Année politique Suisse 1992 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique
Strafrecht
Infolge des Referendums der EDU und des Vereins "Recht auf Leben" fand am 17. Mai eine Volksabstimmung über das neue Sexualstrafrecht statt. Die wesentlichsten Punkte der Revision waren die Entkriminalisierung sexueller Beziehungen zwischen nahezu gleichaltrigen Kindern (bei Beibehaltung des Schutzalters 16), die Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe, die vollständige Gleichbehandlung von hetero- und homosexuellem Verhalten sowie die Differenzierung zwischen weicher und harter Pornographie und analog zum Brutaloverbot die Bestrafung der letzteren (z.B sexuelle Darstellungen mit Beteiligung von Kindern oder Tieren). Für die breite Front der Befürworter bedeutete die Revision primär eine fällige Anpassung der rund fünfzig Jahre alten Bestimmungen an die gewandelten Verhaltensweisen und Moralvorstellungen. Die Gegner, zu denen sich neben den beiden im Referendumskomitee vertretenen Gruppierungen noch die Schweizer Demokraten und die Auto-Partei gesellten, sahen in den neuen Bestimmungen einen Angriff auf die guten Sitten, den christlichen Glauben und die in der Bibel festgelegten Prinzipien
[24].
Sexualstrafrecht. Abstimmung vom 17. Mai 1992
Beteiligung: 39,2%
Ja: 1 255 604 (73,1%)
Nein: 461 723 (26,9%)
Parolen:
— Ja: FDP (1*), SP, CVP (2*), SVP (1*), GP, LP, LdU, EVP (1*), PdA; SGB, CNG, SGV.
— Nein: AP, SD, EDU.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Die Stimmberechtigten hiessen die Revision mit
73.1% Ja-Stimmen gut.
Abgelehnt wurde die Vorlage einzig im Wallis, wo die CVP wie auch in Freiburg die Nein-Parole ausgegeben hatte; die ebenfalls stark katholisch geprägten Kantone der Innerschweiz stimmten hingegen deutlich zu. Die nach der Abstimmung durchgeführte Vox-Befragung ergab, dass es sich für die Ja-Stimmenden vor allem um die Anpassung eines veralteten Gesetzes an die heutigen Verhaltensweisen und Moralvorstellungen gehandelt hat, während bei den Gegnern gerade der Widerstand gegen diesen Wandel im Vordergrund stand
[25].
Immer mehr wird auch in der Schweiz die wachsende Kriminalität zu einem Problem. Eine Untersuchung zeigte zwar, dass relativ zur Bevölkerungszahl die Gesamtzahl der Delikte seit 1982 nur wenig zugenommen hat. Wesentlich stärker zugenommen (+20%), haben hingegen die sogenannten
Gewaltdelikte (Tötung, Körperverletzung, Raub etc.). Weit überdurchschnittlich fiel dieser Anstieg in den grossen Städten aus, was dazu führte, dass, in Relation zur Bevölkerungszahl, die Häufigkeit von Gewaltdelikten in Zürich sechsmal und in Basel, Genf und Bern drei- bis viermal grösser ist als im Landesmittel
[26].
Der Ständerat überwies ein Postulat Gadient (svp, GR) für einen Bericht über den Straf- und Massnahmenvollzug; besondere Beachtung sollen dabei die durch den hohen Anteil von Drogensüchtigen und Ausländern entstehenden Probleme finden
[27].
Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats unternahm einen neuen Anlauf für ein einheitliches und restriktiveres Waffenerwerbs- und -tragrecht. In Ausführung einer Tessiner Standesinitiative und einer parlamentarischen Initiative Borel (sp, NE), welche der Nationalrat im Vorjahr überwiesen hatte, schlug sie einen
neuen Verfassungsartikel 40bis vor. Dieser soll dem Bund die Kompetenz erteilen, Vorschriften gegen den Missbrauch von Waffen, Waffenzubehör und Munition zu erlassen. Mit dieser expliziten Beschränkung der bundesstaatlichen Zuständigkeit auf die Verhinderung von Missbräuchen hoffte die Kommission, der Opposition aus Jäger- und Schützenkreisen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der Nationalrat stimmte diesem neuen Verfassungsartikel oppositionslos zu
[28].
Die Ende 1991 vom Bundesrat angeordneten und auf
Notrecht basierenden Restriktionen für den Waffenerwerb durch Ausländer erwiesen sich als erfolgreich: Die Zahl der an Ausländer verkauften Waffen sank im ersten Halbjahr im Vergleich zur Vorjahresperiode von 6000 auf 160
[29].
Anlässlich der Behandlung einer Klage gegen die Schweiz fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg einen Grundsatzentscheid zum Einsatz von verdeckt arbeitenden Fahndern (sogenannte V-Männer). Er hielt dabei fest, dass deren
Einsatz zulässig ist und keiner besonderen gesetzlichen Grundlagen bedarf. Wenn ihre Aussagen in Prozessen als Beweismittel verwendet werden, muss der Verteidigung jedoch das Recht auf persönliche Befragung eingeräumt werden, wobei es freilich zulässig ist, den V-Mann durch technische Massnahmen vor Identifizierung zu schützen
[30]. Unmittelbar nach diesem Urteil forderte Ständerat Danioth (cvp, UR) mit einer Motion, diesen zulässigen V-Männer-Einsatz
in einem Gesetz zu regeln. Bundesrat Koller war mit dem Anliegen grundsätzlich einverstanden, beantragte aber die Umwandlung in ein Postulat, weil ihm die in der Motion enthaltene Beschränkung auf die Drogenkriminalität zu eng erschien und der Vorstoss zudem staatsrechtlich nicht zulässige Eingriffe in die kantonalen Kompetenzen bezüglich Strafprozessverfahren verlangte. Der Ständerat folgte dieser Argumentation
[31].
