Année politique Suisse 1993 : Politique sociale / Groupes sociaux
Stellung der Frau
Bundesrätin Dreifuss leitete die Schweizer Delegation an der
Dritten europäischen Fachministerinnen- und Fachministerkonferenz zur Gleichstellung von Frau und Mann, welche Ende Oktober in Rom stattfand. Hauptthema der Konferenz waren die künftig zu wählenden Strategien zur Eliminierung der Gewalt gegen Frauen in der Gesellschaft. Neben juristischen und administrativen Massnahmen zur Gewaltbekämpfung stand vor allem die Rolle der Medien im Vordergrund. Die Schweiz legte einen Länderbericht vor, welcher eine Analyse der Wirkung und der Funktion von Medien lieferte und daraus Strategien zur Gewaltbekämpfung ableitete
[22].
Bei den in der Wintersession beratenen Sanierungsmassnahmen des Bundesfinanzhaushaltes stellte die Waadtländer Liberale Sandoz den
Antrag, das Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann sei aufzulösen, um so eine halbe Mio Fr. zu sparen. Der Antrag wurde mit Ausnahme der LP, der SD/Lega und der AP von allen Fraktionen abgelehnt und deutlich verworfen. An der Spitze des Gleichstellungsbüros, welches im November seinen fünften Geburtstag feiern konnte, fand ein Wechsel statt. Claudia Kaufmann, welche diese Amtsstelle seit deren Gründung geleitet hatte, ging als stellvertretende Generalsekretärin ins EDI. Zu ihrer Nachfolgerin wurde die Genfer Juristin
Patricia Schulz ernannt
[23].
Im Sommer konnte die Bundeskanzlei vermelden, der
Frauenanteil in den 255 ausserparlamentarischen Kommissionen habe sich innerhalb der letzten vier Jahre von 8 auf 16% erhöht. Kurz darauf wurde dann allerdings bekannt, dass im Zug der Redimensionierung der AHV-Kommission drei grosse Frauenorganisationen (Bund Schweizerischer Frauenorganisationen, Schweizerischer Katholischer Frauenbund, Evangelischer Frauenbund) über die Klinge springen mussten. Viele Frauen zeigten sich empört darüber, dass die Frauenorganisationen gerade während der parlamentarischen Beratungen der 10. AHV-Revision, die vielfach als "Frauen-Revision" betrachtet wird, aus diesem wichtigen Konsultativorgan ausgeschlossen wurden
[24].
Der Bundesrat wählte die Tessinerin
Carla del Ponte zur Bundesanwältin. Damit ist erstmals eine Frau oberste Fahnderin und Anklägerin der Schweiz
[25].
Während auf Bundesebene gemäss dem Willen von Bundesrat und Parlament
Männer und Frauen sprachlich nach Möglichkeiten gleich behandelt werden sollen, ging die Zürcher Gemeinde Wädenswil noch einen Schritt weiter: In der neuen Gemeindeordnung sollten in Zukunft lauter weibliche Formen verwendet werden, Männer damit mitgemeint sein. Die Vorlage, die sich als kreative Lösung und Signal verstand, wurde in der Volksabstimmung jedoch mit rund 70% Nein-Stimmen deutlich verworfen
[26]. Der Antrag, dass im neuen Geschäftsreglement des Grossen Bürgerrates der Stadt Luzern künftig konsequent die weibliche Form angewandt werden soll, fiel bereits bei der zweiten Lesung wieder aus den Traktanden
[27].
Die Wahl von Ruth Dreifuss in den Bundesrat bedeutete einerseits einen klaren punktuellen Sieg der Frauen, da erstmals aufgrund von "Frauen-Power" ein rechtskräftig in ein hohes Amt gewählter Mann derart unter Druck gesetzt wurde, dass er zugunsten einer Frau auf dieses Amt verzichtete. Andererseits löste die Wahl und deren Begleitumstände eine Bewegung aus, die unter dem Begriff "Brunner-Effekt" die Wahlen in kantonale und kommunale Legislativen und Exekutiven nachhaltig beeinflusste und zu einer nahezu erdrutschartißen Zunahme der Frauen in öffentlichen Ämtern führte. Dazu sowie zur lancierten neuen Quoteninitiative für Bundesbehörden ("Initiative 3. März") bzw. zur Petition "Nationalrat 2000" und zu entsprechenden parlamentarischen Vorstössen siehe oben, Teil I, 1c, Einleitung und Regierung sowie 1e.
Mit Gret Haller (sp, BE) wurde zum drittenmal eine Frau zur Nationalratspräsidentin und damit höchsten Schweizerin gewählt. Haller, die als engagierte Feministin gilt, wertete ihre Wahl als Anerkennung der Frauenbewegung
[28].
