Année politique Suisse 1993 : Economie / Politique économique générale
Wettbewerb
Ein wesentliches Element des vom Bundesrat im Januar vorgestellten Revitalisierungsprogramms für die Schweizerische Wirtschaft bildete die Ankündigung einer
Revision des Kartellgesetzes. Ende Oktober gab der Bundesrat den
Vorentwurf in die Vernehmlassung. Gestützt auf die Vorschläge einer von ihm eingesetzten Studienkommission möchte er Kartelle zwar nicht gänzlich verbieten, jedoch
Absprachen für die Bereiche Preise, Mengen und Gebietsaufteilungen als Behinderung des wirksamen Wettbewerbs erklären und deshalb
im Normalfall nicht mehr zulassen. Zudem sprach er sich auch für die Einführung einer Genehmigungspflicht für Fusionen ab einer bestimmten Umsatzsumme aus. Die Klageberechtigung gegen kartellistische Praktiken soll neben betroffenen Firmen, Privatpersonen und Branchenverbänden auch den Konsumentenorganisationen zugesprochen werden. Auf organisatorischer Ebene schlug der Bundesrat die Schaffung eines Bundesamtes für die Durchführung von Marktuntersuchungen vor sowie die Umwandlung der bestehenden Kartellkommission in einen Wettbewerbsrat mit Entscheidkompetenzen
[31]. Bereits vor der Vernehmlassung hatte der Vorort Kritik an einer Fusionskontrolle geübt und der Gewerbeverband grundsätzliche Einwände gegen eine Verschärfung des Wettbewerbsrechts angemeldet
[32].
Der Nationalrat befasste sich mit der im Vorjahr eingereichten parlamentarischen Initiative Jaeger (ldu, SG) für einen
Wechsel von der Missbrauchsgesetzgebung zu einer in der Verfassung verankerten Kartellverbotsregelung. Eine relativ knappe Mehrheit der vorberatenden Kommission fand, dass das Kartellrecht zwar einer dringenden Revision bedürfe und reichte zu diesem Zweck auch ein Postulat ein. Da der von Jaeger eingeschlagene Weg angesichts der Vorarbeiten der Regierung zu umständlich sei, schlug sie aber eine Ablehnung seines Vorstosses vor. Gegen den Widerstand der SP, des LdU und der GP hiess der Rat diesen Antrag gut
[33]. Der Ständerat beriet die im Vorjahr von der grossen Kammer überwiesene Motion für die Umwandlung der Kartellkommission in ein Kartellamt und für eine Fusionskontrolle. Da er beide Anliegen mehrheitlich skeptisch beurteilte, wandelte er den Vorstoss in ein Postulat um
[34].
Ebenfalls zum Revitalisierungsprogramm des Bundesrates gehört eine
Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens. Für den Bereich des Bundes gab der Bundesrat eine Revision der entsprechenden Verordnung in die Vernehmlassung. Demnach hat die Vergabe im Wettbewerb zu erfolgen, an dem sich auch Ausländer beteiligen können, ohne dass sie, wie dies der EWR von Firmen aus Nichtmitgliedländern verlangt, um 3% günstiger sein müssen. Aufträge im Bauhauptgewerbe sind öffentlich auszuschreiben, wenn sie die Summe von einer Mio Fr. übersteigen. Um ein Sozialdumping zu vermeiden, müssen in der Schweiz tätige ausländische Unternehmen aber die Löhne nach schweizerischen Kollektivverträgen kalkulieren
[35].
In die gegenteilige Richtung zielten
verstärkte Bemühungen französischsprachiger Parlamentarier für die Berücksichtigung regionalpolitischer Kriterien bei der Vergabe von Bundesaufträgen. Aus einem Postulat Delalay (cvp, VS) lehnte der Ständerat diejenige Passage ab, welche forderte, bei der Vergabe von Bundesaufträgen nicht nur das Preis-Leistungs-Verhältnis, sondern auch regionalpolitische Aspekte einzubeziehen. Darauf doppelte Zwahlen (cvp, BE) mit einer von insgesamt 87, darunter praktisch allen französischsprachigen Nationalräten unterzeichneten Motion nach, worin er eine Untersuchung über die Gründe für allfällige Nichtberücksichtigungen von welschen Anbietern verlangt und eine gleichmässige Verteilung der öffentlichen Aufträge auf alle Regionen fordert
[36].
