Année politique Suisse 1993 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Schweizerische Volkspartei (SVP)
Die Heterogenität der SVP-Exponenten, inbesondere in der Frage des Europa-Kurses der Schweiz, liess die internen Spannungen verstärkt offen zutage treten. Bundesrat Ogi wehrte sich zusammen mit Vertretern der Berner, Bündner und Waadtländer Kantonalparteien gegen den Einfluss der zürcherischen SVP, die unter Nationalrat Blocher einen immer stärkeren Rechtskurs steuerte [32]. Verärgert über die neue Führungsrolle der zürcherischen Sektion und deren arrogantes Vorgehen anlässlich der SVP-Pressekonferenz nach der EWR-Abstimmung, diskutierte der Zentralvorstand der bernischen SVP das Verhältnis der Mutterpartei zu den Kantonalsektionen. Aus der Sicht der Berner Parteispitze kann die SVP nicht gleichzeitig Regietangs- und Oppositionspartei sein. Eine grosse Mehrheit des bernischen Zentralvorstands sprach sich für den Verbleib in der Regierung auf eidgenössischer Ebene aus und grenzte sich von rechtspopulistischen Strömungen im Stil der zürcherischen Sektion ab. Dabei wurde auch Kritik an Parteipräsident Uhlmann (TG) und Fraktionschef Fischer (AG) geäussert, welche durch das Gewährenlassen Blochers Führungsschwäche an den Tag legen würden [33].
Während die meisten Sektionen der Ostschweiz Unverständnis gegenüber der bernischen Kritik an den Tag legten, unterstützte die Bündner Kantonalpartei die Berner und forderte, die SVP müsse eine sozialliberale, offene Partei der Mitte bleiben resp. wieder werden. Die waadtländische Sektion ging an der gesamtschweizerischen Delegiertenversammlung in Payerne (VD) sogar so weit, mit dem Austritt aus .der gesamtschweizerischen Partei zu drohen, falls die Mutterpartei einen rechtsextremen populistischen Kurs ansteuere [34]. Bundesrat Ogi vertrat an der Albisgüetli-Tagung der Zürcher Sektion die Meinung, wenn die SVP Regierungspartei bleiben wolle, müsse sie die Politik der andern Bundesratsparteien mittragen [35]. Die am 20. Februar einberufene Aussprache des Zentralvorstands brachte die Bereitschaft aller Beteiligten zu einer weiteren Zusammenarbeit zutage, ohne jedoch die Grundkonflikte lösen zu können. Dabei wurden weder die Regierungsbeteiligung noch die unterschiedliche Ausrichtung der einzelnen Kantonalparteien in Frage gestellt. Eine Arbeitsgruppe wurde mit dem Auftrag eingesetzt, parteiinterne Abläufe und Strukturen zu untersuchen und gegebenenfalls zu verbessern [36].
Gegen Ende des Berichtsjahres erregte die Zürcher SVP erneut Unmut bei der gesamtschweizerischen Parteileitung sowie bei anderen Kantonalsektionen, als sie die Ermordung eines Mädchens am Zollikerberg (ZH) im Hinblick auf die städtischen Wahlen im Frühling 1994 für eine Inseratekampagne missbrauchte. Darin bezeichnete sie die "Linken und Netten" — mit den Netten waren die anderen bürgerlichen Regierungsparteien gemeint — als verantwortlich für die Kriminalität sowie Asylmissbrauch in Stadt und Kanton und empfahl sich selbst als Alternative für mehr Sicherheit. Bundesrat Stich verglich die Inseratekampagne mit der Nazi-Propaganda und sagte seine Teilnahme an der Albisgüetlitagung im Januar 1994 in seiner Funktion als Bundespräsident ab [37].
Die Westschweizer Sektionen Waadt und Freiburg forderten das Zentralsekretariat eindringlich auf, interne Dokumente zu übersetzen und einen französischsprachigen Informationsdienst aufzuziehen, welcher bisher bei der SVP als einziger Regierungspartei inexistent sei [38].
Die SVP nahm eine positive Haltung gegenüber dem GATT-Vertragswerk ein, weil die Exportwirtschaft von den GATT-Regeln profitiere und im übrigen Ausgleichsinstrumente wie z.B. Direktzahlungen an die Landwirtschaft berücksichtigt würden. Ein Teil der Basis übte allerdings Kritik am Entscheid der Parteispitze [39].
Mit 110 000 Unterschriften hat die SVP die Volksinitiative "gegen die illegale Einwanderung" eingereicht; sie hat damit dieses Instrument zum ersten Mal benutzt [40].
Zu den eidgenössischen Abstimmungen empfahl die SVP dieselben Parolen wie die FDP und die CVP. Sehr knapp fiel der Entscheid für den Kantonswechsel des Laufentals aus. Abweichungen ergaben sich bei den Kantonalparteien vor allem bei den Vorlagen zur Mehrwertsteuer, insbesondere bei der Satzerhöhung und den Massnahmen zur Erhaltung der Sozialversicherung [41].
Bei kantonalen Wahlen verzeichnete die Partei zwei Sitzgewinne im Aargau. Im Kanton Genf, wo sie zusammen mit dem rechtsnationalistischen Mouvement patriotique genevois antrat, blieb sie mit 2,3% weit unter dem geforderten Quorum von 7%. Auch im Kanton Solothurn schaffte sie den Einzug ins Parlament nicht.
 
[32] Presse vom 6.1.93; SGT, 9.1.93.
[33] Presse vom 9.1. und 11.1.93; NQ, 10.1.93. Vgl. auch SPJ 1992, S. 343 f. Zum Populismus siehe auch SGT, 1.2.93.
[34] Presse vom 12.1. und 25.1.93; NQ, 24.1.93. Vgl. auch SPJ 1992, S. 343 f.
[35] Presse vom 30.1.93; WoZ, 5.2.93; SVP-ja, 1993, Nr. 2, S. 12.
[36] Presse vom 22.2.93.
[37] Presse vom 15.11., 24.11. und 25.11.93; Ww, 2.12.93.
[38] Presse vom 14.6.93.
[39] Blick, 11.8.93; Presse vom 12.8. und 16.8.93; L'Hebdo, 19.8.93; SVP ja, 1993, Nr. 5/6, S. 2 f. Vgl. auch SVP-Broschüre "GATT. Klipp und klar", Bern 1993.
[40] Presse vom 12.10.93. Vgl. auch oben, Teil I, 7d (Flüchtlinge).
[41] Presse vom 25.1., 19.4., 16.8. und 25.10.93.