Année politique Suisse 1993 : Politique sociale / Assurances sociales
 
Berufliche Vorsorge
Oppositionslos genehmigten beide Kammern die vom Bundesrat beantragte Ausdehnung der Übergangsfrist zur Gewährung von Mindestleistungen im Bundesgesetz über die berufliche Alters- und Hinterbliebenen-Vorsorge (BVG). Damit soll die ab Ende 1993 drohende Lücke bei der Erbringung von Ergänzungsgutschriften zugunsten der BVG-Eintrittsgeneration geschlossen werden [18].
Eine Motion Brunner (sp, GE), welche den Bundesrat beauftragen wollte, das BVG in dem Sinn zu ändern, dass für den Koordinationsabzug nicht mehr das erreichte Einkommen, sondern der Beschäftigungsgrad massgebend sein soll, scheiterte auch in der Postulatsform vorderhand am Widerstand von Nationalrat Früh (fdp, AR). Mit ihrem Vorstoss wollte Brunner erreichen, dass Teilzeitarbeitende in den unteren Lohnklassen nicht weiter dem Risiko ausgesetzt sind, trotz Erwerbstätigkeit von einer späteren Rente der 2. Säule ausgeschlossen zu werden bzw. nur eine minimale Rente zu beziehen [19].
Zur Wohneigentumsförderung mit Mitteln der beruflichen Vorsorge siehe oben, Teil I, 6c (Wohnungsbau).
Bis vor einigen Jahren führte der Sicherheitsfonds der Pensionskassen, der bei Zahlungsunfähigkeit einer Vorsorgeeinrichtung einspringen muss, ein ruhiges Dasein. Mit der Rezession änderte sich dies schlagartig. Während der Sicherheitsfonds 1989 erst 147mal aktiv wurde, intervenierte er im Berichtsjahr rund 2000mal, zweimal soviel wie im Vorjahr und dreimal soviel wie 1991. Allerdings umfassen die Leistungen des Sicherheitsfonds nur das gesetzlich festgelegte Leistungsminimum. Sowohl der vor- wie der überobligatorische Bereich der zweiten Säule sind damit nicht abgedeckt. Bei der Behandlung einer Motion Keller (sd, BL), welche der Nationalrat als Postulat überwies, unterstrich der Bundesrat die Lücken seiner Zuständigkeit in diesem Bereich, versprach aber, dem aufsichtsrechtlichen Aspekt bei der anstehenden BVG-Revision besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Er nutzte auch seine beschränkten Kompetenzen und setzte auf Mitte Jahr eine Verordnungsänderung in Kraft. Damit wird die Anlage von Pensionskassengeldern aus dem obligatorischen Bereich beim Arbeitgeber eingeschränkt und eine Meldepflicht eingeführt, wenn der Arbeitgeber mit den Beitragszahlungen drei Monate im Verzug ist [20].
Zu Fragen der fiskalischen Abgeltung von Kapitalleistungen aus der zweiten und dritten Säule siehe oben, Teil I, 5 (Direkte Steuern) und 6c (Wohnungsbau).
top
 
print
Freizügigkeitsleistungen
Beim neuen Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge folgte der Ständerat — trotz starkem Lobbying der Pensionskassenvertreter, welche vor allem die Unterstützung von Coutau (lp, GE) und Kündig (cvp, ZG) fanden — in der Differenzbereinigung weitgehend den Beschlüssen des Nationalrates. Zugunsten der jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kehrte er allerdings zum bundesrätlichen Modell zurück, welches vorsieht, dass die Arbeitnehmenden ab dem 20. Altersjahr neben ihren eigenen Versicherungsbeiträgen einen Teil der Arbeitgeberbeiträge mitnehmen können, wobei der Arbeitgeberanteil jährlich um vier Prozent angehoben wird, so dass im 45. Altersjahr die volle Freizügigkeit erreicht ist. Der Nationalrat hatte als Konzession an die Pensionskassen den Aufnungsprozess erst im Alter von 25 Jahren aktivieren, dafür aber mit 5% jährlich honorieren wollen, was ebenfalls zur vollen Freizügigkeit mit 45 Jahren geführt hätte, schloss sich in der Differenzbereinigung aber dem Ständerat an.
Im Gegenzug erklärte sich der Ständerat in Abweichung vom bundesrätlichen Vorschlag seinerseits bereit, den Pensionskassen bei dem für die Berechnung der Eintritts- und Austrittsleistungen massgeblichen technischen Zinssatz insofern entgegenzukommen, als dieser um ein Prozent variieren darf. Damit kann eine Kasse immer noch zehn bis zwölf Prozent des Guthabens eines Stellenwechslers zurückbehalten. Der Einheitssatz soll erst mit einer nächsten Revision verwirklicht werden. Unter diesen Umständen konnte die Vorlage noch vor Jahresende definitiv verabschiedet werden [21].
Der Kaufmännische Verein, welcher als Initiant einer Volksinitiative "für die volle Freizügigkeit in der beruflichen Vorsorge" die Diskussion erst recht ins Rollen gebracht hatte, zeigte sich überzeugt, dass das nun vorliegende Gesetz das derzeit Mögliche bringe. Falls die Referendumsfrist ungenutzt abläuft, will er sich den Rückzug seiner Initiative überlegen [22].
 
[18] BBl, 1993, IV, S. 241 ff. und 579; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2113 ff. und 2590; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 905 f. und 1131.
[19] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1951 f.
[20] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1390 f. ; TA, 20.1.93 ; Bund, 25.1.94; Ww, 4.3.93; Beobachter, 1993, Nr. 3, S. 16 ff.; SHZ, 25.3.93; Presse vom 2.6. und 28.10.93. NR Rechsteiner (sp, SG) hatte das Problem der ungenügenden Sicherung der Guthaben der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bereits 1991 in einer Motion aufgenommen, die 1992 mit dem Hinweis auf die laufenden BVG-Revisionsarbeiten jedoch nur als Postulat überwiesen worden war. Da sich diese Gesetzesrevision nun aber verzögern wird, doppelte Rechsteiner Ende Jahr mit einer parlamentarischen Initiative nach (Verhandl. B. vers., 1993, V, S. 38). Vgl. auch Amtl. Bull. NR, 1993, S. 917 f. Siehe ebenfalls SPJ 1992, S. 230.
[21] Amt. Bull. StR, 1993, S. 548 ff., 876 ff. und 1131; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1698 ff., 2345 und 2591; BBl, 1993, IV, S. 566 ff.; Soziale Sicherheit, 1994, Nr. 1, S. 15 ff. In der Folge der Beratungen schrieb der NR diskussionslos eine Standesinitiative des Kantons Basel-Stadt auf volle Freizügigkeit ab (Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1708). Lobbying der PK: SoZ, 13.6.93; TA, 18.6.93. Zu einer als Postulat überwiesenen Motion Fasel (cvp) zur Mindestverzinsung der Altersguthaben siehe Amtl. Bull. NR, 1993, S. 916 f.
[22] Presse vom 3.12.93.