Année politique Suisse 1993 : Politique sociale / Population et travail
 
Bevölkerungsentwicklung
Die definitiven Ergebnisse der Volkszählung von 1990 zeigten das Bild einer Schweiz in raschem gesellschaftlichem und kulturellem Wandel. In den 80er Jahren wurden 530 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Zahl der Erwerbstätigen stieg damit um 17,1%. Diejenige der erwerbstätigen Frauen nahm um 192 000 zu. 44,7% aller Frauen arbeiteten teilzeitlich, während es bei den Männern nur 5,2% waren. Fast vier von fünf Frauen waren im Dienstleistungssektor tätig, der kontinuierlich expandierte und zum Zeitpunkt der Volkszählung 63,9% der Arbeitskräfte beschäftigte. Gegenüber 1980 schrumpfte der industrielle Sektor von 39,4% auf 31,8% der Erwerbstätigen.
Der Trend zu mehr und kleineren Haushalten setzte sich ungebrochen fort. Die Zahl der Haushalte wuchs um 392 000 oder 16,0%. 1990 lebte fast in jedem dritten Haushalt eine Person allein, mehrheitlich waren es Frauen. Die steigende Zahl von Rentnern und das Hinausschieben der Familiengründung haben den Anteil der Paarhaushalte ohne Kinder von 22,8 auf 26,6% ansteigen lassen. Mehr als verdoppelt hat sich die Zahl der Konkubinatspaare. Der Anteil der Haushalte von Eltern mit Kindern ging weiter zurück und machte noch 37,5% aus. Die Kinderzahl blieb jedoch mit 1,83 fast konstant. Der Anteil der geschiedenen Personen erhöhte sich dagegen um ein Drittel von 3,2 auf 4,3% der Bevölkerung.
Die Verstädterung der Schweiz ging rasant weiter. Hatten 1980 noch 61,6% der Einwohner in städtischem Umfeld gewohnt, waren es 1990 bereits 68,9%. Sie lebten verteilt auf 48 Agglomerationen und neun isolierte Städte. In den 80er Jahren entstanden 15 neue Agglomerationen vor allem um die rasch wachsenden Kleinzentren des Wallis, des Berner Oberlandes und des St.Galler Rheintals sowie in den Kantonen Aargau und Thurgau. Besonders stark wuchsen die Grossagglomerationen Genf und Lausanne.
Die stärkere Präsenz von Ausländern hat eine neue Vielfalt von Sprachen und Religionen gebracht. Erstmals waren die Nicht-Landessprachen mit 8,9% stärker vertreten als das Italienische, allen voran die slawischen Sprachen — primär Serbokroatisch —, gefolgt von Spanisch, Portugiesisch, Türkisch und Englisch. Bei den Konfessionsgruppen fällt der starke Zuwachs der Mohammedaner auf 150 000 und der ostkirchlichen Religionsgemeinschaften auf 72 000 Angehörige auf [1].
Der vor bald 20 Jahren zur Diskussion von Zukunftsfragen ins Leben gerufene Perspektivstab der Bundesverwaltung, welcher zurzeit unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Couchepin steht, legte dem Bundesrat ein Diskussionspapier vor, welches anhand der im Vorjahr entwickelten Bevölkerungszenarien des Bundesamtes für Statistik (BFS) die Bevölkerungsentwicklung und deren volkswirtschaftliche und ökologische Relevanz für die nächsten 10 bis 15 Jahre thematisierte. Ausgehend von den drei Hauptmerkmalen der künftigen Bevölkerungsentwicklung der Schweiz, nämlich vom Bevölkerungswachstum bis ins Jahr 2010 mit anschliessendem Rückgang, dem stark beschleunigten Prozess der (Über-)Alterung der Bevölkerung sowie der zentralen Rolle, welche die Zuwanderung von Ausländern auch in der künftigen Bevölkerungsentwicklung spielen wird, skizzierte die Arbeitsgruppe zwei mögliche Szenarien für die Zeit nach dem Jahr 2010. Das eine basiert auf der Stagnation und sogar Abnahme der Erwerbstätigen bei zunehmender Zahl der über 65jährigen, das andere auf einer altersstrukturerhaltenden Steigerung des Anteils der Ausländer auf bis zu 40% der Wohnbevölkerung, wenn die durch den Geburtenrückgang bedingten Lücken auf dem Arbeitsmarkt vollumfänglich durch Zuwanderung ausgeglichen würden.
Der Bericht des Perspektivstabes wollte Möglichkeiten aufzeigen, jedoch weder Ziele definieren noch Rezepte anbieten. Das Diskussionspapier ortete vorderhand noch einen gewissen Handlungsspielraum, zumindest solange als die Wanderungsbewegungen zwischen Süd und Nord kontrollierbar und deshalb mittels politischer Massnahmen beeinflussbar bleiben. Sachgerechte Lösungen bedingten aber, dass die Schweizer Bevölkerung bereit sei, sich intensiv mit dem Fremden auseinanderzusetzen und wirtschaftlich-technologische Neuerungen sowie ein Umdenken der Umwelt gegenüber einzuleiten. Zunächst aber einmal müsste die bevölkerungspolitische Problematik bewusst gemacht werden. Der Formulierung und Vermittlung der Probleme sowie möglicher Lösungen komme deshalb eine zentrale Rolle zu [2].
In seinem Länderbericht zuhanden der Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung, die 1994 in Kairo stattfinden soll, hielt der Bundesrat fest, dass auch in der Schweiz die Notwendigkeit bestehe, Bevölkerungsfragen bewusster zu thematisieren, der Bund aber keine koordinierte Bevölkerungspolitik verfolge und auch keine bevölkerungspolitischen Massnahmen in Betracht ziehe [3].
 
[1] Bundesamt für Statistik, Volkszählung 1990: Ein Profil der Schweiz, Bern 1993. Siehe dazu auch SPJ 1991, S. 201. Für die ausländische Bevölkerung vgl. unten, Teil I, 7d (Ausländerpolitik).
[2] Presse vom 3.6.93. Vgl. auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2058 f. Siehe ebenfalls SPJ 1992, S. 198 f.
[3] Presse vom 30.11.93. Eine vorbereitende Konferenz unter dem Präsidium von BR Felber fand im März in Genf statt (NZZ, 25.3. und 27.3.93).