Année politique Suisse 1991 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
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Kostenentwicklung
In ihrem Bericht über die Wirtschaftslage in der Schweiz widmete die OECD ein umfangreiches Sonderkapitel den komplexen Problemen, die sich in der Schweiz bei den Bemühungen um eine Reform des Gesundheitswesens stellen. Die Verfasser der Studie kamen zum Schluss, dass die medizinische Versorgung in der Schweiz ein sehr hohes Qualitätsniveau erreicht hat und dass sich die damit verbundenen Gesamtkosten pro Kopf der Bevölkerung im Rahmen vergleichbarer Industrieländer bewegen. Sie warnten aber vor den Kostenschüben, welche die steigende Überalterung der Bevölkerung auslösen wird, sowie vor den Folgen der praktisch inexistenten Konkurrenz unter den Anbietern von medizinischen Leistungen [9].
Einem der Kritikpunkte des OECD-Berichtes, nämlich der mangelhaften überkantonalen Zusammenarbeit, rückten die Welschschweizer Kantone konkret zu Leibe. Sie schlossen eine Konvention ab, mit welcher kantonale und ausserkantonale Patienten bei den Tarifen der allgemeinen Abteilung der Spitäler gleichstellt werden. Damit kann unter anderem eine rationellere Nutzung kostenintensiver Einrichtungen erreicht werden. Mit ihrem Entschluss, inskünftig enger zusammenarbeiten zu wollen, leisteten auch die Universitätsspitäler von Lausanne und Genf einen Beitrag zur Vermeidung von teuren Doppelspurigkeiten [10].
Mit ein Grund für die steigenden Kosten im Gesundheitswesen sind die von verschiedenen Untersuchungen belegten überflüssigen Spitalleistungen besonders im Bereich der Chirurgie und Gynäkologie. Gesamthaft ist in der Schweiz die Spitalaufenthaltsdauer für den gleichen Krankheitsfall zwei bis dreimal höher als etwa in den USA. Fachleute aus dem Pflegebereich vertraten deshalb die Ansicht, es liessen sich mit Sicherheit Leistungen abbauen, ohne dass die Patientinnen und Patienten Schaden nähmen. Sie wiesen aber auch darauf hin, dass, solange die Patienten im Spital weniger bezahlen müssen als bei ambulanter Behandlung und Pflege zuhause (Spitex), es schwierig sein dürfte, sie zum Verzicht auf Spitalleistungen zu bewegen [11]. In einem überwiesenen Postulat regte Nationalrätin Segmüller (cvp, SG) an, die Verordnung zum Krankenversicherungsgesetz in dem Sinn zu ändern, dass Versicherte bei ambulanten Operationen von Franchise und Selbstbehalt befreit werden, dass also gleiche Bedingungen für stationäre und ambulante Eingriffe geschaffen werden [12].
In Beantwortung einer Interpellation Piller (sp, FR) zur Kostenexplosion im Gesundheitswesen versprach Bundespräsident Cotti, dem Parlament noch vor Ablauf des Jahres Überbrückungsmassnahmen zur Kostendämpfung im Gesundheitssektor vorzulegen. Der schliesslich angenommene dringliche Bundesbeschluss wird, da er primär die Krankenversicherung betrifft, im entsprechenden Kapitel (unten, Teil I 7c / Krankenversicherung) behandelt [13].
 
[9] NZZ, 13.9.91; SHZ, 3.10.91; Gesundheitspolitische Informationen (GPI), 1991, Nr. 4, S. 29 f. Für eine weitere internationale Vergleichsstudie, welche die Schweiz miteinbezieht und neben den Sachleistungen auch Einkommensleistungen wie Lohnfortzahlung bei Erkrankungen sowie die Selbstzahlungsquote berücksichtigt, siehe Lit. Schneider.
[10] Presse vom 9.10. und 19.11.91.
[11] Bund, 23.8.91; BaZ, 24.8.91; BZ, 10.9.91. Für Versuche mit ambulanter Chirurgie siehe TA, 28.11.91.
[12] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 2504.
[13] Amtl. Bull. StR, 1991, S. 784 ff.