Année politique Suisse 1992 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Das Parteiensystem
Nachdem die Regierungsparteien in den Parlamentswahlen im Oktober 1991 insgesamt massive Verluste hatten hinnehmen müssen, wurden im Berichtsjahr Rufe nach einer Zulassungsbeschränkung für den Nationalrat mittels einer Sperrklausel oder anderer Instrumente laut. Die Aufsplitterung der verschiedenen Interessengruppen verunmögliche es laut verschiedenen Parteisekretären zunehmends, eine kohärente Politik zu realisieren. Allerdings waren sich die Kritiker des geltenden Wahlmodus darin einig, dass die Diskussion um eine Sperrklausel nicht unabhängig von derjenigen über eine Reform des gesamten Regierungssystems geführt werden kann [1].
Die Erosion der Regierungsparteien geht längerfristig einher mit einer Aufweichung der Abgrenzungen zwischen den wichtigsten bürgerlichen Parteien. Gleichzeitig nehmen die parteiinternen Abweichungen von Parteiparolen und divergierende Meinungen wichtiger Exponenten zu, wie dies vor allem im Falle der Abstimmung über den EWR-Vertrag zu beobachten war. Von den grösseren Parteien konnte die SP ihre Wählerschaft am besten von ihrer Ja-Parole zum EWR überzeugen (69% der Stimmenden), gefolgt von der FDP mit 62%. Die CVP als EWR-zustimmende Partei erreichte nur eine Übereinstimmung von 53%, die GP, welche dem EWR ablehnend gegenüberstand, sogar nur 47%. Die SVP-Wählerschaft folgte zu 68% der Nein-Parole ihrer Partei und war damit fast gleich geschlossen wie die SP. Nach dem negativen Ausgang der EWR-Abstimmung stellte sich die Frage, ob die in einer wichtigen Frage aus der Konsenspolitik ausgescherte SVP zusammen mit Politikern aus den anderen bürgerlichen Regierungsparteien, welche sich ebenfalls gegen den EWR gestellt hatten, einen neuen rechtsbürgerlichen Parteienblock in Opposition zu einer liberalen und einer linken Formation bilden könnte [2].
Gemessen an den Parolen zu den eidgenössischen Abstimmungen (siehe parolen_1992.pdf) war aber die SP immer noch die oppositionellste Regierungspartei. Bei 4 von 14 Fragen stellte sie sich gegen die Regierung; bei dem von ihrem eigenen Bundesrat mit Vehemenz vertretenen IWF-Beitritt enthielt sie sich der Stimme. Die Parolen der SVP wichen in drei Fällen von der Empfehlung des Bundesrates ab (EWR, Parlamentarierentschädigung, Geschäftsverkehrsgesetz), diejenigen der FdP zweimal (Gewässerschutzgesetz und bäuerliches Bodenrecht) und diejenigen der CVP nie [3].
Angesichts der Vielzahl von Sachvorlagen, welche im Berichtsjahr zur Abstimmung gelangten, wurde neben der Frage der Uberforderung der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ebenfalls die Kapazität der Parteiorgane hinsichtlich der Planung und Durchführung von Kampagnen thematisiert. Dabei kam auch die Einführung einer staatlichen Parteienfinanzierung zur Sprache, welche laut CVP-Generalsekretär Rickenbacher ein unentbehrliches Instrument zur Bewältigung der zukünftigen Probleme im politischen Management darstellt [4].
Bei kantonalen Wahlen konnten sowohl die FDP und die SVP als auch die SP Terrain gut machen. Einzig die CVP erlitt wiederum massive Verluste. Bei den städtischen Wahlen blieben die SP und die SVP konstant, die FDP und die CVP mussten dagegen leichte Verluste hinnehmen [5].
 
[1] BZ, 4.1.92. Vgl. auch oben, Teil I, 1c (Volksrechte).
[2] SGT, 22.12.92; TA, 31.12.92. Zu Parteianhängerschaft und EWR-Parolenbefolgung siehe Vox, Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 6. Dezember 1992, Genf 1993.
[3] Zu den nationalen Parolen verweisen wir auf die Übersichtstabelle (parolen_1992.pdf); zu den abweichenden Parolen kantonaler Sektionen vgl. die entsprechenden Sachkapitel.
[4] BZ, 6.4.92.
[5] Siehe auch NF, 25.11.92 sowie oben, Teil I, 1e.