Année politique Suisse 1993 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Suchtmittel
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Drogenpolitik in den Kantonen und Städten
Im Spätwinter des Vorjahres hatten die Stadtbehörden von Bern und Zürich die beiden offenen Szenen Kocherpark und Platzspitz geschlossen in der Hoffnung, auswärtige Drogenkonsumentinnen und -konsumenten in ihre Wohnsitzkantone zurückzudrängen und so die offenen Szenen verkleinern zu können. Immer deutlicher.zeigte sich aber, dass dieser Versuch nicht gelungen war. In Bern konnte eine grössere Szenenbildung verhindert werden, doch führte dies in erster Linie dazu, dass die Situation unübersichtlicher wurde, die Polizei fast pausenlos im Einsatz stand und für die Süchtigen der Beschaffungsstress zunahm. In Zürich verteilten sich die Drogenkonsumenten vorerst auf die an den Platzspitz angrenzenden Quartiere, was zu einer unerträglichen Belastung der dortigen Wohnbevölkerung führte. Schliesslich bildete sich am stillgelegten Bahnhof Letten eine neue offene Szene [51].
Vor allem in Zürich ergaben sich bedeutende Probleme bei der 1992 beschlossenen Rückführung der auswärtigen Drogensüchtigen in ihre Wohngemeinden bzw. -kantone. Meistens kehrten die weggewiesenen Drogenkonsumenten, vor allem jene aus dem sehr repressiven Kanton Aargau, umgehend in die Zürcher Szene zurück. Um ihnen den Aufenthalt dort zu vergällen, beschloss die Stadtzürcher Regierung im Sommer, ein Notgefängnis (Zentrum Hegibach) für auswärtige Drogenabhängige einzurichten und mittels fürsorgerischem Freiheitsentzug (FFE) die Polizeihaft von der gesetzlich zulässigen ' Höchstdauer von 24 auf bis zu 72 Stunden auszudehnen. Damit sollten die auswärtigen Drogensüchtigen einem kalten Entzug ausgesetzt und der Druck auf die Herkunftsgemeinden verstärkt werden. Die Massnahme war sowohl rechtlich als bezüglich ihrer Effizienz alles andere als unbestritten, wurde durch die kantonale psychiatrische Gerichtskommission aber dennoch grundsätzlich gestützt [52].
Die Weiterführung des Aufenthalts- und Betreuungsraum für Drogenabhängige, der 1992 als Provisorium im Stadthaus von Luzern eingerichtet worden war, wurde trotz positiver Erfahrungen und der Unterstützung der politischen Behörden von den Stimmberechtigten der Stadt und des Kantons an der Urne abgelehnt. 54% der Stimmenden verwarfen den notwendigen Betriebskredit von jährlich 165 000 Fr. für den Fixerraum, weshalb dieser Ende März 1994 seine Tore schliessen wird [53].
Mit Basel-Stadt musste erstmals ein Kanton für die Einwirkungen eines Fixerraumes auf die Umgebung gradstehen und den Geschädigten Schadenersatz zahlen. Die Anwohner eines zwischen 1991 und 1993 betriebenen Gassenzimmers erreichten vor Bundesgericht, dass ihnen ein Teil der von ihnen ergriffenen Abwehr- und Schutzmassnahmen von der öffentlichen Hand rückerstattet werden musste [54].
Die Stadt Bern will der Internationalen Städtekonferenz für Drogenprobleme als Vollmitglied beitreten und ist bereit, die Frankfurter Resolution zu unterschreiben, welche unter anderem anstrebt, den Konsum von heute illegalen Drogen zu entkriminalisieren und die niederschwellige Abgabe von Methadon, die kontrollierte Verschreibung von Suchtmitteln, die Schaffung von Anlaufstellen und Fixerräumen sowie die Abgabe steriler Spritzen zu ermöglichen. Bern ist nach Zürich die zweite Schweizer Stadt, welche der Organisation beitritt. Der Konferenz gehören bis jetzt Amsterdam, Frankfurt/M., Hamburg, Rotterdam, Arnhem (NL), Kallithea (GR) und Teramo (I) an [55].
 
[51] TW, 5.2.93; NQ, 10.3., 23.5. und 7.9.93; Bund, 24.3. und 19.7.93; TA, 12.6.93; CdT, 23.6.93. Für die Situation in den Städten Basel und Solothurn siehe TA, 13.12.93.
[52] TA, 10.6., 1.7., 5.7., 23.7., 7.8., 26.8., 28.8., 2.9., 7.9., 10.9., 23.9., 30.9., 9.11. und 15.12.93. Die Konferenz Nordwestschweizer Regierungen beschloss, zentrale Meldestellen für auswärtige Drogenabhängige einzuführen. Ziel des Unterfangens, an dem sich die Kantone AG, BL, BS, BE und SO beteiligen, ist die Rückführung auswärtiger Drogensüchtiger in ihre Wohngemeinden (TA, 24.8.93).
[53] LNN, 27.8., 24.9. und 29.11.93; NZZ, 24.12.93. Eine aus SVP-Kreisen lancierte Initiative gegen die Errichtung eines Fixerraumes in Thun (BE) wurde vom Bundesgericht für ungültig erklärt, da sie nicht die dafür notwendigen Kredite, sondern das Vorhaben an sich im Visier hatte. Das BG erklärte, Vollzug und Anwendung des BetMG seien Angelegenheit der zuständigen Verwaltungs- und Justizbehörden und nicht der Stimmbürger (Bund, 23.6., 19.7. und 11.12.93).
[54] Presse vom 23.12.93; BZ, 24.12.93.
[55] Bund, 18.6.93.