Année politique Suisse 1991 : Eléments du système politique / Institutions et droits populaires / Volksrechte
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Rechtliche Ausgestaltung
Volksinitiativen, welche sich gegen konkrete Bauvorhaben richten, waren in den letzten Jahren oft mit einer Rückwirkungsklausel versehen gewesen. So hätte die Annahme der 1990 verworfenen Initiative "Stopp dem Beton" alle seit 1986 bewilligten oder gebauten Strassen betroffen. Auch die Initiative "40 Waffenplätze sind genug", welche sich konkret gegen den in Neuchlen-Anschwilen (SG) geplanten Waffenplatz richtet, verfügt über eine Rückwirkungsklausel, um einen während der Behandlung der Initiative getroffenen Parlamentsentscheid wieder rückgängig zu machen. Nationalrat Zwingli (fdp, SG) reichte nun eine parlamentarische Initiative ein, welche verlangt, dass in Zukunft das Parlament über die Gültigkeit von Rückwirkungsklauseln entscheiden soll. Der Nationalrat beschloss gegen den Widerstand der Linken, diesen Vorstoss zumindest in seiner allgemeinen Stossrichtung zu unterstützen und eine Kommission mit näheren Abklärungen zu beauftragen [58].
Nach Ansicht der Kommissionsmehrheit sind diese Rückwirkungsklauseln vor allem vom Standpunkt der Rechtssicherheit her problematisch, weil mit ihnen nachträglich die verfassungsmässige Kompetenzordnung aufgehoben werden kann, indem ein faktisches Referendumsrecht für bereits zustandgekommene, nicht referendumspflichtige Parlamentsbeschlüsse eingeführt wird. Zudem sieht die Kommission in ihnen insofern einen Missbrauch der Volksrechte, als sie eingesetzt werden, um den Vollzug von Beschlüssen — zumindest bis zur Volksabstimmung über diese Initiativen — hinauszuschieben. Gegner des Vorstosses Zwingli hielten dem entgegen, dass ein Verbot von Rückwirkungsklauseln eine nicht akzeptable und bisher nicht übliche Einschränkung der Volksrechte bedeuten würde, und dass diese Klauseln ein wichtiges Druckmittel für eine rasche Behandlung von Initiativen durch Bundesrat und Parlament darstellten [59]. Im Parlament besteht Einigkeit, dass eine Verkürzung der Behandlungsfristen für Volksinitiativen nötig ist. Die Motion des Nationalrats für eine speditivere Behandlung von Volksinitiativen wurde im Berichtsjahr auch vom Ständerat gutgeheissen [60].
Wohl nicht zuletzt mit Blick auf die zu erwartende Auseinandersetzung über die Beschaffung eines neuen Kampfflugzeugs hatte Nationalrat Hubacher (sp, BS) im Vorjahr eine parlamentarische Initiative für die Einführung eines allgemeinen Rüstungsreferendums eingereicht. Nachdem die Stimmberechtigten bereits 1987 eine entsprechende Volksinitiative der SP mit einem Neinstimmenanteil von knapp 60% verworfen hatten, lehnte der Nationalrat auch den von der SP, den Grünen und der LdU/EVP-Fraktion unterstützen Vorstoss Hubacher mit 96 zu 54 Stimmen ab. Nach Ansicht der Fraktionen der FDP und der SVP dürfte eine derartige Erweiterung der Volksrechte nur im Rahmen der Einführung eines generellen Finanzreferendums, dem z.B. auch Beschlüsse über Rahmenkredite für Entwicklungshilfe oder Lohnerhöhungen für das Bundespersonal unterstellt wären, eingeführt werden [61].
Die zuständige Nationalratskommission veröffentlichte ihren ablehnenden Bericht zur Einheitsinitiative, bei der das Parlament entscheiden könnte, ob das Anliegen einer Volksinitiative auf der Verfassungsoder der Gesetzesstufe behandelt werden soll. Wie die Kommission bereits im Vorjahr bekannt gegeben hatte, beurteilt sie dieses neue Instrument in der Praxis als zu kompliziert. Im Plenum fand dieses Verdikt bei allen Fraktionen mit Ausnahme der SVP Zustimmung. Ebenso abgelehnt wie die Einheitsinitiative wurde auch ein Antrag der Kommissionsminderheit für die Ausarbeitung eines Vorschlags für die Einführung der Gesetzesinitiative. Gegen diese war bisher ins Feld geführt worden, dass mit ihr die im parlamentarischen Gesetzgebungsprozess gegebene Gleichberechtigung des Ständerates umgangen werden könnte. Vollmer (sp, BE) skizzierte nun ein neues Modell, welches mit den föderalistischen Prinzipien verträglich ist. Dieses sieht vor, dass für die Annahme von Gesetzesinitiativen, welche von einer der beiden Parlamentskammern abgelehnt werden, nicht nur das Volks- sondern auch das Ständemehr erforderlich ist [62].
 
[58] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 2460 ff. Die Initiative Zwingli will die neuen Bestimmungen ausdrücklich nicht auf bereits lancierte Volksbegehren (wie z.B. die Waffenplatzinitiative) anwenden.
[59] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 2461 ff.
[60] Amtl. Bull. StR, 1991, S. 308. Vgl. SPJ 1990, S. 46.
[61] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 2399 ff.; TA, 13.12.91. Zur Volksabstimmung siehe SPJ 1987, S. 88 f.
[62] BBl, 1991, III, S. 856 ff.; Amtl. Bull. NR, 1991, S. 1617 ff.; BaZ, 28.9.91. Siehe SPJ 1990, S. 46.