Der Ständerat ratfizierte auf Antrag des Bundesrats das im Vorjahr von der Schweiz unterzeichnete
Übereinkommen des Europarates über "Geldwäscherei sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten". Da das schweizerische Strafrecht zum Teil bereits weiter geht, als es das Übereinkommen verlangt, waren keine Gesetzesanpassungen erforderlich
[32].
Der Bundesrat zog die Konsequenzen aus den zum Teil massiven Kritiken am Vorentwurf für
ergänzende Massnahmen zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens. Unbeschadet überstand die Vernehmlassung lediglich das Melderecht für Bankangestellte und weitere mit der Vermögensverwaltung betraute Personen beim Verdacht auf einen deliktischen Ursprung von Geldern. Hingegen beschloss der Bundesrat, auf die radikalste Neuerung, die Einführung der
Strafbarkeit von Unternehmen, vorläufig zu verzichten. An der Einführung des Begriffs der "kriminellen Organisation" und der Bestrafung derjenigen, welche sich an solchen Organisationen beteiligen oder sie unterstützen, möchte der Bundesrat im Prinzip festhalten. Der konkrete Wortlaut der Bestimmungen soll aber von einem Expertengremium ebenso noch einmal überarbeitet werden wie die Bestimmungen zur Beschlagnahmung von Erträgen aus kriminellen Aktivitäten
[33].
Mit einer Motion verlangte Nationalrätin Dormann (cvp, LU) einerseits eine Ausdehnung der von der Schweiz gewährten internationalen Rechtshilfe auf hierzulande nicht strafbare Fiskal- und Währungsdelikte wie etwa
Steuerhinterziehung oder Devisenexporte. Zum anderen forderte sie eine Beschleunigung der Verfahren, insbesondere durch eine Verlagerung der Kompetenzen von den Kantonen auf das Bundesamt für Polizeiwesen. Der Bundesrat sprach sich – auch unter Berufung auf bisherige Parlamentsentscheide – gegen den ersten Teil der Motion aus und verwies beim zweiten Teil auf die bereits vorliegenden Vorschläge einer von ihm eingesetzten Expertenkommission, welche weitgehend in dieselbe Richtung zielen. Der Nationalrat folgte dem Vorsteher des EJPD und überwies den Vorstoss als Postulat
[34]. An einer Tagung der Aktion "Schweiz ohne Fluchtgelder" informierte der Vizedirektor des Bundesamtes für Polizeiwesen, Pierre Schmid, über den Stand der Vorarbeiten zu einer Revision des Rechtshilfegesetzes. Als wesentliches Element ist eine Verfahrensbeschleunigung vorgesehen, welche durch eine Reduktion der Anzahl Rekursmöglichkeiten während des Verfahrens und einer restriktiveren Definition der Beschwerdelegitimation erreicht werden soll
[35].
Die vorberatende Kommission des Nationalrats stimmte der vom Bundesrat im Vorjahr vorgeschlagenen Strafbarkeit des Missbrauchs von Check- und Kreditkarten zu. Im Bereich der neuen Bestimmungen über die Computerkriminalität nahm sie eine Differenzierung zwischen dem spielerischen Eindringen in Computersysteme (
Hacking) und dem – strenger zu bestrafenden – unerlaubten Datenzugriff mit Bereicherungsabsichten vor
[36].
[24] Presse von Mitte April bis 16.5.92. Vgl. SPJ 1991, S. 30. Zum Brutaloverbot siehe SPJ 1989, S. 26. Zur rechtlichen Beurteilung der Pornographie vgl. Plädoyer, 10/1992, Nr. 2, S. 11 ff.
[25] BBl, 1992, V, S. 458; Presse vom 18.5.92. Das deutschsprachige Oberwallis nahm das Sexualstrafrecht mit 58% Ja an. Siehe auch Vox, Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 17. Mai 1992, Zürich 1992. Die neuen Bestimmungen traten auf den 1.10.92 in Kraft.
[26] TA, 20.11.92. Im Kanton Zürich ging 1992 die Gesamtzahl der Delikte zwar um über 10% zurück, die Zahl der Raubüberfälle und der Delikte gegen Leib und Leben nahm aber weiter massiv zu (TA, 17.2.93).
[27] Amtl. Bull. StR, 1992, S. 389 ff.; BüZ, 4.6.92.
[28] BBl, 1993, I, S. 625 ff.; Amtl. Bull. NR, 1992, S. 2634 ff.; Presse vom 17.12.92. Siehe SPJ 1991, S. 30 f.
[29] TA, 23.10.92. Vgl. SPJ 1991, S. 31.
[30] BaZ und NZZ, 16.6.92. Vgl. auch NZZ, 3.10.92.
[31] Amtl. Bull. StR, 1992, S. 1225 ff.
[32] BBl, 1992, VI, S. 9 ff.; Amtl. Bull. StR, 1992, S. 1229 f. Vgl. SPJ 1991, S. 32.
[33] Presse vom 8.7.92. Zu Vorentwurf und Vernehmlassung siehe SPJ 1991, S. 31 f. Siehe auch Lit. Pieth sowie die Interpellation Huber (cvp, AG) in Amtl. Bull. StR, 1992, S. 1227 f.
[34] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 2645 ff. Zum Fall Marcos siehe unten, Teil I, 4b (Banken).
[36] NZZ, 15.1., 3.3. und 1.4.92. Siehe SPJ 1991, S. 31.
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