Année politique Suisse 1992 : Enseignement, culture et médias / Médias
Medienpolitische Grundfragen
An einer UNESCO-Tagung befassten sich namhafte Fachleute mit dem Problem der
Selbst- und Fremdkontrolle der Medien. Kritik wurde am zunehmenden Aktualitätsdruck geäussert, der eine kritische Hinterfragung und eine Abklärung bezüglich der Vollständigkeit sowie der Wahrheit der zahlreichen weiterzuverbreitenden Informationen verunmöglicht. Kritisiert wurde auch die vermehrte Fremdkontrolle der Medien beim Zugang zu Informationen, wie dies im Falle der Berichterstattung während des Golfkriegs sowie aus den Krisengebieten im ehemaligen Jugoslawien geschehen war resp. immer noch geschieht. Die zunehmende Kriminalisierung des Medienschaffens durch höhere Normendichte wandle die Fremdkontrolle im übrigen immer häufiger in eine Selbstkontrolle in Form der Vermeidung von umstrittenen Themen um. Nach Ansicht verschiedener Teilnehmer müssten die grösseren Medienunternehmen eine 0mbudsstelle schaffen, um die Glaubwürdigkeit der Medien zu bewahren; dadurch könnte die Fremd- und die Selbstkontrolle in einem ausgeglichenen Verhältnis nebeneinander existieren
[1].
Die von einer Studienkommission vorgeschlagene
Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Medienschaffende im Rahmen einer Strafgesetzrevision stiess in der Vernehmlassung bei der CVP, der SVP und der SP auf Zustimmung, wobei die CVP sich lediglich für ein relatives Recht aussprach, in dem der Richter in jedem Fall eine Güterabwägung zwischen Geheimhaltungs- und Strafverfolgungsinteresse vorzunehmen habe. Auch die FDP lehnte ein generelles Zeugnisverweigerungsrecht ab. Das Recht für Medienschaffende, die beruflich an der Veröffentlichung von Informationen im redaktionellen Teil eines periodisch erscheinenden Mediums beteiligt sind, Zeugnis über Inhalt und Quelle ihrer Informationen - ausgenommen in Fällen, die der Aufklärung von Straftaten dienen - zu verweigern, schien in den Augen der FDP die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht der Medienschaffenden zu untergraben. Von den interessierten Organisationen sprachen sich der Schweizerische Verband der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger (SZV), die Schweizerische Journalistinnen- und Journalisten-Union (SJU) sowie der Verband der Schweizer Journalisten (VSJ) für die im Entwurf vorgeschlagene Lösung eines generellen Zeugnisverweigerungsrechts aus. Aus ähnlichen Gründen wie die CVP und FDP lehnte die Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft (wf) den Entwurf ab. Für die Genfer Regierung ging der Vorschlag der Studienkommission etwas zu weit; sie befürwortete ein restriktiv gehandhabtes Zeugnisverweigerungsrecht analog jenem, das auf kantonaler Ebene in Kraft gesetzt worden war und beispielsweise die Zeugnisverweigerung zu Informationen, die nicht veröffentlicht wurden, erlaubt
[2].
Im Strafverfahren bezüglich der Ausschreitungen an der Bauerndemonstration vom 9. Januar in Bern verweigerte die SRG die Herausgabe von nicht gesendetem Rohmaterial an die Untersuchungsrichterin, welche Fernseh-Bildmaterial als Beweissicherung gegen gewalttätige Demonstranten verwenden wollte. Der Rechtsdienst der SRG begründete den Entscheid damit, Journalisten dürften nicht als Hilfspolizisten missbraucht werden. Eine Beschwerde der SRG gegen die Herausgabeverfügung der Untersuchungsrichterin wurde vom bernischen Obergericht mit der Begründung abgelehnt, dass noch kein Zeugnisverweigerungsrecht bestehe. Durch diesen Rechtsstreit hat die SRG dazu beigetragen, dass das Problem des Fehlens eines derartigen Rechts für Medienschaffende in einer breiten Öffentlichkeit thematisiert wurde
[3].
