Année politique Suisse 1992 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Fürsorge
Eine gesamtschweizerische Untersuchung der Armutsproblematik (NFP 29) lässt weiterhin auf sich warten, weshalb den kantonalen Studien besondere Bedeutung zukommt. Neu erschienen
Untersuchungen für die Kantone Bern, Jura, St.Gallen und Zürich. Je nach Berechnungsart wiesen die Untersuchungen einen Armutsanteil von drei bis fünf Prozent (St. Gallen), knapp zehn Prozent (Zürich) oder 15-17 Prozent (Bern und Jura) aus. Einig waren sich aber alle Autoren, dass bestehende oder drohende Armut in einzelnen Bevölkerungsteilen besonders stark vertreten ist, nämlich bei den Alleinstehenden, den Alleinerziehenden, den Familien und den Rentnern. Zudem wiesen alle darauf hin, dass ihre Studien – basierend auf Zahlen der späteren 80er Jahre – notwendigerweise zu niedrig greifen, da sie der zunehmenden Langzeitarbeitslosigkeit noch nicht Rechnung tragen konnten
[53].
In seinem Bericht über die Richtlinien der Regierungspolitik versprach der Bundesrat, dem Parlament in der laufenden Legislatur einen Bericht zur neuen Armut zu unterbreiten und darin darzulegen, welche praktischen und dringenden Massnahmen seitens des Bundes in Ergänzung der kantonalen und kommunalen Anstrengungen bei der Bekämpfung der Armut zu unternehmen sind. Als ersten konkreten Schritt regte Bundesrat Cotti an der Jahreskonferenz der kantonalen Fürsorgedirektoren die Schaffung einer Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der neuen Armut in der Schweiz an. Die Arbeitsgruppe soll sich aus Vertretern der Kantone und des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) zusammensetzen
[54].
Der Nationalrat überwies diskussionslos ein Postulat Comby (fdp, VS) welches den Bundesrat ersucht, zwei konkrete Massnahmen im Kampf gegen die neue Armut zu prüfen. Einerseits sollen die Bundesbeiträge zur Finanzierung und Verbilligung der Krankenkassenprämien für Menschen, die in Armut leben, substantiell erhöht werden, anderseits den Kantonen, die zugunsten von Personen und Familien in äusserst schwierigen Verhältnissen Zuschüsse zu den Ergänzungsleistungen zur AHV/IV gewähren, Subventionen ausgerichtet werden
[55].
In Basel gründete die Caritas den ersten "Carisatt-Laden", in welchem Bedürftige verbilligte oder gratis abgegebene Waren beziehen können. Bewährt sich das Pilotprojekt, so soll eine Ladenkette in der ganzen Schweiz aufgezogen werden
[56].
[53] NFP 29 Bulletin, Nr. 3; Presse vom 18.2. und 23.6.92: DP, 9.4.92; NQ, 9.8.92. BE: Lit. Ulrich; P. Ammann / J. Binder / W. Ulrich, "Armut, Arbeitsmarkt und Bildung im Kanton Bern", in Die Volkswirtschaft, 66/1993, Nr. 1, S. 52 ff.; Presse vom 19.6.92. Eine Untersuchung in der Stadt Bern ergab noch einmal leicht höhere Zahlen (Bund, 14.1 1.92). JU: JdG. 23.4.92. SG: Lit. Füglistaler; SGT, 30.1., 4.2., 7.2., 15.2., 18.3., 26.5. und 30.11.92. LU: LNN, 4.9.92. ZH: Presse vom 16.12.92. Siehe dazu auch SPJ 1990, S. 213 f. und 1991, S. 220 f.
[54] BBl, 1992, III, S. 108; LNN, 19.9.92.
[55] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 1212 f.
[56] SoZ, 7.6.92; BaZ, 30.6. und 31.7.92; WoZ, 18.9.92.
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