Bei der Abstimmung über eine
Totalrevision der Staatsverfassung im Kanton Luzern konnte sich erstmals das Stimmvolk an der Urne zur
Einführung einer Quotenregelung äussern. Alle Luzerner Frauenorganisationen, ein überparteiliches Komitee sowie die Linksparteien hatten eine paritätische Zusammensetzung des Verfassungsrates verlangt. Im Namen der Wahlfreiheit sprach sich die FDP klar, die CVP knapp dagegen aus. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger lehnten die Quotenregelung mit 68% Neinstimmen deutlich ab
[29].
Ende Februar leitete der Bundesrat dem Parlament seine
Botschaft zum Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann ("Gleichstellungsgesetz") zu. Das neue Gesetz, welches den seit 1981 in der Bundesverfassung stehenden Gleichheitsartikel konkretisiert, soll künftig die Frauen vor allem im Wirtschaftsleben vor direkten und indirekten Diskriminierungen schützen – und zwar in den Bereichen Lohn, Stellenausschreibung, Anstellung, Aufgabenzuteilung, Aus- und Weiterbildung, Beförderung, Entlassung und sexuelle Belästigung. Sowohl in der Privatwirtschaft als auch beim Bund, bei Kantonen und Gemeinden sollen Frauen ihre Rechte dank dem neuen Gesetz besser wahrnehmen und durchsetzen können. Hauptangelpunkt des Gesetzes ist das Prinzip der Beweislastumkehr: Können Frauen glaubhaft darlegen, dass sie aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert werden, soll sich künftig eine kantonale Schlichtungsstelle der Sache annehmen. Ein Entscheid dieser Stelle kann an ein Gericht weitergezogen werden. Hier muss der Arbeitgeber beweisen, dass sich die Massnahme auf Gründe stützt, die mit dem Geschlecht nichts zu tun haben. Schützt das Gericht die Klage einer Frau wegen geschlechtsbedingter Nichtanstellung oder Kündigung, steht ihr eine Entschädigung zu, nicht aber eine Neu- oder Wiedereinstellung. Das Gesetz räumt auch Frauen und Berufsorganisationen ein Klage- und Beschwerderecht ein, allerdings nur, wenn sich ihre Beschwerde auf eine grössere Anzahl von Frauen des gleichen Betriebs bezieht. Entgegen früheren Vorschlägen wurde hingegen auf ein eigenes Untersuchungsrecht des Eidg. Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann verzichtet; das Büro soll aber im Gesetz verankert und in den Rang eines Bundesamtes oder -dienstes erhoben werden
[30].
Die
vorberatende Kommission des Nationalrates sprach sich mit grosser Mehrheit für Eintreten aus. In der Detailberatung versuchte dann aber ein rechtsbürgerliches Quartett – Arbeitgeberdirektor Allenspach (fdp, ZH), Rechtsprofessorin Sandoz (lp, VD), Wirtschaftsanwalt Ducret (cvp, GE) und Maximilian Reimann (svp, AG) — das Gesetz in fast allen Artikeln abzuschwächen
[31].
Eine
Zusammenstellung von statistischen Daten durch das Bundesamt für Statistik zeigte, dass die Gleichstellung von Mann und Frau, wie sie in der Verfassung steht, faktisch noch bei weitem nicht verwirklicht ist. Vor allem bei der Ausbildung und den beruflichen Chancen sind die Frauen deutlich schlechter gestellt als die Männer. Fast doppelt so viele Mädchen (17%) wie Knaben (9%) verzichten auf eine nachobligatorische Bildung. Eine Lehre absolvieren 51 % der Mädchen, bei den Knaben sind es mit 63% deutlich mehr. Der Anteil jener, die eine höhere Ausbildung in Angriff nehmen, ist bei den Männern erheblich grösser als bei den Frauen. Enorme Unterschiede sind auch bei den Löhnen festzustellen. Die Studie stellte im weiteren fest, dass das Lohngefälle mit steigender Qualifikation zunimmt
[32].
