Année politique Suisse 1991 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Sozialdemokratische Partei (SP)
Das vom SP-Vorstand im Jahre 1990 vorbereitete "Manifest für Europa" wurde am 2. März am Parteitag in Bern von den Delegierten ohne Gegenstimme und bei wenigen Enthaltungen gutgeheissen. Im Manifest fordert die SP den Bundesrat auf, Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Gemeinschaft aufzunehmen, formulierte aber zahlreiche Bedingungen für einen Beitritt. Gemäss den Ausführungen der Partei sei die real existierende EG in vielen Bereichen weit von ihren Vorstellungen eines föderalistisch-demokratischen, sozialen, ökologischen und weltweit solidarischen Europa entfernt; trotzdem sehe sie die Lösungsansätze für die verschiedenen Probleme nur in einer gemeinsamen supranationalen Politik. Sonderfallregelungen für die Schweiz sollten laut dem Manifest in den Bereichen des Lastwagentransitverkehrs sowie der Umweltschutz- und Energiesparziele durchgesetzt werden. Für ihre Zustimmung zu einem Beitritt der Schweiz zur EG stellte die SP aber auch innenpolitische Bedingungen. Diese beinhalten eine gerechte Verteilung neu erwirtschafteten Reichtums zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, eine ökologische Landwirtschaftspolitik, einen Abbau der Miltärausgaben und eine Verstärkung der direktdemokratischen Instrumente in den Bereichen, die nicht durch europäisches Recht abgedeckt werden [22].
Im übrigen verabschiedete die Delegiertenversammlung ebenfalls ein Manifest zur Gleichstellung von Frau und Mann. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Gesellschaft, Beruf und Politik soll in zehn Jahren erreicht werden. Als dritter Schwerpunkt wurde die Lancierung von zwei Volksinitiativen im Bereich der Sicherheitspolitik beschlossen. Unter den Titeln "Für ein Verbot der Kriegsmaterialausfuhr" resp. "Für weniger Militärausgaben und mehr Friedenspolitik" wurden die Initiativen unter Mitarbeit der Arbeitsgemeinschaft für Rüstungskontrolle und ein Waffenausfuhrverbot (ARW) sowie des Christlichen Friedensdienstes (CFD) im Mai lanciert. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund, die Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) und über zwanzig friedens- und entwicklungspolitische Organisationen unterstützten die Initiativen [23]. Vor der Initiativlancierung stellte die Partei die "Grundlagen zur Friedens-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik" vor, welche eine Art Gegenvorschlag zum im April veröffentlichten "Sicherheitsbericht 90" des Bundesrates darstellten [24].
Im Berichtsjahr eingereicht hat die SP die gemeinsam mit dem SGB lancierte Volksinitiative "Zum Ausbau von AHV und IV" [25].
Im Vorfeld der Wahlkampagne griff die Partei den Problemkreis der Asylpolitik auf; der Parteivorstand hiess in einem Thesenpapier die Beschleunigung des Asylverfahrens, die prinzipielle Aufnahme von Tamilen sowie Kurden aus dem Südosten der Türkei als Gewaltflüchtlinge und die Einsetzung einer Unabhängigen Beschwerdeinstanz gut. Im übrigen forderte die SP, dass Asyl grosszügiger gewährt wird und führte aus, dass es mit einer liberaleren Anerkennungspraxis einfacher wäre, negative Entscheide konsequent zu vollzuziehen [26].
Hinsichtlich der eidgenössischen Abstimmungen beschloss die Partei die Ja-Parolen für die Initiative zur Förderung des öffentlichen Verkehrs, für das Stimm- und Wahlrechtsalter 18 und für die Finanzvorlage, hingegen lehnte sie die Barras-Reform, welche sie als Rückschritt in der Behandlung von Dienstverweigerern betrachtete, ab [27].
