Année politique Suisse 1992 : Enseignement, culture et médias / Médias
Presse
Die beiden grössten Verlagshäuser der Schweiz, Ringier AG und Tages-Anzeiger. AG, traten im Berichtsjahr dem Schweizerischen Verband der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger (SZV) wieder bei; der 1991 vollzogene Austritt konnte aufgrund der an der Generalversammlung genehmigten, neuen Verbandsstrukturen, welche gemäss den beiden Verlagshäusern die hauptsächlichen Differenzen zwischen ihnen und dem Verband ausräumten, wieder rückgängig gemacht werden
[11].
Der
SZV kündigte den Kollektivvertrag mit dem Verband der Schweizer Journalisten (VSJ) auf Jahresende, nachdem die Medienverbände auf seinen Vertragsentwurf nicht eintreten wollten; die Schweizerische Journalistenunion hatte den Kollektivvertrag bereits per Ende 1991 gekündigt, und in der Westschweiz hatte die "Union romande des journalistes" eigene Abkommen mit Verlegern getroffen. Der vom SZV im Frühling vorgestellte Entwurf sah nur Mindestlöhne für festangestellte Journalisten vor, während im bisher bestehenden Vertragswerk eine differenzierte Abstufung nach Dienstjahren bestand. Auf Ablehnung seitens der Medienschaffenden stiess auch die vorgesehene Kürzung der Honorare für freie Journalisten und für Photographien. Bis Ende des Berichtsjahres wurde keine einvernehmliche Lösung gefunden
[12].
Ringier als grösstes Schweizer Medienunternehmen, das im Berichtsjahr mit der Acquisition der "Zuger Nachrichten" und der Übernahme von 41% des Aktienkapitals am Berner "Bund" expandierte, konnte seine Position auch im Ausland, insbesondere in der ehemaligen Tschechoslowakei, verbessern. Mit 49% Anteil am Aktienkapital beteiligte sie sich zusammen mit dem deutschen Medienunternehmen Leo Kirchs an einer tschechischen Boulevardzeitung namens "Blesk" (Blitz). Medienunternehmer Kirch ist übrigens auch Ringiers Partner beim Schweizer Abonnementsfernsehen Euroclub
[13].
Der anhaltende Einbruch im Inseratebereich sowie die finanziellen Folgen, welche die Überkapazitäten im Druckbereich seit Jahren verursachen, bereiteten dem Pressewesen sowohl in der Deutsch- als auch in der Westschweiz grosse Schwierigkeiten. Vermehrt kam es zu Entlassungen, wie beispielsweise bei der "Luzerner Zeitung", und Kurzarbeit, wie bei der "La Suisse", beim "Impartial" sowie beim "L'Express". Ausserdem führen die neuen Desktop Publishing-Methoden zu einer tiefgreifenden Veränderung des journalistischen Berufsbildes. Ein immer grösserer Teil der Arbeit, welcher früher von Druckern und Graphikern erledigt worden war, wird zum Bestandteil der journalistischen Arbeit. Zahlreiche Zeitungen in allen Landesregionen versuchten im übrigen, durch ein neues Erscheinungsbild mehr Attraktivität und damit auch eine grössere Leserschaft zu gewinnen
[14].
Auch im Bereich der Inseratevermittlerfirmen führte die verschärfte Konkurrenz zu einer weiteren Konzentration. Die Publicitas-Gruppe übernahm ihre beiden Konkurrenten Orell Füssli Werbe AG und ASSA und deckt jetzt 62,5% des Schweizer Inseratemarktes ab. Besorgt über diese Entwicklung reichte Nationalrat Vollmer (sp, BE) eine Interpellation ein, in welcher er den Bundesrat nach den möglichen Konsequenzen im Pressewesen und damit auch der Pressefreiheit befragte sowie eine nähere Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Annoncenregien und Presseerzeugnisse durch die Kartellkommission forderte
[15].
