Année politique Suisse 1992 : Politique sociale / Groupes sociaux / Familienpolitik
Im Vorjahr hatte der Nationalrat den Bundesrat mit einer Motion verpflichten wollen, die notwendigen Gesetzesrevisionen für eine vorbehaltlose
Ratifizierung der UNO-Konvention über die Rechte der Kinder vorzulegen. Dies hätte vor allem Anpassungen in der Ausländer- und Asylgesetzgebung zur Folge gehabt, da die Konvention den Grundsatz der Familienzusammenführung bekräftigt. Weil die zeitraubenden Gesetzgebungsarbeiten die Ratifikation unnötig verzögern würden, gab der Ständerat dem Antrag des Bundesrates statt und überwies die Motion lediglich als Postulat. Die kleine Kammer betonte dabei allerdings nachdrücklich, dass sie nun auch tatsächlich eine rasche Ratifikation bzw. in nächster Zeit die Botschaft des Bundesrates erwartet. Die Regierung kam dieser Aufforderung nach und gab Mitte September ihre diesbezüglichen Vorschläge in die Vernehmlassung
[67].
Das Schicksal der
illegal anwesenden Saisonnier-Kinder wurde weiter thematisiert. Auf rund 10 000 werden sie geschätzt, weitere Zehntausende leben aufgrund von schweizerischen Gesetzesbestimmungen von einem oder beiden Elternteilen getrennt. Saisonniers können grundsätzlich ihre Familien nicht dauernd in die Schweiz mitnehmen, Jahresaufenthalter müssen nachweisen, dass ihre Wohnung gross genug und das Einkommen ausreichend ist für den Unterhalt der Familie. Deshalb drängten in der Kinderarbeit engagierte Kreise immer wieder darauf, die Schweiz müsse die UNO-Konvention über die Rechte der Kinder möglichst rasch und vorbehaltlos unterzeichnen, da nur so eine rasche Besserstellung der betroffenen Familien erreicht werden könne
[68].
In seiner Haltung gegenüber den illegal anwesenden Saisonnier-Kindern und deren Einschulung nahm der Vorsteher des EJPD eine bedeutend weniger harte Haltung ein als zwei Jahre zuvor. Offenbar beeindruckt von der kompromisslosen Stellungnahme der kantonalen Erziehungsdirektoren, welche die Meinung vertreten hatten, das Recht auf Bildung sei ein Verfassungsrecht, welches den Fremdenpolizeirechten vorgehe, gab er bekannt, dass aus humanitären Gründen sowie im Hinblick auf einen möglichen EWR-Beitritt eine gewisse Flexibilität angezeigt sei, weshalb der Bundesrat die Kantone aufgefordert habe, die möglichen Handlungsspielräume auszunützen
[69].
1987 hatte die Luzerner CVP-Nationalrätin Stamm mit einem Postulat einen Bericht über Kindsmisshandlungen angeregt. Die vom Bundesrat 1988 eingesetzte Arbeitsgruppe legte im September ihren umfassenden Bericht vor. Das Ausmass der Kindsmisshandlungen sei erschreckend, hielt die Gruppe fest. Ohrfeigen, Prügel, Schläge mit Gegenständen oder Androhung körperlicher Gewalt gehören offenbar immer noch zu den gängigen Erziehungsmustern. Ganz besonders betroffen sind auch Säuglinge und Kleinkinder bis zu zweieinhalb Jahren. Die Arbeitsgruppe äusserte sich auch zur sexuellen Ausbeutung von Kindern, welche in den letzten Jahren vermehrt thematisiert worden ist. Schätzungsweise 40 000 Kinder – vorab Mädchen – werden in der Schweiz pro Jahr sexuell belästigt oder misshandelt. Dabei ist nur in rund 10% ein Unbekannter der Täter.
Die
Empfehlungen der Arbeitsgruppe stellten eine ganze Palette von Massnahmen zur Diskussion, die auf verschiedenen Ebenen zu ergreifen wären. Die UNO-Konvention über die Rechte der Kinder sollte ohne Vorbehalte ratifiziert und in die Praxis umgesetzt werden. Durch eine Verfassungsrevision sollten Körperstrafe und erniedrigende Behandlung von Kindern inner- und ausserhalb der Familie verboten und eine Kinderschutzbestimmung eingeführt werden. Der Bund müsste mehr Kompetenzen für die Prävention von Kindesmisshandlungen erhalten. Zudem sollten Ombudsleute für Kinder und interdisziplinär dotierte Sozial- und Medizinaldienste geschaffen werden. Gefordert wurde auch die bessere Unterstützung der Familien und die Professionalisierung der Vormundschaftsbehörden. Ahnliche Forderungen stellten auch die 1991 gegründete und unter Aufsicht des EDI stehende Stiftung "Kind und Gewalt", die Gesellschaft schweizerischer Kinderärzte sowie der Schweizerische Kinderschutzbund
[70].
Für den Bericht der Eidg. Kommission für Frauenfragen über die familienexterne Kinderbetreuung in der Schweiz siehe oben, Stellung der Frau.
[67] Amtl. Bull. StR, 1992, S. 60 ff. und 333 ff.; BaZ und SGT, 17.9.92. Aufgrund der eingeleiteten Vorarbeiten zur Ratifizierung schrieben beide Kammern eine Standesinitiative des Kantons Jura als erfüllt ab: Amtl. Bull. NR, 1992, S. 239; Amtl. Bull. StR, 1992. S. 60 ff. und 333 ff. Der NR überwies in der Folge eine im Vorjahr bekämpfte analoge Motion Bäumlin (sp, BE) in der Postulatsform (Amtl. Bull. NR, 1992, S. 618; SPJ 1991, S. 254), ebenso ein 1990 bekämpftes Postulat Bär (Amtl. Bull. NR, 1992, S. 258 ff.; SPJ 1990, S. 245).
[68] Lit. Frigerio / Burgherr; Presse vom 24.3.92; LNN, 12.5.92. Ende Jahr wurde eine mit mehr als 10 000 Unterschriften versehene Petition eingereicht, welche ebenfalls die Forderung nach einer vorbehaltlosen Ratifizierung der UNO-Konvention stellte (Bund, 21.1 1.92).
[69] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 466. Vgl. dazu SPJ 1990, S. 234.
[70] Lit. Kindsmisshandlungen und Eidg. Büro; Presse vom 31.10.92; Familienfragen. 1992, Nr. 2, S. 2 ff. und Sondernummer 1993. Der Einbezug der sexuellen Ausbeutung von Kindern erfolgte aufgrund eines 1991 überwiesenen Postulats Fankhauser (sp, BL): SPJ 1991, S. 254. Stiftung: Presse vom 18.8.92. Kinderärzte: NZZ, 3.1 1.92. Kinderschutzbund: NZZ, 23.11.92.
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