Uneinigkeit bestand innerhalb der Partei in bezug auf die Frage des Beitritts der Schweiz zum Internationalen Währungsfonds und zur Weltbank. Nachdem das Parlament und unter anderem auch eine Mehrheit der sozialdemokratischen Abgeordneten einen Beitritt befürwortet hatten, setzte sich im Parteivorstand an einer Sitzung, an welcher weniger als die Hälfte der Mitglieder teilnahmen, eine knappe Mehrheit von 25 gegen 22 Stimmen für die Unterstützung des Referendums gegen den Parlamentsbeschluss durch; damit stellte sich der Vorstand gegen den massgeblich an der Vorlage beteiligten Bundesrat Stich. Nach dem Vorstandsentscheid haben mehr als die Hälfte der Fraktionsmitglieder einen Aufruf gegen das Referendum unterschrieben [28].
Eine bei der Bundesanwaltschaft eingereichte Strafanzeige der SP-Fraktion gegen die Verantwortlichen der Geheimorganisationen P-26 resp. P-27 bewirkte bei den bürgerlichen Regierungsparteien — genauso wie die armeekritische Haltung der SP — Unmut, der zu einer erneuten Diskussion über die Berechtigung einer SP-Regierungsbeteiligung führte [29].
Sowohl die seit über zwei Jahren zu beobachtende "Normalisierung" der Verhältnisse innerhalb der Partei, welche sich in einer Ablösung der offenen Flügelkämpfe durch eine Harmonisierung unter den verschiedenen Parteiexponenten sowie durch ein entspanntes Verhältnis zu den Gewerkschaften ausdrückte, als auch hinzugewonnene Mandate bei kantonalen Wahlen führten im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen in der SP zu Hoffnungen, die Partei könnte wieder eine Wählerschaft von über 20% ansprechen und Sitze zurückgewinnen. Diese Hoffnungen wurden nicht erfüllt. Die SP stagnierte auf dem Stand der letzten Wahlen und verlor zusätzlich zwei Mandate im Ständerat; die Wahl für die drei übrig gebliebenen Sitze in der kleinen Kammer wurde erst im zweiten Wahlgang zu ihren Gunsten entschieden. Erfolgreicher war die SP hingegen bei den kantonalen Wahlen: insgesamt gewann sie 13 Mandate, davon 9 allein im Kanton Zürich [30].
Die VOX-Analyse ergab, dass die SP — wie auch die SVP — über eine wesentlich jüngere Wählerschaft verfügt als die FDP und die CVP. Wie bei keiner anderen Partei dominierten unter den Wählern und Wählerinnen der SP die mittleren Angestellten und Beamten; der Anteil der einfachen Angestellten und Arbeiter entsprach bei der ehemaligen Arbeiterpartei hingegen dem Mittel aller Parteien [31].
 
[22] Presse vom 4.3.91; L'Hebdo, 16.5.91. Vgl. auch SPJ 1990, S. 331 und WoZ, 1.3.91.
[23] Parteitag: Presse vom 4.3.91. Ankündigung der beiden Initiativen: NZZ, 28.1. und 25.2.91. Lancierung: BBl, 1991, II, S. 444 ff. und 448 ff.; Presse vom 28.5.91.
[24] Presse vom 8.5.91. Bei der Würdigung des Sicherheitsberichtes im StR stellte sich Miville (BS) gegen die allgemein kritische Haltung seiner Partei (Amtl. Bull. StR, 1991, S. 749 f.).
[25] Siehe oben, Teil I, 7c (Alters- und Hinterbliebenenversicherung).
[26] Bund und NZZ, 27.5.91.
[27] Presse vom 22.4.91.
[28] Express, 28.10.91; SP-Pressedienst, 5.11.91; TA, 22.11.91. Vgl. auch oben,Teil I, 2 (Organisations internationales).
[29] TW, 30.4.91; BZ, 1.5.91; TA, 2.5.91. Siehe dazu auch oben, Teil I, 1c (Regierung)
[30] Wahlprognosen und Rückschau: JdG, 28.9.91; BüZ, 4.10.91. Wahlresultate: siehe oben, Teil I, 1e.
[31] Lit. VOX.