Das Problem der zunehmenden Pressekonzentration, vor allem in der Romandie, wo Edipresse über 50% der Printmedien kontrolliert, wurde aufgrund des von Ledergerber (sp, ZH) übernommenen Postulats Zbinden (sp, AG), welches im März vom Nationalrat überwiesen wurde, von der Schweizerischen Kartellkommission aufgenommen. Sie nahm sich vor, die Wettbewerbssituation auf dem Pressemarkt zu untersuchen
[16].
In der
Region Basel stellten zwei traditionsreiche Blätter ihr Erscheinden ein: die ursprünglich katholische "Nordschweiz" (NoZ) und die sozialdemokratische "Basler AZ". Die NoZ (Auflage rund 11 000) wurde von der "Basellandschaftlichen Zeitung" übernommen. Die "Basler AZ" hatte am Schluss nur noch eine Auflage von 3300 Exemplaren erreicht und stand schon seit längerer Zeit vor dem finanziellen Ruin; Ideen überein Nachfolgeprodukt in der Form einer "Neuen Zeitung (NeZ)" konnten sich bis am Ende des Berichtsjahres mangels des nötigen Aktienkapitals von rund 4 Mio Fr. nicht konkretisieren
[17].
Die Einstellung dieser Presseerzeugnisse in der Nordwestschweiz kann als symptomatisch für die Situation der parteinahen Lokalzeitungen der Schweiz angesehen werden; insbesondere die der CVP nahestehenden Blätter kämpften in letzter Zeit an verschiedenen Orten ums Uberleben; neben der NoZ musste in Baden auch das "Aargauer Volksblatt" (Auflage rund 7000) Ende Oktober sein Erscheinen,einstellen
[18].
In der
Tessiner Presselandschaft – das Tessin ist die Region mit der höchsten Zeitungsdichte und einer bisher grossen inhaltlichen Presseausdifferenzierung – fand eine tiefgehende Restrukturierung und Neuausrichtung der verschiedenen Presseorgane statt, die zum Teil parallel zu den parteipolitischen Veränderungen verliefen. Die seit den 60er Jahren in zwei verschiedene Lager gespaltenen Sozialisten hatten bisher auch zwei Parteiorgane; das Organ für die offizielle Sektion der SPS, den Partito socialista ticinese (PST), war die seit 1913 bestehende "Libera Stampa", während der abgespaltene "Partito socialista unitario (PSU)" die Wochenzeitung "Politica nuova" herausgab. Mit der Wiedervereinigung der Tessiner Linken wurde auch eine neue, gemeinsame Tageszeitung, die "Nuova libera Stampa", geschaffen. Das neue Blatt erhebt den Anspruch, ein von der Partei unabhängiges Medium für ein breites, fortschrittliches Publikum zu sein
[19].
Die christlichdemokratische Tageszeitung "Popolo e Libertà" musste ihr Erscheinen im August einstellen, wobei aber schon Pläne für eine Neugestaltung in Form einer Wochenzeitung bestanden. Auch das Organ der Tessiner FDP, die seit 1878 erscheinende Tageszeitung "Il Dovere" (Auflage 22 000), fusionierte aus wirtschaftlichen Gründen mit dem "Eco di Locarno" (Auflage 12 000) zum neuen Titel "La Regione". Praktisch gleichzeitig lancierte die FDP jedoch ein neues Parteiorgan namens "Opinione liberale" als Wochenzeitung. Als Antwort auf die tiefgreifenden Veränderungen und Fusionen, von welchen die früheren Parteipresseorgane betroffen waren, lancierte das dem Bistum Lugano gehörende "Giornale del Popolo" eine neue Tageszeitung mit dem Titel "Il Giornale di Locarno" (Auflage 17 000), welche teilweise zusammen mit der Hauptausgabe des Giornale del Popolo (Auflage nach eigenen Angaben 45 000) herausgegeben wird. Die verstärkte Konkurrenz sowie die Herausforderung, einen Teil der bisherigen Leserschaft von "Dovere" einzubinden, veranlasste den liberalen "Corriere del Ticino", welcher übrigens eine neue äussere Aufmachung erhalten hat, eine massive Auflagenerhöhung auf über 60 000 Exemplare vorzunehmen und wie das Giornale del Popolo eine breitgestreute Gratiszustellung zu betreiben, um seine Spitzenposition im Tessiner Pressemarkt zu behaupten
[20].
