Année politique Suisse 1993 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
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Medikamente
Der Kanton Zürich lehnte im Januar erneut den Beitritt zum revidierten interkantonalen Heilmittelkonkordat ab. Damit verstärkte sich der Trend hinzu einer Bundeslösung. Für diese sprachen sich unter anderem die exportorientierte Pharmaindustrie, entwicklungspolitische Kreise und Konsumentinnenorganisationen sowie — neben Basel-Stadt und Bern, die dem Konkordat nur befristet beigetreten sind — die Kantone Appenzell-Innerrhoden, Genf, Glarus, Luzern, Obwalden, Schwyz und Zug aus. Gegen eine Bundeskompetenz, wie sie der Bundesrat im ersten Eurolex-Paket vorgesehen hatte, wandten sich weiterhin die Kantone Basel-Land, Solothurn, St. Gallen, Thurgau, Uri, Waadt und Wallis [18].
Ähnlich gespalten zeigte sich das Parlament. In der Herbstsession machte der Ständerat klar, dass er in diesem Bereich von einer Beschneidung der Kantonshoheit nicht wissen will. Obgleich Bundesrätin Dreifuss den Vorstoss begrüsste, da sich ihrer Meinung nach in den Verhandlungen mit der EU eine Bundeslösung aufdränge, lehnte die kleine Kammer mit deutlichem Mehr eine Motion Weber (Idu, ZH) ab, welche die Heilmittelkontrolle dem Bund übertragen wollte. Nur einen Tag später nahm hingegen der Nationalrat diskussionslos eine Motion seiner Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit an, die vom Bundesrat verlangt, ein Bundesgesetz vorzulegen, welches die interkantonale Heilmittelkontrolle ersetzen kann [19].
Auch die Kantone zeigten sich in dieser Frage weniger föderalistisch als der Ständerat. Die Interkantonale Vereinigung für die Kontrolle der Heilmittel (IKV), welcher die kantonalen Sanitätsdirektoren angehören, gab an ihrer Herbstkonferenz praktisch einstimmig grünes Licht für Verhandlungen mit dem Bund über die Schaffung eines schweizerischen Arzneimittel-Institutes, welches neben der Kontrolle der Heilmittel auch den Handel mit Blutpräparaten und weitere Problembereiche beaufsichtigen soll [20].
Der Bundesrat will das Preisgefälle zwischen hiesigen und ausländischen Medikamenten in den Griff bekommen. Er gab den Auftrag zu den entsprechenden Verordnungsänderungen. Dabei ist auch ein Preisvergleich mit dem Ausland vorgesehen, wie ihn der Preisüberwacher im Vorjahr gefordert hatte, sowie eine Überprüfung der Patentdauer. Gleichzeitig soll die Verwendung von Generica — den kostengünstigeren Nachahmerpräparaten — gefördert werden [21]. Die Apotheker wehrten sich gegen die geplanten Preissenkungen, die ihrer Ansicht nach zu einem Apothekensterben und damit zum Wegfall einer bedeutenden Dienstleistung im Gesundheitswesen führen würden. Vehement wiesen die Apotheker auch den Vorschlag einzelner Krankenkassen zurück, ihren chronischkranken Versicherten die Medikamente direkt abzugeben. Die Kassen argumentierten, bei der Abgabe von Langzeitpräparaten sei die Apotheker-Marge nicht mehr durch das Beratungsgespräch gerechtfertigt [22].
Aus der Entwicklung der Umsatzzahlen in Arztpraxen und Apotheken schloss der schweizerische Apothekerverein, dass Ärzte und Ärztinnen vermehrt Medikamente in Selbstdispensation verkaufen, um so die Ausfälle auszugleichen, die ihnen auf Tarifebene durch den dringlichen Bundesbeschluss gegen die Kostensteigerung in der Krankenversicherung entstehen. Die Apotheker appellierten deshalb an die Parlamentarierinnen und Parlamentarier, im revidierten Krankenversicherungsgesetz die Selbstdispensation rigoros einzuschränken und eine entsprechende Bundeskompetenz einzuführen. Diese war im bundesrätlichen Vorschlag enthalten gewesen, im Ständerat jedoch zugunsten der Kantonshoheit aus der Vorlage gekippt worden. Der Nationalrat kehrte wieder zum Entwurf des Bundesrates zurück, doch hielt der Ständerat in der Differenzbereinigung an der föderalistischen Lösung fest [23].
 
[18] BZ, 15.5.93; BaZ, 24.9.93. Siehe auch SPJ 1992, S. 211.
[19] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 743 ff.; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1918.
[20] Presse vom 19.1 1.93.
[21] Presse vom 17.2.93; NZZ, 17.4.93, Bund, 19.8.93. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1917. Vgl. auch SPJ 1990, S. 208 und 1992, S. 211 f. Eine Studie des österreichischen Bundesinstituts für Gesundheitswesen über die Medikamentenpreise im internationalen Vergleich wies nach, dass die Schweiz die höchsten Arzneimittel-Preise aller OECD-Staaten hat (Bund, 7.9.93). Zu den Generica cf. Presse vom 9.6.93.
[22] Preissenkungen: NQ, 19.2.93; Presse vom 13.5.93; Ww, 16.9.93; Bund, 24.9.93. Langzeitpräparate: Presse vom 2.9.93; SHZ, 16.9.93.
[23] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1849 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 1059 ff. Vgl. A. Dummermuth, Selbstdispensation: Vergleich und Auswirkungen unter besonderer Berücksichtigung der Kantone Aargau und Luzern, Lausanne (IDHEAP) 1993; TA, 13.9.93; SGT, 7.10.93; BZ, 13.12.93. Für die Debatten um das neue Krankenversicherungsgesetz siehe unten, Teil I, 7c (Krankenversicherung). Zum Streit um die Einschränkung der Selbstdispensation im Kanton Bern vgl. Bund, 11.5., 7.8., 23.10., 27.10., 3.11. und 10.12.93; NZZ, 12.7.93.