Auch die Vertreter der
Kantonsregierungen stellten ihre
Vorarbeiten für die Vereinheitlichung und Liberalisierung der Submissionsordnungen vor. Dabei waren sie sich einig, dass sowohl kantonal als auch kommunal jegliche Benachteiligung oder gar der Ausschluss von auswärtigen Anbietern abgeschafft werden soll. Unter der Voraussetzung, dass Gegenrecht gehalten wird, soll dies auch für im Ausland domizilierte Unternehmen gelten. Die Baudirektoren liessen fürs erste ein Mustergesetz ausarbeiten und in die Vernehmlassung geben; auf längere Frist kündigten sie ein Konkordat an
[37].
Die an Deutschland angrenzenden Kantone und
Baden-Würtemberg gaben bekannt, dass sie eine gegenseitige Vereinbarung über eine vollständige Liberalisierung der Vergabe öffentlicher Aufträge und auch der für Aktivitäten im anderen Land erforderlichen Arbeitsbewilligungen anstreben. Erste konkrete Schritte unternahm die Regierung von Basel-Stadt mit der Vorlage eines revidierten Submissionsgesetzes
[38].
Der Bundesrat möchte mit einer Revision des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb (UWG) die
Bestimmungen über die Durchführung von Aus- und Sonderverkäufen lockern. In der Vernehmlassung sprach sich einzig die SP gegen eine totale Liberalisierung aus; ihre Zustimmung zu einer teilweisen Lockerung durch die Aufhebung der Bewilligungspflicht machte sie von flankierenden Konsumentenschutzmassnahmen abhängig
[39].
Auf den 1. April trat der Freiburger Wirtschaftsprofessor und Nationalrat
Deiss (cvp) die Nachfolge von Odilo Guntern als
Preisüberwacher für kartellisierte Märkte an
[40].
Mit der am 6. Dezember des Vorjahres erfolgten Ablehnung des EWR-Vertrags durch das Volk konnten auch die unter dem Titel Eurolex vorgenommenen Anpassungen an den Acquis communautaire der EU nicht in Kraft treten. Im Sinne einer mit der europäischen Gesetzgebung weitgehend kompatiblen schweizerischen Rechtsordnung, namentlich auch im Wirtschaftsbereich, entschloss sich der Bundesrat, insgesamt 27 der damals vom Parlament beschlossenen Erlasse in einem Swisslex genannten Paket neu aufzulegen. Enthalten waren darin auch alle konsumentenpolitischen Vorlagen der Eurolex.
Sowohl beim
Konsumkreditgesetz als auch der
Produktehaftpflicht, der Ausdehnung des
Widerrufsrechts für Haustürgeschäfte, dem Gesetz über den unlauteren Wettbewerb und der rechtlichen Definition und den
Mindestanforderungen für touristische Pauschalreisen übernahm der Bundesrat jeweils die vom Parlament 1992 verabschiedete Fassung mit einigen redaktionellen Änderungen
[41].
In der parlamentarischen Behandlung waren diese fünf Vorlagen vor allem im Nationalrat nicht unumstritten. Gegen den vor allem von der SVP, der LP und der AP getragenen Widerstand setzte sich die Neuerung, dass ein Richter im Rahmen des UWG die Beweislast für Werbebehauptungen umkehren kann, nur relativ knapp durch. Die kleine Kammer hatte der Revision oppositionslos zugestimmt
[42]. Auch die Bestimmungen über touristische Pauschalreisen wurden, trotz des Widerstands der SVP-Fraktion im Nationalrat, von beiden Räten verabschiedet
[43]. Unbestritten war in beiden Kammern die Erweiterung des Widerrufsrechts
[44].
Grundsätzlich einverstanden waren beide Räte auch mit der Einführung einer
verschuldensunabhängigen Produktehaftpflicht. Der bereits bei der Swisslex unterlegene Antrag der SP und der Grünen, diese auch auf gentechnisch veränderte Tiere und Pflanzen auszuweiten, unterlag im Nationalrat erneut. Abgelehnt wurde aber auch ein Antrag von bürgerlicher Seite, die Gesamthaftung wie in Deutschland auf eine Summe von 130 Mio Fr. zu begrenzen. Mit einem Postulat forderte der Nationalrat den Bundesrat auf, mit den EU- und den EWR-Staaten bilaterale Verträge über eine gegenseitige Anerkennung der Produktehaftpflicht abzuschliessen. Eine 1990 eingereichte parlamentarische Initiative Neukomm (sp, BE) für die Einführung der Produktehaftpflicht konnte als erfüllt abgeschrieben werden
[45].
