteilung dieses äusserst komplexen Rechtsstreites eine gewisse Zurückhaltung aus. Der Nuntius sei aber vom Bund wiederholt drauf hingewiesen worden, dass die in der Schweiz tiefverwurzelten direktdemokratischen Prinzipien sich nicht nur auf die politischen Entscheidungsprozesse, sondern traditionell auch auf die kirchlichen Bereiche auswirkten [41].
Gleichzeitig äusserte sich die Landesregierung zu einem Postulat Portmann (cvp, GR), welches anregte, der Bund möge seine einseitigen Beziehungen zum Vatikan, die heute in beiden Richtungen von der Nuntiatur wahrgenommen werden, aufheben und durch eine reguläre diplomatische Vertretung ersetzen. Der Bundesrat stellte fest, die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan seien in gewisser Hinsicht tatsächlich anormal, da die Schweiz das einzige Land sei, bei dem ein Nuntius akkreditiert ist, welches selber aber keine Vertretung beim Vatikan unterhält. Dennoch, so führte er weiter aus, erachte er die Errichtung einer ständigen Vertretung beim Vatikan nicht als dringlich. Eine Schliessung der Nuntiatur, wie es ein Postulat Zwygart (evp, BE) verlangt hatte, stehe für ihn hingegen ausser Frage. Auf seinen Antrag wurden beide Postulate abgelehnt [42].
 
[39] Presse vom 23.5.90. Rechtsfragen: Lit. Cavelti und Lit. Gut; Vat., 22.5., 24.7. und 7.12.90; TA, 23.5., 25.5. und 29.9.90; Presse vom 12.7.90; NZZ, 18.7. und 1.9.90; Presse vom 19.7.90 (Replik der bischöflichen Kanzlei); SZ und TW, 28.8.90; BüZ, 29.9.90; LNN, 13.10.90.
[40] Kantone: Vat., 17.5.90; LNN, 30.5., 12.6. und 15.6.90; BüZ, 2.6.90; TA, 22.6.90. Kirchenbasis: Presse vom 18.6.90; TA, 5.12.90; Vat., 27.12.90; Kirchliche Institutionen: LNN, 1.6., 15.6., 28.11. und 11.12.90; Vat., 1.6. und 9.6.90; TA, 22.6. und 28.9.90; BüZ, 29.6., 21.7. und 23.7.90. Zürich: Presse vom 28.5.90; NZZ, 29.5., 31.5., 4.7. und 31.8.90; TA, 22.6., 31.8. und 3.9.90; Presse vom 29.6.und 4.7.90; SGT, 4.9.90. Finanzprobleme Churs: BüZ, 7.7., 6.1 1. und 3.12.90; Vat., 15.12.90. Art 50 Abs 4 BV: CdT, 12.9.90.
[41] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1928 fr.
[42] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1910 f. und 1912. Für die Diskussion des Falls Haas und die starre Haltung Roms anlässlich des Arbeitsbesuches eines Schweizer Diplomaten im Vatikan siehe: NZZ, TW und Suisse, 13.7.90; Vat., 20.7.90; Bund, 20.9.90.