Année politique Suisse 1991 : Chronique générale / Finances publiques
Voranschlag 1992
Bundesrat Stich präsentierte
zum erstenmal seit sieben Jahren einen Voranschlag mit einem Defizit. Das Budget rechnete mit einem Fehlbetrag von rund 2 Mia Fr. und sah eine
Ausgabenerhöhung um 11,7% vor, während auf der Einnahmenseite nur eine Steigerung von 5,6% erwartet wurde. Die Bundesstaatsquote wäre damit auf 10,7% im Jahre 1992 geklettert. Die grössten Steigerungen auf der Ausgabenseite waren in den Bereichen Beziehungen zum Ausland und Finanzausgaben mit 31% resp. 23,1% vorgesehen. In absoluten Zahlen umfasste der Bereich der sozialen Wohlfahrt mit 8565 Mio Fr. und einer Steigerung von 11,9% den grössten Posten. Auf der Einnahmenseite wurden die Stempelabgaben — bedingt durch die 1992 in Kraft tretende Stempelsteuerrevision — mit einer Verringerung von 18,8% gegenüber den budgetierten Einnahmen von 1991 veranschlagt. Ein derart defizitäres Budget würde laut der Botschaft des Bundesrates die während der vergangenen Jahre greifenden Sanierungsbemühungen der Bundesfinanzen auf einen Schlag zunichte machen, da sich der Bund zusätzlich verschulden müsste. Laut Rechnungsabschluss von 1989 betrugen die Schulden von Bund, Kantonen und Gemeinden rund 33% des jährlichen Bruttosozialprodukts, was im Vergleich zu den anderen OECD-Ländern wenig ist. Eine massive Neuverschuldung von Bund und Kantonen würde die Schweiz jedoch in bezug auf ihre Verschuldungsquote ins Mittelfeld der Industrieländer abgleiten lassen und sich über höhere Zinsen negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken
[25].
Die ständerätliche Kommission akzeptierte das vorgelegte Budget, allerdings nicht ohne Bedenken. Die Finanzkommission des Nationalrats entschied sich hingegen mit 16 zu 3 Stimmen, das Budget zur Überarbeitung an den Bundesrat zurückzuweisen, mit dem Auftrag, gesamthaft 1,5 Mia Fr. zu sparen und den Personalbestand einzufrieren. Zusätzlich beauftragte sie die Regierung, einen Dringlichen Bundesbeschluss vorzubereiten, der Neueinnahmen zur Finanzierung der Direktzahlungen an Bauern in der Höhe von 300 Mio Fr. garantieren soll
[26].
Daraufhin erklärte sich der Bundesrat bereit, die Ausgaben im Budget 1992 um höchstens 500 Mio Franken zu kürzen. Diese Kürzungen nahm er im Nationalstrassenbau, beim Militärdepartement, im Asylwesen und in der Landwirtschaft vor; ausserdem verschob er die Verpflichtungen in der Höhe von über 100 Mio Fr. für die Beteiligung an der internationalen Entwicklungsorganisation IDA auf das Budget 1993
[27].
Die
Beratungen im Parlament gestalteten sich relativ schwierig. Zuerst hob der Ständerat gewisse Kürzungen wieder auf. Im Nationalrat stellten drei Fraktionen (LdU/EVP, SD/Lega, AP) den Antrag auf Rückweisung mit der gleichzeitigen Aufforderung an den Bundesrat, einen Voranschlag mit höchstens 500 Mio Fr. Defizit zu präsentieren. Der Rat lehnte den Rückweisungsantrag jedoch mit 148 zu 25 Stimmen ab. In der Detailberatung standen über 30 Abänderungsanträge zur Diskussion, wobei vor allem die Strassenbeiträge des Bundes an die Kantone und die Mittel für den Nationalstrassenbau umstritten waren; letztere wurden nur ganz leicht gekürzt. Zum Schluss verabschiedete der Nationalrat einen Voranschlag mit einem budgetierten Defizit von 1,309 Mia Fr. Im Differenzbereinigungsverfahren gab die kleine Kammer in über 40 Detailfragen dem Nationalrat nach, dieser schloss sich dafür dem Beschluss des Ständerats betreffend höherer Nationalfondsgelder an. Der so verabschiedete Voranschlag sah noch ein
Defizit von 1,328 Mia Franken vor
[28].
Bis 1995 prognostizierte Bundesrat Stich ein Defizit, welches 5 Mia Fr. erreichen könnte. Obwohl Sparwille angesagt wurde, rechnete er bei den Sozialversicherungen noch mit einem massiven Ausbau der Mittel. So werden z.B. der flexible Altersrücktritt, das Rentensplitting, die Einführung der Mutterschaftsversicherung und die Bekämpfung der "neuen Armut" sowie die finanziellen Folgen von AIDS den Bundeshaushalt zusätzlich belasten. Im Bereich des öffentlichen Verkehrs stehen Grossprojekte wie die Bahn 2000 und die NEAT zur Verwirklichung an. Eine neue Landwirtschaftspolitik, welche den Anforderungen des künftigen GATT-Vertrages sowie den Liberalisierungsvorschriften im Rahmen der europäischen Integration entsprechen, wird in Form von Direktzahlungen an die Bauern Mehrkosten verursachen. Ebenso dürften die Kosten der Beziehungen zum Ausland, insbesondere zugunsten der Entwicklungszusammenarbeit, höher ausfallen
[29].
[25] wf, AD, 29.7. und 17.10.91; wf, Pressedienst, 21.10.91; wf, Dok., 4.11.91; Presse vom 19.10.91. Vgl. auch W. Linder, "Rückfall des Bundeshaushaltes in die roten Zahlen", in Schweizer Monatshefte, 71/1991, S. 770 ff.
[26] Presse vom 23.10.91; SHZ, 24.10.91.
[28] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 2213 ff., 2291 ff., 2355 ff. und 2398 f.; Amtl. Bull. StR, 1991, S. 936 ff., 1041 ff., 1061 f. und 1088 f.; BBl, 1992, I, S. 27 ff.; NZZ, 27.11., 3.-6.12. und 10.-13.12.91.
[29] Botschaft zum Voranschlag 1992; Presse vom 19.10.91; siehe auch Lit. Gygi.
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