Année politique Suisse 1992 : Politique sociale / Groupes sociaux / Stellung der Frau
In seinem Bericht über die Richtlinien der Regierungspolitik, kündigte der Bundesrat an, dass er dem Parlament in der laufenden Legislatur die Ratifikation der UNO-Konvention von 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen beantragen werde
[40].
Bei der Beratung der Legislaturplanung wollte eine Kommissionsminderheit den Bundesrat mit einer Richtlinienmotion dazu verpflichten, das Thema Gleichstellung auch in den nächsten vier Jahren schwergewichtig zu behandeln. Auf Antrag des Bundesrates wurde der Vorstoss als Postulat überwiesen
[41].
Insbesondere Frauenorganisationen und Gewerkschaften thematisierten in der EWR-Diskussion die Frage, was ein Beitritt zum europäischen Binnenmarkt den Frauen bringen würde. Ausgehend von einem Postulat von Fetten (sp, BS) liess der Bundesrat einen diesbezüglichen Bericht ausarbeiten. Dieser kam zum Schluss, dass ein EWR-Beitritt mittelfristig positive Impulse für die Frauen zeitigen würde. Bezüglich ihrer rechtlichen Stellung könnten die Frauen nur gewinnen, da die zwischen 1975 und 1986 erlassenen fünf EG-Richtlinien, die zum "Acquis communautaire" im EWR-Vertrag gehören, die formale Gleichstellung der Frauen im Erwerbsleben und bei den Sozialversicherungen vorschreiben. Auf dem Arbeitsmarkt hätten es die Frauen aufgrund ihrer schlechteren Ausbildung hingegen anfänglich etwas schwerer als die Männer
[42].
Auf gleichstellungsbedingte Gesetzesänderungen im Eurolex-Paket wird an anderer Stelle eingegangen (unten, Familienpolitik sowie oben, 7c, Einleitung, Eurolex).
Ein Postulat Bär (gp, BE) für eine geschlechtsspezifische Formulierung in den Schweizer Pässen, welches im Vorjahr noch von Dreher (ap, ZH) bekämpft worden war, wurde nun, da der Bundesrat diese Änderung für 1993 ankündigte, diskussionslos überwiesen
[43].
Die Gleichstellung von Mann und Frau soll durch ein vom Nationalfonds ausgeschriebenes
Nationales Forschungsprogramm gefördert werden. Im Rahmen des fünf Jahre dauernden NFP 35 ("Frauen in Recht und Gesellschaft — Wege zur Gleichstellung") sollen Forscherinnen und Forscher wissenschaftliche Grundlagen erarbeiten, die es erlauben, Handlungsstrategien zur Gleichstellung zu entwickeln. Für das Projekt steht ein Gesamtbetrag von 6 Mio Fr. zur Verfügung
[44].
Die Forderung nach einer möglichst an beide Geschlechter gerichtete bzw.
geschlechtsneutralen Formulierung von Gesetzen kam beim revidierten Urheberrechtsgesetz erstmals zum Tragen. Der Nationalrat erteilte der Redaktionskommission den Auftrag, die Vorlage in diesem Sinn zu überarbeiten. In ihrem Bericht, welcher die Zustimmung beider Kammern fand, übernahm die Redaktionskommission die Empfehlungen einer interdepartementalen Arbeitsgruppe, welche sich für eine "kreative" Lösung ausgesprochen hatte, bei der neutrale oder Paarformen eingesetzt werden
[45].
Für die Verwirklichung der Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern ist die Lösung des Problems der
Kinderbetreuung von zentraler Bedeutung. In einem Bericht dokumentierte die Eidg. Kommission für Frauenfragen den Mangel an Krippen-, Hort- und anderen Betreuungsplätzen und appellierte an die Mitverantwortung von Staat und Gesellschaft bei der Kindererziehung, die nicht als "privates Hobby" allein an die Familie — und vorab an die Mütter — delegiert werden dürfe. Mit diesem Bericht liegen erstmals aussagekräftige Daten zur familienexternen Kinderbetreuung in der Schweiz vor, welche die grosse Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage aufzeigen: In den Kantonen der Deutschschweiz stehen den rund 320 000 Kindern erwerbstätiger Mütter bloss zwischen 12 000 und 15 000 Betreuungsplätze zur Verfügung. Die Kommission forderte deshalb generell die Anerkennung der familienexternen Kinderbetreuung als öffentliche Aufgabe. Für die Betreuung von Kleinkindern verlangte sie neben einer Mutterschaftsversicherung auch einen finanzierten Elternurlaub. Der öffentliche Kindergarten — mit Blockzeiten und Mittagsverpflegung — soll Kinder schon ab drei Jahren aufnehmen. Auch für die Schule postulierte die Kommission Blockzeiten und Mittagstische, dazu den Aufbau von Tagesschulen und die Harmonisierung von Schulbeginn und Schulschluss für alle Stufen
[46].
Als erster Kanton führte St. Gallen auf Jahresbeginn die
Feuerwehr-Dienstpflicht auch für Frauen ein. Wer den Dienst nicht leistet, muss eine Ersatzabgabe bezahlen, wobei Ehepaare nur einfach belastet werden. In Basel-Stadt nahm das Stimmvolk eine analoge Änderung des Feuerwehrgesetzes an, während dies im Kanton Solothurn an der Urne abgelehnt wurde
[47].
[40] BBl, 1992, III, S. 114.
[41] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 1105 ff. Dreher (fp, ZH) widersetzte sich erfolglos der Überweisung als Postulat. Zu den utopischen Vorstellungen von Parlamentarierinnen aus CVP, GP und SP von einer "Frauenlegislatur 1991-1995" siehe Presse vom 11.6.92.
[42] BZ, 3.2. und 31.8.92; LZ, 7.3.92; NZZ, 16.6. und 24.10.92; Suisse, 27.6.92; VO, 16.7.92; Ww, 20.8.92; SHZ, 22.10.92; TA, 17.11.92; T'W, 24.1 1.92. Bericht des BR: Presse vom 25.8.92. Siehe dazu auch Amtl. Bull. NR, 1992, S. 2773 ff.
[43] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 2647 f.
[44] BaZ, 23.3.92; Bund, 24.7.92.
[45] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 14 und 1984 ff.; Amtl. Bull. StR, 1992, S. 1026 ff. Bericht der Redaktionskommission: BBl, 1993, I, S. 129 ff. Siehe auch SPJ 1991, S. 248 f. sowie oben, Teil I, 1c (Einleitung).
[46] Lit. Eidg. Kommission; Presse vom 25.11.92.
[47] In einem Musterreglement empfahlen die St. Galler Kantonsbehörden den Gemeinden, namentlich Schwangere, Mütter von schulpflichtigen Kindern, Hortnerinnen sowie Frauen, die Samariter- oder andere Rettungsdienste leisten, von der Pflicht zu dispensieren (LNN, 14.1.92). BS und SO: Bund, 7.12.92. Siehe auch SPJ 1990, S. 241.
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