Auch die Presselandschaft in der
Romandie litt vermehrt an den Folgen der Wirtschaftskrise und dem damit verbundenen Inseraterückgang; rund 80% der welschen Tageszeitungen sind defizitär. Insbesondere auf dem hart umkämpften Platz Genf, auf dem vier Tageszeitungen um die Gunst der Leserschaft kämpfen, machte sich die Rezession durch Kurzarbeit und Restrukturierungen bemerkbar. Mittels einer Verlängerung der Subventionen durch die katholische Kirche konnte die Einstellung der kleinsten Genfer Tageszeitung, des "
Courrier" (Auflage 5600), nochmals um mindestens eineinhalb Jahre aufgeschoben werden. Nachdem die "Tribune de Genève" 1991 durch Edipresse übernommen worden war, wechselte sie im Berichtsjahr erneut die äussere Aufmachung, im Gegensatz zur letzten Erneuerung im Jahre 1990 änderte sie gleichzeitig auch die redaktionelle Struktur, da fortan eine enge Zusammenarbeit im Inlandteil mit der zur selben Pressegruppe gehörenden "24 Heures" in Lausanne besteht
[21]. Die im September 1991 lancierte Tageszeitung "Nouveau Quotidien" konnte mit der Eroberung von 13,3% Marktanteil in der Westschweiz, einer Auflage von 35 000 Exemplaren und 158 000 Leserinnen und Lesern einen Erfolg verbuchen
[22].
In
Zürich wandelte sich das seit 1898 bestehende sozialdemokratische "Volksrecht" zur offenen links-grünen Tageszeitung "
DAZ". Die Bedeutung des Kürzels — vorgeschlagen wurde "Die andere Zeitung", "Die alternative Zeitung", "Das andere Zürich", "Die Argumentations-Zeitung" und ähnliches mehr — wurde von der Redaktion bewusst offen gehalten. Im übrigen haben alle dem sogenannten "Mantaz"-Ring angeschlossenen sozialdemokratischen Zeitungen (ausser Solothurner AZ) ein neues, einheitliches Layout erhalten
[23].
Eine Untersuchung des Instituts für Medienwissenschaft der Universität Bern zur Frage, ob im Rahmen von eidgenössischen Wahlen die Aargauer Sozialdemokraten und Grünen von den Zeitungen im Kanton schlechter behandelt würden als die bürgerlichen und die rechts-nationalistischen Parteien, förderte anhand des Beispiels der Wahlkampagnen der Nationalratswahlen 1991 differenzierte Resultate zutage. Entgegen den Befürchtungen der SP, welche die Auftraggeberin der Studie war, zeigte sich sowohl in der Kategorie der auf Eigeninitiative entstandenen Artikel, zu denen unter anderem auch die Parteien- und Kandidatenportraits gehören, als auch in der normalen Berichterstattung über Wahlveranstaltungen keine klare Benachteiligung von Linken und Grünen. Im Gegensatz dazu sind die links-grünen Parteien aber in den Bereichen Kandidatentexte, Leserbriefspalten und Kommentare diskriminiert und einseitig dargestellt worden
[24].