Umstritten war auch die Ausgestaltung des
Gesetzes über den Kleinkredit. Wie bereits bei der Eurolex versuchten Vertreter der SP vergeblich, schärfere Bestimmungen einzubringen. Sie unterlagen ebenfalls, als der Nationalrat einem Antrag Oehler (cvp, SG) zustimmte, der die Gesetzgebung über Konsumkreditverträge (mit Ausnahme des gemäss OR den Kantonen vorbehaltenen Erlasses von Höchstzinssätzen) zur ausschliesslichen Bundessache erklärte, womit kantonal strengere Bestimmungen nicht mehr zulässig wären. Dieser Vorschlag war bereits in der erstberatenden Ständekammer von der Kommissionsmehrheit eingebracht, aber auf Antrag von Josi Meier (cvp, LU) abgelehnt worden. In der Differenzbereinigung schwächte der Ständerat den Beschluss des Nationalrats insofern ab, als dass er dem Bund zwar die Kompetenz zur abschliessenden Regelung des privatrechtlichen Bereichs zugestand, gleichzeitig aber sicherstellte, dass in bezug auf Sozialschutz über die Swisslex hinausgehende kantonale öffentlichrechtliche Bestimmungen in Kraft bleiben können. Die grosse Kammer schloss sich diesem Entscheid an
[46].
Eine
Standesinitiative des Kantons Luzern, welche in bezug auf
Sozialschutz ähnlich wie die 1991 vom Parlament überwiesene Motion Affolter (fdp, SO) über die jetzt verabschiedeten Bestimmungen hinausging, wurde zwar vom Ständerat gutgeheissen, vom Nationalrat aber gegen den Widerstand der Linken als erfüllt abgeschrieben. Nachdem der Ständerat in der Differenzbereinigung jedoch auf seinem positiven Entscheid beharrte, gab der Nationalrat nach. Er überwies danach auch gleich noch eine
Solothurner Standesinitiative, welche die rasche Ausarbeitung eines Bundesgesetzes über Kleinkredite verlangt, das den Maximalzins von 15% und die Höchstlaufzeit auf 24 Monate beschränkt
[47].
[31] Presse vom 21.1.93 (Revitalisierung); Presse vom 28.10.93 (Vorentwurf). Im Berichtsjahr kündigten namentlich das Zement- und das Schokoladekartell ihre Auflösung an (Presse vom 27.1. und 22.12.93 resp. NZZ, 10.12.93).
[33] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 744 ff. Vgl. auch SPJ 1992, S. 112 f.
[34] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 172; siehe SPJ 1992, S. 112.
[35] Presse vom 28.10.93 (für ausländische Bewerbungen v.a. LNN). Vgl. auch NZZ, 30.1.93; SPJ 1991, S. 117.
[36] Delalay: Amtl. Bull. StR, 1993, S. 367 ff.; NF, 5.4.93. Zwahlen: Verhandl. B.vers., 1993, V, S. 137; JdG, 15.12.93.
[37] Presse vom 30.3.93; SHZ, 17.6.93; Bi1Z, 16.10.93 (Mustergesetz); NZZ und NQ, 22.12.93 (Vernehmlassung).
[38] TA und NQ, 13.7.93; BaZ, 15.9.93. Vgl. auch NZZ, 29.12.93.
[39] Presse vom 6.7.93; SGT, 23.10.93.
[40] Presse vom 9.2.93; SHZ, 29.3.93. Zur Abschlussbilanz von Guntern siehe Presse vom 19.2.93.
[41] BBl, 1993, I, S. 805 ff. Zum Inhalt der Erlasse siehe SPJ 1992, S. 113 f. Vgl. auch oben, Teil I, 2 (Europe).
[42] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 206, 384 und 584; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 750 ff. und 1455; BBl, 1993, II, S. 943 f.
[43] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 200 f. und 587; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 784 f. und 1458; BBl, 1993, II, S. 999 ff. Vgl. auch SPJ 1991, S. 117 f. sowie TA, 20.7.93.
[44] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 199 f. und 585; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 779 f. und 1457; BBl, 1993, II, S. 990 f.
[45] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 245 ff. und 586; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 963 ff. und 1458; BBl, 1993, II, S. 992 ff. Postulat und parl. Initiative: Amtl. Bull. NR, 1993, S. 973 f. sowie SPJ 1990, S. 97 und 1991, S. 118. Siehe auch SHZ, 18.11.93; NZZ, 28.12.93; BZ, 30.12.93. Zu den neuen Bestimmungen siehe auch Plädoyer, 11/1993, Nr. 6, S. 25 ff.
[46] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 202 ff., 393 ff., 701 ff. und 794; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 786 ff., 1725 und 2044; BBl, 1993, III, S. 788 ff. Vgl. auch NZZ, 28.9.93.
[47] Luzern: Amtl. Bull. StR, 1993, S. 204 f. und 396 f.; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 792 f. und 2358. Solothurn: Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2359 f. Vgl. SPJ 1991, S. 117.
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