Année politique Suisse 1991 : Politique sociale / Population et travail
Schutz der Arbeitnehmer
Einstimmig ermächtigte der Nationalrat den Bundesrat,
drei Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu ratifizieren, nämlich die Übereinkommen Nr. 119 (Maschinenschutz), 132 (Mindestdauer bezahlter Ferien) und 162 (Sicherheit bei der Verwendung von Asbest). Mit einem Postulat der vorberatenden Kommission beauftragte er zudem die Regierung, die Gesetzesänderungen zu prüfen, die notwendig sind, um die Hindernisse zur Ratifikation der Übereinkommen 170 (Sicherheit bei der Verwendung chemischer Stoffe bei der Arbeit) und 171 (Nachtarbeit) zu beseitigen. Der Bundesrat hatte dem Parlament beantragt, die Ratifizierung dieser beiden Abkommen auf unbestimmte Zeit zu vertagen, da selbst der Entwurf für ein revidiertes Arbeitsgesetz nicht in allen Punkten mit diesen beiden Übereinkommen kompatibel sei. Die kritischen Punkte betreffen den Kündigungsschutz, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, die Nachtarbeit sowohl für Männer wie für Frauen sowie den Mutterschaftsschutz
[28].
Ein Thurgauer Bezirksgericht fällte eines der ersten Urteile, bei dem der vor zwei Jahren in Kraft getretene revidierte
Kündigungsschutz zum Tragen kam. Ein Romanshorner Haushaltsapparate-Unternehmen hatte im März 1990 einer türkischen Arbeitnehmerin gekündigt, weil sich diese aus religiösen Gründen geweigert hatte, bei ihrer Arbeit auf das
Tragen eines Kopftuches zu verzichten. Das Bezirksgericht Arbon entschied ein Jahr später, dass diese Kündigung missbräuchlich gewesen sei, weil niemand wegen der Ausübung eines verfassungsmässigen Rechts – hier der Religions- und Glaubensfreiheit – entlassen werden kann. Die Firma wurde nicht dazu verurteilt, die Betroffene wieder einzustellen, musste ihr jedoch eine Entschädigung ausrichten
[29].
Der Christlichnationale Gewerkschaftsbund (CNG) kündigte an, eine Volksinitiative starten zu wollen, mit der er ein Recht auf Weiterbildung verlangen will. Mindestens fünf Arbeitstage pro Jahr sollen bei vollem Lohn zur beruflichen oder allgemeinen Weiterbildung genutzt werden dürfen
[30].
Die Gewerkschaft Textil, Chemie, Papier (GTCP) forderte rechtsverbindliche Richtlinien zur Regelung der Arbeitssicherheit bei der Forschung und Produktion von bio- und gentechnologischen Erzeugnissen. Die Anwendung der heutigen, von der Schweizerischen Kommission für biologische Sicherheit (SKBS) empfohlenen Richtlinien erachtet die Gewerkschaft als ungenügend, da sie auf Freiwilligkeit beruhen
[31].
Neue Technologien und personelle Engpässe fördern tendenziell die individuelle Mitbestimmung der gut qualifizierten Arbeitskräfte. Schwächere Arbeitnehmer laufen aber Gefahr, wegen dieser Individualisierung noch mehr als bisher von der Mitbestimmung ausgeschlossen zu werden. Dies ist das Fazit einer Untersuchung, die der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) veranlasst hatte. Nach Feststellung der Gewerkschaften ist die Mitbestimmung bei den Schweizer Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen
kein vordringliches Thema mehr. Die momentan zur Diskussion stehenden Mitbestimmungsvorschläge der EG-Kommission würden, falls sie rechtskräftig werden sollten, die Situation in der Schweiz zudem kaum berühren, da die meisten Betriebe den Mindestanforderungen bereits genügen
[32].
[28] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 1648 f.; TW, 4.6.91.
[29] WoZ, 28.3.91; SAZ, 1991, S. 362 ff.
[30] Presse vom 12.11.91.
[32] Lit. Jans; Presse vom 2.8.91.
Copyright 2014 by Année politique suisse
Ce texte a été scanné à partir de la version papier et peut par conséquent contenir des erreurs.