Das Projekt einer
rätoromanischen Tageszeitung namens "
Quotidiana" wurde von der romanischen Dachorganisation Lia Rumantscha (LR) gutgeheissen und an eine Trägerorganisation zur Realisierung weitergegeben. Wie eine gesamtromanische Tageszeitung nach den Vorstellungen der LR im Erscheinungsbild aussehen könnte, illustrierte eine Nullnummer am 1. Mai in einer Auflage von 25 000 Exemplaren. Die sprachpolitische Frage, wieviel Platz die künstliche Standardsprache Rumantsch Grischun in der neuen Zeitung bekommen sollte, wurde allerdings noch nicht beantwortet; Leserschaft und Redaktion sollten gemeinsam die Grundlinien eines Modells ausarbeiten. Ebenso sind die Probleme der Finanzierung sowie die Auswirkungen einer zukünftigen "Quotidiana" auf die bestehende romanische Presse noch offen
[25].
Der Streit zwischen der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA) und der Schweizerischen Politischen Korrespondenz (SPK) um die Frage, ob die Unterstützung der SPK durch die Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft (wf) in der Höhe von jährlich rund 5 Mio Fr. unlauterer Wettbewerb sei oder nicht, setzte sich im Berichtsjahr fort. Die beiden von der SDA eingeholten Rechtsgutachten veranlassten sie allerdings noch zu keinen rechtlichen Schritten gegen die Konkurrenz
[26].
[11] NZZ, 21.3.92. Vgl. auch SPJ 1991, S. 285.
[12] Presse vom 25.6.92; Klartext, 1992,.Nr. 3; SJUNews, 1992, Oktober (Sondernummer), November. Siehe auch die Interpellation von NR Vollmer (sp, BE) in Verhandl. B.vers., 1992, VI, S. 122.
[13] Bund. 15.4.92 (Allgemeines zu Ringier); Klartext, 1992, Nr. 2 (Ringier Osteuropa) und Nr. 6 (Bund-Beteiligung): NZZ, 19.12.92.
[14] Vgl. SHZ, 4.6.92; Klartext, 1992, Nr. 3. Siehe auch Lit. Les cahiers de RSF.
[15] Verhandl. B. vers., 1992, VI, S. 122; Presse vom 13.11.92; Bilanz, 1992, Nr. 7.
[16] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 627 f.; SN, 3.3.92. Vgl. auch SPJ 1991, S. 284.
[17] BaZ, 27.2.92 (NoZ): NZZ. 26.8.92. Vgl. auch TA, 24.4.92; BaZ. 1.9.92; Ww, 3.9.92; Klartext, 1992, Nr. 6. Siehe auch Lit. Blum. Eine Nullnummer der "NeZ" ist am 16.11.92 erschienen.
[18] NZZ, 28.7.92; Klartext, 1992, Nr. 5. Siehe auch Lit. Blum.
[19] CdT, 14.9. und 30.9.92; NZZ, 2.10.92. Siehe auch unten, Teil Illa (SP).
[20] Vgl. dazu SGT und TA, 15.9.92; Lib. und NZZ, 16.9.92.
[21] Tribune: JdG und 24 Heures, 29.9.92. Courrier: Lib., 6.3. und 12.6.92. Vgl. auch BZ, 16.3.92; Express, 24.9.92.
[22] JdG, 11.9.92; L’Hebdo, 1.10.92; Klartext, 1992, Nr. 6. Vgl. auch SPJ 1991, S. 285.
[23] Volksrecht: TA, 28.2.92; NZZ, 3.3.92; Klartext, 1992, Nr. 3. Neues Layout: BZ und Bund 29.2.92; TW, 2.3.92.
[24] TA, 29.2.92; Bund, 2.3.92; AT, 4.3.92. Der "Freie Aargauer" als einzige Oppositionszeitung hatte sein Erscheinen 1987 eingestellt; vgl. auch SPJ 1987, S. 235.
[25] BüZ und NZZ, 4.5.92. Vgl. auch oben, Teil I, 8b (Verhältnis zwischen den Sprachgruppen) und SPJ 1991, S. 279.
[26] Suisse, 19.9.92; SHZ, 3.12.92. Vgl. auch SPJ 1991, S. 286.
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