Année politique Suisse 1993 : Politique sociale / Assurances sociales / Grundsatzfragen
Angesichts der prekären Finanzlage von Bund und Kantonen wurden
Sparmassnahmen auch bei den Sozialversicherungen nicht mehr ausgeschlossen. Eine aus Vertretern des EFD und der kantonalen Finanzdirektoren bestehende Arbeitsgruppe regte in einem Diskussionspapier unter anderem an, mittelfristig auf die Revision und somit den Ausbau der Ergänzungsleistungen zu verzichten, den vollen Teuerungsausgleich auf den AHV/IV-Renten für ein Jahr zu streichen, die Viertelsrenten in der IV abzuschaffen und die Bundesbeiträge zur Verbilligung der Krankenkassenprämien zu kürzen
[3].
Beim zweiten Sanierungsprogramm der Bundesfinanzen beschloss der Bundesrat, neben anderen Sparmassnahmen
den 1990 versprochenen jährlichen Sonderbeitrag an die AHV im Umfang von 170 Mio Fr. bis mindestens 1996 nicht zu entrichten. Damit sollten die vorübergehenden Mehrkosten gedeckt werden, die durch den vorzeitigen Rentenbezug entstehen, wie ihn die 10. AHV-Revision vorsieht. Der Entscheid des Bundesrates hat keinen Einfluss auf die Höhe dieser Renten, belastet aber den Ausgleichsfonds entsprechend
[4].
Ebenfalls im Rahmen dieses Sanierungsprogramms wollte der Bundesrat – ähnlich wie schon im Eurolex-Paket – die schrittweise
Abschaffung der freiwilligen AHV/IV für Auslandschweizer einleiten. Gemäss seinem Vorschlag sollten keine Neubeitritte zur freiwilligen Versicherung mehr möglich sein, eine Übergangsregelung die Rentenansprüche der bisherigen Versicherten im Umfang der bis zu zehn Jahren nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung geleisteten Beiträge jedoch gewährleisten. Der Bundesrat veranschlagte die möglichen Einsparungen auf bis zu 40 Mio Fr. pro Jahr. Der Nationalrat wies die Vorlage an die Regierung zurück mit der Auflage, stattdessen für ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben sowie eine anderweitige Versicherung für Auslandschweizer in jenen Staaten zu sorgen, mit denen keine Sozialversicherungsabkommen bestehen
[5].
Als weiteren Beitrag zur Gesundung der Bundesfinanzen beantragte der Bundesrat dem Parlament
Einsparungen bei der IV von 45 Mio Fr. bis 1997. Insbesondere sollten die Beiträge an Anstalten, Werkstätten und Wohnheime für IV-Rentner nicht mehr ausgerichtet werden, sobald die in diesen Einrichtungen untergebrachten Personen das AHV-Alter erreichen. In gleicher Weise sollten die Beiträge an die Beratung und Betreuung Invalider und ihrer Angehöriger nur noch bezahlt werden, solange die betroffenen Invaliden noch nicht im Rentenalter sind. Die grosse Kammer folgte ihrer Kommission, die einen Leistungsabbau zulasten der Invaliden befürchtete, und lehnte diese Vorschläge recht deutlich ab
[6].
Nach jahrelangem Höhenflug verzeichneten die
schweizerischen Sozialwerke erstmals einen nur noch geringfügigen Einnahmenüberschuss. Rezessionsbedingt stiegen die Einnahmen von AHV, IV und EO lediglich noch um 3,5%, die Ausgaben hingegen um 9,2%. Beim Ausgleichsfonds beliefen sich die gesamten Einnahmen der drei staatlichen Sozialwerke auf 30,7 Mia Fr., die Ausgaben auf 29,9 Mia Fr. Bemerkbar machte sich dabei die generelle Rentenerhöhung um 4,4% sowie die vorgezogenen Leistungsverbesserungen der 10. AHV-Revision. Die Wirtschaftsflaute führte zu stagnierenden Lohnbeiträgen bei gleichzeitig höheren IV-Leistungen
[7].
Eine NFP-Studie rechnete aus, dass – wenn die Entwicklung linear weitergeht – in vierzig Jahren jeder dritte Franken, der in der Schweiz erarbeitet wird, in die soziale Sicherheit fliessen wird. 1989 beanspruchte dieser Bereich 25,7% des Bruttoinlandproduktes (BIP). 1994 wird dieser Anteil bei Ausgaben von rund 100 Mia Fr. bereits 28,3% ausmachen, wozu auch der starke Anstieg der Auslagen für die Arbeitslosenversicherung massgeblich beiträgt. Zu starken Kostenschüben wird die zunehmende Überalterung der Gesellschaft vor allem in der AHV führen, wo zwischen 2004 und 2032 die geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge ins Rentenalter kommen
[8].
In der Volksabstimmung vom 28. November wurde dem Parlament die Kompetenz erteilt, zur Finanzierung der AHV nötigenfalls die neugeschaffene Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt anzuheben. Siehe dazu oben, Teil I, 5 (Indirekte Steuern und Bundesfinanzordnung).
[3] SP-Pressedienst, 18.5.93; Presse vom 28.5.93; SGB-Pressedienst und TA, 3.6.93; BaZ, 5.6.93.
[4] Presse vom 2.7.93. Diese Massnahme wird dem Parlament als Rückkommensantrag im Rahmen der 10. AHV-Revision unterbreitet werden (BBl, 1993, IV, S. 304 f.).
[5] BBl, 1993, IV, S. 307 f.; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2361 ff. und 2395 f.; Soziale Sicherheit, 1993, Nr. 6, S. 39 f. ; NZZ, 24.11.93.
[6] BBl, 1993, IV, S. 308 f.; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2361 ff. und 2396 ff.; Soziale Sicherheit, 1993, Nr. 6, S. 40.
[7] Presse vom 5.3.94. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in Amtl. Bull. NR, 1993, S. 648.
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