Année politique Suisse 1991 : Economie / Politique économique générale / Konjunkturlage
Die Schweiz geriet im Berichtsjahr in eine
leichte Rezession bei anhaltend hoher Teuerung. Allerdings zeichnete sich im letzten Quartal sowohl bei den wirtschaftlichen Aktivitäten als auch bei der Teuerung eine Besserung ab. Das Bruttosozialprodukt war 1991 mit einer realen Veränderung um -0,5% zum erstenmal seit 1982 rückläufig. Wachstumsimpulse gingen einzig noch vom privaten Konsum und den laufenden Käufen des Staates und der Sozialversicherungen aus. Von den Privaten waren vor allem Dienstleistungen, namentlich im Tourismussektor gefragt, die Nachfrage nach Gütern stagnierte hingegen. Die erlahmende Nachfrage führte bei den Investitionen zu einem Einbruch (—2,8%), von dem nicht nur wie im Vorjahr das Baugewerbe, sondern auch die Ausrüstungsinvestitionen betroffen waren. Sowohl die Importe als auch die Exporte gingen in realen Werten leicht zurück (-1,4% resp. -1,3%). Nach ersten Schätzungen hat sich der Uberschuss der Ertragsbilanz um 0,8 Mia Fr. auf 12,8 Mia Fr. erhöht
[3].
Der
Arbeitsmarkt reagierte schnell auf die verschlechterte wirtschaftliche Lage. Während im ersten Quartal die Beschäftigung im Vergleich zum Vorjahresquartal noch leicht anstieg und im zweiten Quartal stagnierte, setzte in der zweiten Jahreshälfte ein Rückgang ein, welcher im vierten Quartal -0,9% ausmachte. Im Jahresmittel zählte man 0,3% weniger Beschäftigte als im Vorjahr. Damit wurde eine siebenjährige Wachstumsperiode beendet, während der rund 300 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden waren. Im Dienstleistungsbereich setzte sich die Expansion zwar noch in abgeschwächter Form fort, im 2. Sektor kam es jedoch zu einem Abbau um 1,9%. Davon war nicht nur das Baugewerbe (—2,3%), sondern auch die verarbeitende Produktion (—1,7%) betroffen. Diese branchenmässige Verteilung bildet wahrscheinlich den Hintergrund für die Tatsache, dass der Beschäftigungsrückgang sich nur bei den Männern auswirkte (—0,7%), während bei den Frauen im Jahresmittel eine weitere Zunahme um 0,5% registriert wurde. Auch in bezug auf die regionale Verteilung wirkte sich der Konjunktureinbruch unterschiedlich aus. Die Kantone Schaffhausen (—2,1 %), Genf (—1,5%) und Neuenburg (—1,3%) waren vom Beschäftigungsrückgang am meisten betroffen; in Teilen der Ostschweiz (St. Gallen, Thurgau, Graubünden) und in der Innerschweiz wuchs demgegenüber die Beschäftigtenzahl nochmals an. Trotz der verschlechterten Arbeitsmarktlage nahm die Zahl der beschäftigten Ausländer weiter zu, wenn auch schwächer als im Vorjahr. Einem leichten Abbau bei den Saisonniers und den Grenzgängern stand eine starke Zunahme bei den Niedergelassenen (+6,7% zu Jahresende) gegenüber. Die Zahl der Arbeitslosen erhöhte sich kontinuierlich auf 58 580 im Dezember, was einer
Arbeitslosenquote von 1,9% entspricht; im Jahresdurchschnitt betrug diese Quote 1,3% (1990: 0,6%). Diese im internationalen Vergleich tiefe Rate stellt für die Schweiz einen Rekordwert für die Nachkriegszeit dar
[4].
Das Wachstum der
industriellen Produktion schwächte sich auf 1 % ab. Eine deutliche Zunahme um 7% verzeichnete die Maschinenindustrie, welche bereits im Vorjahr die höchste Zuwachsrate erzielt hatte. Starke Einbrüche erlitten hingegen die baunahen Industrien Holz bzw. Steine und Erden mit -5% bzw. -12%. Die Investitionen bildeten sich um 2,8% zurück, wobei der Rückgang bei den Bauinvestitionen (—3,6%) spürbar deutlicher ausfiel als bei den Ausrüstungsinvestitionen (—1,6%). Die Rezession im Baugewerbe drückte sich auch in einer Schrumpfung des Auftragsbestands um 9% aus
[5].