Die Frage der beruflichen Verantwortung von Medienschaffenden wurde auch anlässlich des Bekanntwerdens eines
Beziehungsgeflechts zwischen Wirtschaft und Presse aufgeworfen. Die Chefredaktoren der Wirtschaftsmagazine "Bilanz" und "Finanz und Wirtschaft" hatten von einem Unternehmer und Immobilienhändler Aktien geschenkt oder zu einem symbolischen Preis erhalten. Diese Geschenke waren zu grosszügig, um als herkömmliche Gefälligkeiten zu gelten und wurden nach Bekanntwerden von der Offentlichkeit als Gefährdung der Unabhängigkeit der Presse betrachtet. Als direkte Reaktion auf diesen Vorfall gab der Presserat des Verbandes der Schweizer Journalisten Empfehlungen gegen den Filz im Journalismus heraus. Diese verlangen unter anderem eine Offenlegung der berufsrelevanten Vermögensverhältnisse der Medienschaffenden gegenüber der Redaktion und verbieten das Ausnützen von Insiderwissen zum eigenen Vorteil; ebenso sollen Medienschaffende Wertpapiere von Publikumsgesellschaften, über die sie Bericht erstatten, entweder abstossen oder nichts über die betreffenden Branchen publizieren
[4].
Am 1. April des Berichtsjahres wurde das Bundesamt für Kommunikation (
BAKOM), dem der ehemalige persönliche Berater von Bundesrat Ogi,
Marc Furrer, als Direktor vorsteht,
in Biel eingeweiht. Das BAKOM betreut den Vollzug des im April in Kraft gesetzten neuen Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) sowie des Fernmeldegesetzes (FMG), welches anfangs Mai rechtskräftig wurde. Ebenso will das neu geschaffene Bundesamt Impulse im Bereich der Telekommunikation an Industrie und Politik vermitteln und in diesem Sektor Ansprechpartner für das Ausland werden
[5].
Der Entwurf für ein Medienförderungsgesetz des Kantons Bern wurde am 2. Berner Medientag zur Diskussion gestellt. Das Thema "Reine Marktorientierung oder staatliche Unterstützung der Medien" bildete den Kernpunkt der Kontroverse. Einig waren sich Verleger, Journalisten und Medienwissenschafter in der Forderung nach einer besseren Ausbildung der Me dienschaffenden, unterstützt durch staatliche Beiträge. Der Entwurf sieht auch das Offentlichkeitsprinzip mit Geheimhaltungsvorbehalt für behördliche Informationen vor
[6].
Radio und Fernsehen DRS haben ihren Informationsauftrag bezüglich der Abstimmung über den EWR-Beitritt laut Publikumsrat, vor der Strukturreform Programmkommission genannt, auf unparteiliche, vielfältige und vertiefende Art und Weise erfüllt. Kritik vor allem aus der Romandie erntete jedoch die Verwendung des Dialekts während den wichtigsten kontradiktorischen Podiumsdiskussionen. Ebenso wurde die fehlende Bereitschaft zur Zusammenschaltung der verschiedenen sprachregionalen Sender gerügt
[7].
Im Ehrverletzungsstreit, der auf den sogenannten "
Historikerprozess" folgte, hiess das Bundesgericht die Klage des Zürcher Anwalts Frick gegen einen Journalisten des Tages-Anzeigers gut mit der Begründung, das Prinzip der Unschuldsvermutung hätte respektiert werden müssen. Der Journalist hatte im Dezember 1989 in einem Artikel die These eines Historikers und dessen Vorwürfe gegen Wilhelm Frick, dieser sei 1940 in einen Putschversuch verwickelt gewesen, übernommen, ohne die Quellen zu überprüfen. Eine generelle Pflicht für Medienschaffende, Angaben in wissenschaftlichen Arbeiten anhand der Primärquellen zu überprüfen, besteht allerdings nicht. Laut Angaben des Bundesgerichts ergibt sich eine solche Pflicht jedoch dann, wenn kumulativ ein schwerer Angriff auf die Ehre erhoben werde und überdies die Sekundärquelle die Primärquelle nicht wörtlich zitiere. Dann müsse mit der Möglichkeit einer eigenen Wertung des Zweitautors gerechnet werden
[8].
