Année politique Suisse 1992 : Politique sociale / Groupes sociaux / Stellung der Frau
Frauen und Männer sollen nicht nur Lohn-, sondern auch andere Formen der Diskriminierung im Erwerbsleben vor Gericht anfechten können und dabei vor Kündigungen geschützt sein. Dies beschloss der Bundesrat bei seinem Entscheid, das EJPD aufgrund der im Vorjahr durchgeführten Vernehmlassung zu beauftragen, ein eigenständiges Gleichstellungsgesetz auszuarbeiten. Er verzichtete damit auf die Variante von Teilrevisionen bestehender Gesetze, welche die kantonalen Beamtinnen und Beamten nicht erfasst hätte. Der Anwendungsbereich des Gesetzes soll – wie es unter anderem die Eidg. Kommission für Frauenfragen verlangt hatte – nicht auf Lohngleichheitsfragen beschränkt sein, sondern auf alle Diskriminierungen im Erwerbsleben ausgedehnt werden. So könnte beispielsweise auch der Zugang beider Geschlechter zu einem bestimmten Beruf vor Gericht durchgesetzt werden. Die überwiegend positiven Reaktionen im Vernehmlassungsverfahren sowie europapolitische Überlegungen ermutigten den Bundesrat, das im Entwurf erst provisorisch vorgesehene Diskriminierungsverbot und den verstärkten Kündigungsschutz definitiv aufzunehmen.
Verankert wird im neuen Gesetz auch die
Beweislastumkehr, wonach eine Klägerin nur glaubhaft machen muss, für die gleiche Arbeit weniger Lohn zu erhalten als ihr männlicher Arbeitskollege, worauf der Arbeitgeber zu beweisen hat, dass er die Frau lohnmässig nicht diskriminiert. Das Verbandsklagerecht, das unabhängig von der Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmerin ausgeübt werden kann, soll hingegen – hier die Konzession an die Arbeitgeberverbände – Frauen- oder Arbeitnehmerinnenorganisationen, welche seit mindestens zwei Jahren bestehen, vorbehalten und auf Fälle beschränkt werden, die mehrere Frauen betreffen
[53].
In seinem Kompetenzbereich will der Bundesrat das Postulat der Frauenförderung konsequent umsetzen. Er erliess im Februar
Weisungen über die Verbesserung der Vertretung und der beruflichen Stellung des weiblichen Personals in der allgemeinen Bundesverwaltung, welche die Bereiche Besetzung von Stellen, Aus- und Weiterbildung, Teilzeitbeschäftigung und Wiedereinstieg von Frauen umfassen. Solange Frauen in einer Verwaltungseinheit untervertreten sind, sollen sie explizit zur Bewerbung eingeladen werden. Bei der Stellenbesetzung soll bei gleicher Qualifikation so lange Frauen der Vorzug gegeben werden, bis innerhalb einer grösseren Verwaltungseinheit ein paritätisches Verhältnis erreicht ist. Frauen sollen auch systematisch ermuntert werden, sich unabhängig vom Beschäftigungsgrad weiterzubilden. Im Hinblick auf einen beruflichen Wiedereinstieg können ehemalige oder beurlaubte Beamtinnen an zielgerichteten Weiterbildungskursen teilnehmen. Schliesslich sollen Gesuche um Teilzeitbeschäftigung insbesondere in höheren Funktionen gutgeheissen werden, soweit Organisation und Geschäftsgang dies nicht ausschliessen
[54].
Mit einer Motion wollte die Basler SP-Nationalrätin von Felten den Bundesrat beauftragen, als Arbeitgeber ein Impulsprogramm zu lancieren, welches auch auf Niveau der Kaderstellen eine Förderung der partnerschaftlichen Teilung der Betreuungsarbeit ermöglicht, wobei auch eine Quotierung zum Zuge kommen müsste. Der Bundesrat verwies auf die obenerwähnten Weisungen und den Umstand, dass die Arbeitsgruppe "Arbeitszeit 2000", welche verwaltungsintern Modelle für eine zukunftsgerichtete Arbeitszeit erarbeitet, die weiteren von der Motion aufgeworfenen Punkte (Recht auf Reduktion der Arbeitszeit bei Betreuungsaufgaben von Angehörigen, Uberzeitverbot für Betreuungspflichtige sowie Elternurlaub) bereits in ihre Uberlegungen einbeziehe. Auf Antrag des Bundesrates wurde die Motion nur als Postulat überwiesen
[55].
