Année politique Suisse 1991 : Enseignement, culture et médias / Culture, langues, églises / Kirchen
Die Schweizer Katholiken sahen in der Ernennung des Bischofs von Sitten, Heinrich Schwery, zum Kardinal einen Vertrauensbeweis Roms in die Schweizer Kirche und einen Hinweis darauf, dass der Papst deren Anliegen ernst nehme
[48].
Dies scheint allerdings nicht für die Kontroverse um den äusserst umstrittenen, dem Opus Dei nahestehenden
Churer Bischof Wolfgang Haas zu gelten, dessen Einsetzung führende Kirchenjuristen nach wie vor für widerrechtlich halten. Die Schweizer Bischöfe wurden mehrfach im Vatikan vorstellig und gaben ihrer Sorge über die unhaltbaren Zustände in der Diözese Chur Ausdruck, die durchaus zu einer Kirchenspaltung führen könnten. Der Papst schickte zwar einen Vermittler in die Schweiz und kündigte konkrete Schritte an, liess aber keinen Zweifel daran, dass mit einer Abberufung Haas nicht gerechnet werden könne
[49].
Die
Ernennung eines Schweizer Botschafters in Sondermission beim Vatikan muss zweifelsohne in Zusammenhang mit der Affäre Haas gesehen werden. Die Schweiz stellte bislang für den Heiligen Stuhl einen Ausnahmefall dar: Im Zuge des Kulturkampfes war es 1870 zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vatikan gekommen, ein Zustand, der sich erst 1920 mit der Wiedereröffnung einer Nuntiatur wieder halbwegs normalisierte. Die Schweiz hatte es jedoch nie für nötig erachtet, ihrerseits einen Botschafter beim Heiligen Stuhl zu ernennen, so dass die Beziehungen in beiden Richtungen über den in Bern akkreditierten Nuntius liefen. Noch im Vorjahr hatte es der Bundesrat bei der Behandlung eines Postulates Portmann (cvp, GR) abgelehnt, aufgrund der Entwicklungen im Bistum Chur, die er als innerkatholisches Problem einstufte, eine Normalisierung der diplomatischen Beziehungen in Erwägung ziehen zu wollen. Im Berichtsjahr kam der Bundesrat nun aber offenbar doch zur Einsicht, dass angesichts der Spannungen zwischen dem Vatikan und den Schweizer Katholiken ein ständiger Kontakt durch intensiv gestaltete diplomatische Beziehungen für beide Seiten nur von Nutzen sein könne. Mit der Ernennung eines Botschafters in Sondermission, der zwischen Bern und Rom pendeln wird, verfügt die Regierung nun über ein diplomatisches Instrument, um den Vatikan umgehend, direkt und auf politischer Ebene über die Stimmung in der Schweiz zu informieren
[50].
Ende März starb in Martigny (VS) der Traditionalist und
Alt-Erzbischof Marcel Lefebvre, der wegen seiner Gründung eines integristischen Priesterseminars in Ecône (VS) und der Weihung von vier Bischöfen 1988 von Rom exkommuniziert worden war
[51].
[48] Presse vom 30.5., 29.6. und 1.7.91.
[49] NZZ, 15.3., 13.6., 24.8., 27.8. und 17.10.91; Vat., 25.3., 5.4., 25.5. und 6.7.91; Presse vom 7.6., 29.7., 6.9. und 28.11.91; TA, 3.8., 26.8., 27.8., 5.12. und 13.12.91; LNN, 1.2., 26.4., 4.9., 26.11. 2.12. und 13.12.91; BüZ und LZ, 27.11.91; Presse vom 12.12.91; Bund, 18.12.91. In den Kantonen, die zum Bistum Chur gehören, traten seit dem Amtsantritt von Haas rund doppelt so viele Katholiken aus der Kirche aus wie in den Jahren zuvor (Bund, 30.3.92).
[50] NZZ, 16.11.91; Bund, 11.1.92. Siehe dazu auch SPJ 1991, S. 271. Mit der Ernennung eines Botschafters in Sondermission erfüllte der BR auch den Wunsch des Tessiner FDP-Nationalrats Pini, der die Regierung in einem in der Sommersession eingereichten Postulat ersucht hatte, die Möglichkeiten einer Normalisierung der diplomatischen Beziehungen mit dem Vatikan zu prüfen (Verhandl. B.vers., 1991, VI, S. 99).
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