Das Westschweizer Fernsehen setzte sich über einen Genfer Richterspruch hinweg, als es trotz Verbot in der Sendung "Tell quel" einen Beitrag über den in Genf wegen verschiedenen Delikten in Untersuchungshaft einsitzenden Notar Didier Tornare ausstrahlte. Die Generaldirektion der SRG unterstützte den Entscheid der TSR, weil es eine unzulässige Medienzensur sei, wenn ein Richter ohne vorherige Visionierung eine Verfügung gegen eine Sendung erlasse. Das Verbot in Form einer superprovisorischen Verfügung war aufgrund einer wahrscheinlichen Vorverurteilung des Angeklagten vor dem Prozess ausgesprochen worden. TSR rekurrierte darauf gegen den Gerichtsentscheid, weil dieser sämtliche Informationen über den Fall Tornare, nicht nur jenen der Sendung "Tell quel", untersagt hatte
[9].
Erstmals wurde das
Gegendarstellungsrecht auch im Inseratebereich, nach der Einreichung einer Klage eines Interessenverbandes, durch die Justiz durchgesetzt. Die persönliche Betroffenheit durch Aussagen in einem Inserat berechtigt laut Gerichtsurteil einen eventuell Geschädigten ebenso wie im redaktionellen Teil, das Gegendarstellungsrecht zu fordern. Die Basler Zeitung musste, gemäss Urteil des Bezirksgerichts Zürich, dem Verband der Schweizerischen Gasindustrie das Gegendarstellungsrecht auf ein zweimalig erschienenes Inserat der Erdölvereinigung gewähren. Dabei blieb die Kostenüberwälzung des Gegendarstellungsrechts auf das betroffene Medienunternehmen umstritten
[10].
[1] TA, 23.10.92; NZZ, 27.10.92; wf, Radio-/TV-Spiegel, 1992, Nr. 43. Siehe auch die Berichterstattung zum Symposium "Medienschaffen im Clinch" der Vereinigung "Agir pour demain" in Bund, 26.3.92 und NZZ, 27.3.92. Zur Pressefreiheit siehe auch Jacques Pilet in Die Volkswirtschaft, 65/1992, Nr. 4, S. 6 ff.
[2] Klartext, 1992, Nr. 1 (Entwurf); NZZ, 18.4. (FDP) und 8.5.92; Bund, 30.4.92; BZ, 1.5.92. Genf: JdG, 26.5.92. Auch die Kantone BS und JU kennen ein Zeugnisverweigerungsrecht. Vgl. auch SPJ 1991, S. 284 und Lit. Holtmeier.
[3] NZZ, 9.3.92; Bund, 25.9.92.
[4] SHZ, 5.3.92; TA, 6.3.92; Ww, 12.3.92; Klartext, 1992, Nr. 2 (Wirtschaftsredaktoren) und Nr. 4 (Presserat, VSJ); Presse vom 27.6.92.
[5] TA, 1.4.92. Zu Marc Furrer: SHZ, 9.1.92; BZ, 1.4.92; Gesch.ber. 1992, 2. Teil, S. 326. Vgl. auch SPJ 1991, S. 284.
[6] TW, 16.11.92; Klartext, 1992, Nr. 2; vgl. auch oben, Teil I, 1a (Kantonale Verfassungsrevisionen).
[7] NZZ, 21.12.92; L'Hebdo, 26.11.92.
[8] Presse vom 22.7.92; Klartext, 1992, Nr. 4.
[9] Presse vorn 16.11.92; JdG, 4.12.92.
[10] BaZ, 18.9.92; Klartext, 1992, Nr. 5. Siehe auch Lit. Zäch und Schaltegger.
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