Der Nationalrat nahm diskussionslos ein Postulat Wanner (fdp, SO) an, welches den Bundesrat beauftragt, die Verordnung über den Paritätslohnanspruch in der Landwirtschaft in dem Sinn zu ändern, dass die Bewertung der Frauenarbeit mit jener der Männer gleichgesetzt wird
[56].
Das Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann publizierte eine Studie über die Entstehung von Lohndiskriminierungen sowie eine Wegleitung zu deren Verhinderung oder Beseitigung. Die Broschüre weist auf die Schwachstellen des heute vor allem in mittleren und grösseren Betrieben angewendeten analytischen Arbeitsbewertungsverfahren hin und empfiehlt unter anderem, Lohnstrukturen transparenter zu machen und Bewertungskommissionen paritätisch zu besetzen
[57].
Um die Gleichstellung von Frau und Mann auf gerichtlichem Weg einzufordern, verklagte die Gewerkschaft Druck und Papier (GDP) den Verein der Buchbindereien der Schweiz (VBS) sowie die Schweizerische Graphische Gewerkschaft (SGG) und verlangte über eine einstweilige Verfügung die
Ungültigkeitserklärung des 1990 abgeschlossenen Gesamtarbeitsvertrages (GAV). Die Erneuerung dieses Vertrages, welcher zumindest vorderhand unterschiedliche Mindestlöhne für Frauen und Männer vorsieht, hatte bereits in früheren Jahren für Turbulenzen gesorgt. 1991 erreichten die GDP-Frauen vor Gericht, dass die Ur-Abstimmung, mit welcher die GDP den GAV angenommen hatte, für ungültig erklärt wurde. Die GDP verhandelte darauf weiter mit ihren Vertragspartnern, allerdings ohne Erfolg. Die Klage erfolgte, weil VBS und SGG beabsichtigten, den GAV samt den Mindestlohnbestimmungen ungeachtet der Tatsache anzuwenden, dass dessen Verfassungswidrigkeit gerichtlich festgestellt worden war
[58].
Mit einem Grundlagenpapier zum Thema der
sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz wandte sich die 1986 gegründete Initiative "Taten statt Worte" an die Öffentlichkeit. Dabei wurde vor allem an die Verantwortung der Arbeitgeber appelliert
[59].
Auf frauenspezifische Probleme bei den Sozialversicherungen wird an anderer Stelle eingegangen (oben, Teil I, 7c). Die Auswirkungen der Rezession auf die Frauenarbeitslosigkeit und die Diskussionen um die Aufhebung des Nachtarbeitsverbotes für Frauen in der Industrie werden oben, Teil I, 7a (Arbeitsmarkt, Arbeitszeit) behandelt.
[53] Presse vom 27.2.92. Siehe auch SPJ 1991, S. 251 f.
[54] BBl, 1992, II, S. 604 ff.; Presse vom 12.2.92. Das EDI, welches sich zu Beginn des Jahres eine Frauenquote von 30% zum Ziel gesetzt hatte, erreichte diese knapp nicht. Ende 1992 waren 29,4% der Beschäftigten im EDI Frauen; 1990 waren es erst 25,8% gewesen. Das frauenfreundlichste Departement war das EDA mit 42,9% Frauen (Presse vom 16.1.93).
[55] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 2163 f.
[56] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 1216 f.
[57] Lit. Eidg. Büro; Presse vom 16.5.92. Gemäss einer Studie der Hochschule St. Gallen verdienten 1991 die Arbeitnehmerinnen in der Schweiz im Durchschnitt für gleiche Arbeit immer noch 8% weniger als ihre männlichen Kollegen (Presse vom 5.1.93). Für eine Analyse der Lohnstruktur im Kanton Genf siehe oben, Teil I, 7a (Löhne).
[58] Presse vom 2.7.92. Siehe auch SPJ 1991, S. 252. Die GDP gehört zum SGB, die SGG hingegen zum CNG.
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