Noch nicht von rezessiven Tendenzen berührt war die schweizerische
Tourismusbranche. Dank einer vermehrten Nachfrage sowohl von inländischen als auch von ausländischen Gästen stieg der Umsatz auf eine neue Rekordhöhe von 20,9 Mia Fr. Die Einnahmen aus dem internationalen Tourismus erhöhten sich um 7,4% auf 12,8 Mia Fr., wovon rund 40% auf die Hotellerie entfielen. Damit konnte die Tourismusbranche ihre Stellung als drittwichtigste Devisenverdienerin hinter der Maschinenindustrie und der Chemie festigen. Da die Ausgaben von Schweizer Touristen im Ausland nur um 1,3% zunahmen, verbesserte sich der Aktivsaldo der Tourismusbilanz um mehr als einen Drittel auf 2,9 Mia Fr.
[6].
Die
Teuerung blieb auf dem hohen Niveau des Vorjahres. Der jährliche Anstieg des Index der Konsumentenpreise erreichte im Juni und Juli mit jeweils 6,6% einen Höchststand. Anschliessend verflachte sich die Kurve wieder auf 5,1 % (Oktober); nach einem vor allem mietzinsbedingten Anstieg auf 5,5% im November betrug die Teuerung zu Jahresende 5,2%. Im Jahresmittel wurde mit einem Anstieg der Konsumentenpreise um 5,9% der höchste Wert seit 1981 (6,5%) erreicht. Die Schweiz lag damit deutlich über dem westeuropäischen Mittelwert von etwa 4,5%. Erneut war die Teuerung weitgehend hausgemacht: die Inflationsrate betrug bei den Inlandwaren 6,8%, bei den Importen hingegen bloss 3,2%. Wie bereits im Vorjahr fiel der Anstieg bei den Wohnungsmieten mit 9,9% weit überdurchschnittlich aus. Die Inflationsrate der Grosshandelspreise bildete sich weiter zurück: sie betrug im Jahresmittel noch 0,4%
[7].
Der
Landesindex der Konsumentenpreise soll bis Ende 1992 auf eine neue Basis gestellt werden. Der Bundesrat stimmte im März einem Grobkonzept zu, welches vorsieht, die Erhebungsgrundlage zu erweitern und sich nicht mehr ausschliesslich an den Ausgabenstrukturen der Arbeitnehmer-Haushalte zu orientieren. Als zweite wichtige Neuerung ist geplant, in Zukunft von den effektiv vom Konsumenten bezahlten Preisen (sogenannte Transaktionspreise) auszugehen. Darin wären auch alle indirekten Steuern enthalten. Gerade im Zusammenhang mit der Diskussion um die Einführung von Lenkungsabgaben im Energie- und Umweltbereich wird dieses Konzept jedoch kritisiert. Da der Konsumentenpreisindex in der Regel als Basis für die Berechnung von vertraglich oder gesetzlich vorgesehenen automatischen Teuerungsausgleichen auf Löhnen und Rènten dient, besteht die Gefahr, dass sich Lenkungsabgaben bloss inflationär auswirken und die mit ihnen beabsichtigte Steuerung des Konsumverhaltens nicht erreicht wird. Der Freisinnige Hunziker (AG) plädierte deshalb in einem von der Hälfte des Ständerats unterzeichneten und ohne Gegenstimme überwiesenen Postulat für eine Ausklammerung. Bundesrat Cotti stellte sich nicht gegen die Überweisung des Vorstosses, erinnerte jedoch daran, dass sich die mit der Neugestaltung der Berechnungsgrundlagen für den Index beauftragte Expertenkommission gegen eine Ausklammerung entschieden hatte
[8].
[3] SNB, Geschäftsbericht, 84/1991, S. 25 ff.; SNB, Monatsbericht, 1992, Nr. 5, S. 126 f.; Kommission für Konjunkturfragen, Die Wirtschaftslage, 334. und 335. Mitteilung, Beilagen zu Die Volkswirtschaft, 65/1992, Nr. 1 und 4. Siehe auch oben, Teil I, 2 (Commerce extérieur suisse) und unten, Teil I, 4b (Geld- und Währungspolitik).
[4] Die Volkswirtschaft, 65/1992, Nr. 5, S. 8* ff. Siehe auch unten, Teil I, 7a (Arbeitsmarkt) und 7d (Ausländerpolitik).
[5] Die Volkswirtschaft, 65/1992, Nr. 5, S. 4* (Investitionen) und 18* (Produktion).
[6] NZZ, 3.6.92. Zur Wertschöpfung des Tourismus siehe auch NZZ, 12.11.91; SHZ, 14.11.91.
[7] Die Volkswirtschaft, 65/1992, Nr. 5, S. 15* ff.
[8] Grobkonzept: BaZ, 5.3.91; siehe auch Bund, 7.9.91. Postulat: Amtl. Bull. StR, 1991, S. 558 ff. Vgl. auch SPJ 1985, S. 61.
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