Année politique Suisse 1991 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises / Das Verhältnis zwischen den Sprachgruppen
Die Tessiner Deputation des Nationalrates äusserte in zwei Motionen ihr
Unbehagen über die Stellung des Italienischen in Parlament und Bundesverwaltung und machte eine Reihe von Vorschlägen zur Verbesserung dieser Situation. Mit der unter Hinweis auf die hohen Kosten einer vollständigen Dreisprachigkeit zwar nur bedingt erfolgten Annahme der Motion zur Parlamentsarbeit zeigte die grosse Kammer dennoch Verständnis für das Anliegen der Tessiner. Im Rahmen der Parlamentsreform und der damit verbundenen Revision des Geschäftsverkehrsgesetzes beschloss der Nationalrat, innerhalb eines Jahres die nötigen Entscheide zur Gleichstellung der Amtssprachen zu fällen; als erste Massnahme dehnte sie die Simultanübersetzung der Plenardebatten aufs Italienische aus; ebenfalls simultan in die Amtssprachen übersetzt sollen inskünftig die Sitzungen der Kommissionen werden, es sei denn, sämtliche Kommissionsmitglieder gleicher Sprache verzichteten auf diese Dienstleistung
[36].
Bundesrat und Parlament zeigten sich ebenfalls geneigt, einen Teil der Forderungen der Tessiner Abgeordneten bezüglich der Arbeit der Bundesverwaltung zu erfüllen. Spätestens 1998 gedenkt die Regierung die von der Verfassung geforderte Gleichberechtigung des Italienischen mit den beiden anderen Amtssprachen zumindest in den
bundeseigenen Publikationen herzustellen. Bisher blieben beispielsweise die Vernehmlassungsberichte, die parlamentarischen Vorstösse sowie die Stellungnahmen des Bundesrates, der Voranschlag und die Staatsrechnung, Berichte von Experten- und Studienkommissionen, das Statistische Jahrbuch sowie die Zeitschrift "Die Volkswirtschaft" unübersetzt. Der Bundesrat beschloss deshalb, den
Bestand der italienischsprachigen Übersetzer in der Verwaltung schrittweise zu verdoppeln und in Bellinzona eine Zweigstelle seines Übersetzungsdienstes einzurichten
[37].
Der Forderung der Tessiner Abgeordneten nach einer sukzessiven
Erhöhung der Zahl der italienischsprachigen Bundesbeamten war Bundespräsident Cotti bereits anfangs Jahr zuvorgekommen, als er für sein Departement eine Quotenregelung bei der Personalauswahl einführte. Mit dieser Sofortmassnahme soll im EDI eine angemessene Vertretung der sprachlichen Bevölkerungsgruppen sichergestellt und der Anteil des weiblichen Personals erhöht werden. Ziel ist, bis Ende 1992 Verhältniswerte von 70% deutsch- (heute 74%), 20% französisch- (17%) und 10% italienischsprachige Mitarbeiter (7,5%) zu erreichen. Um den Dienst in der zentralen Bundesverwaltung für Tessiner attraktiver zu machen, regten die Motionäre ebenfalls die Schaffung einer dreisprachigen Schule (deutsch/französisch-italienisch) in Bern an. Auch dieser Wunsch stiess bei Bundespräsident Cotti auf viel Sympathie; er verwies jedoch auf den Grundsatz der kantonalen Schulhoheit und spielte so den Ball dem Kanton Bern zu
[38].
Die Zeit sei reif für die Wiederaufnahme der
Idee einer Tessiner Hochschule, hatte Bundesrat Cotti bereits Ende 1990 erklärt. In seiner Botschaft zum Sprachenartikel nahm der Gesamtbundesrat diesen Gedanken ebenfalls auf. Er stützte sich dabei auf eine Forderung der Arbeitsgruppe zur Revision des Sprachenartikels, die eine Universität im Tessin als unabdingbar für die Zukunft der dritten Landessprache bezeichnet hatte. Kurz vor Jahresende und fünf Jahre nach dem wuchtigen Nein der Tessiner Stimmberechtigten zum CUSI (Centro universitario della Svizzera italiana) präsentierte der Tessiner Staatsrat dann seine Vorstellungen einer redimensionierten Tessiner Universität. Eine Minimallösung — für die Tessiner Behörden ein in jedem Fall notwendiger Schritt — sieht die Koordinierung der verschiedenen bereits funktionierenden wissenschaftlichen Aktivitäten des Kantons vor. Für die ehrgeizigere Variante einer eigenen universitären Struktur wurden zwei Formen zur Diskussion gestellt: einzelne Institute — Basisausbildung in einem Sektor oder Postgraduate-Kurse — oder eine eigentliche Universität mit wenigen Fakultäten. Als Zeithorizont zu deren Realisierung wurde 1996 genannt
[39].
[36] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 1201 ff. und 1974 f.
[37] Amtl. Bull. NR, 1991, S. 2490 ff. Massnahmen des Bundes: Presse vom 5.9.91. Siehe dazu auch die Antwort des BR auf eine Interpellation Carobbio (sp, TI) (Amtl. Bull. NR, 1991, S. 1364 ff.).
[38] JdG und NZZ, 26.1.91; CdT, 6.3., 13.3., 8.5. und 12.6.91. In ihrem Inspektionsbericht 1991 bemängelte die GPK des NR die nach wie vor markante Untervertretung der sprachlichen Minderheiten in der Bundesverwaltung (BBl, 1992, III, S. 495 ff.). Für die gleichzeitig im EDI eingeführte Frauenquote siehe oben, Teil I, 7d (Stellung der Frau/ Arbeitswelt).
[39] BBl, 1991, II, S. 323; BZ, 29.10.90; Bund, 21.12.91.
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