Obgleich mit grossen Schwierigkeiten verbunden, haben in den letzten Jahren. die
Lohngleichheitsklagen von Frauen zugenommen. Im Berichtsjahr endete der vor 12 Jahren begonnene Hürdenlauf von 19 Basler Kindergärtnerinnen, Hauswirtschafts- und Textillehrerinnen durch alle Instanzen mit einem vorläufigen Erfolg. In einer ersten Runde hatten sowohl der Regierungsrat wie das Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Stadt die Klage der Frauen abgelehnt. Erst eine staatsrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht brachte die Wende. Dieses wies das kantonale Verwaltungsgericht an, den Gleichheitsartikel der Bundesverfassung durchzusetzen und eine von den Klägerinnen verlangte Expertise zu ihrer Lohneinstufung ausarbeiten zu lassen. Dieses Gutachten kam zum Schluss, dass die drei Frauenberufskategorien im Vergleich zu den übrigen Lehrberufen tatsächlich lohnmässig diskriminiert werden. Daraufhin verlangte das Verwaltungsgericht, dass die Angehörigen der drei Berufsgruppen künftig eine resp. zwei Lohnklassen höher eingestuft werden müssen. Da dies für den Kanton Lohnnachzahlungen in der Höhe von rund 20 Mio Fr bedeutet, zeigte sich der Regierungsrat wenig kompromissbereit und zog den Fall erneut vor Bundesgericht
[33].
Für die Aufhebung des Nachtarbeitsverbotes für Frauen in der Industrie siehe oben, Teil I, 7a (Arbeitszeit).
Eine vom Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann herausgegebene Studie ergab aufgrund von in Genf erhobenen repräsentativen Befragungsdaten, dass rund 60% der Frauen
an ihrem Arbeitsplatz sexuell belästigt werden. Die Formen der Belästigung gingen dabei von anzüglichen Bemerkungen bis zur Vergewaltigung
[34]. Mit einer Wegleitung zur neuen Verordnung über die Arbeitssicherheit will auch das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Biga) auf das Problem der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz eingehen
[35].
Einstimmig genehmigte der Ständerat eine Empfehlung Frick (cvp, SZ), die vom Bundesrat verlangte, den diskriminierenden Sonderstatus für
Cabaret-Tänzerinnen aus der Dritten Welt und Osteuropa abzuschaffen und durch ein anderes Aufenthaltsrecht zu ersetzen, welches ihnen auch den Zugang zu weiteren Arbeitsmöglichkeiten ausserhalb des Animationsgewerbes ermöglicht. Bundesrat Koller wies auf bereits getroffene Massnahmen hin (Kontrolle der Arbeitsverträge und der Lokale), meldete allerdings grösste Bedenken gegen die Möglichkeit eines Stellenwechsels an, da dies dem Dreikreisemodell widerspreche, wonach Menschen aus der Dritten Welt und Osteuropa in der Schweiz nur in Ausnahmefällen eine reguläre Arbeitsbewilligungen erhalten
[36].
Im Rahmen von Swisslex wurde im Bundesgesetz über die
Familienzulagen in der Landwirtschaft die Gleichstellung von Männern und Frauen verwirklicht. Neu haben auch die Angehörigen der Betriebsleiterin, die im Betrieb mitarbeiten, Anspruch auf diese Zulage
[37].
[22] Gesch.ber. 1993, S. 58.
[23] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2262 f.; LZ, 28.10.93; SGT, 30.10.93; Presse vom 3.11. und 21.12.93; Bund, 3.12.93.
[25] Presse vom 23.12.93. Vgl. dazu oben, Teil I, 1c (Verwaltung).
[26] TA, 10.6., 22.9. und 27.9.93.
[27] F-Frauenfragen, 1993, Nr. 2, S. 57.
[28] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2063 ff.; Presse vom 30.11.93. 1977/78 hatte Elisabeth Blunschy (cvp, SZ) dieses Amt bekleidet, 1981/82 Hedi Lang (sp, ZH).
[29] Presse vom 29.11.93.
[30] BBl, 1993, I, S. 1248 ff.; Presse vom 25.2.93.
[31] NZZ, 17.4. und 24.6.93; SoZ, 21.11.93; Presse vom 24.12.93.
[32] Lit. Bundesamt für Statistik.
[33] BaZ, 22.10., 27.10. und 25.11. Im Kanton St. Gallen gab das Bezirksgericht der Einzelklage einer Lehrerin für Krankenpflege Recht, die verlangte, gleich wie Berufsschullehrer entlöhnt zu werden (SGT, 18.11. und 18.11.93).
[34] V. Ducret, Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Worüber Frauen schweigen, Bern (EDMZ) 1993; Presse vom 6.4.93.
[36] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 989 ff.; F-Frauenfragen, 16/1993, Nr. 3, S. 92. Siehe dazu auch die Stellungnahme des BR in Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1778.
[37] BBl, 1993, I, S. 851; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 189 und 582; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 769 und 1454; BBl, 1993, II, S. 926. Diese Gesetzesänderung gehörte bereits zu dem im Vorjahr verabschiedeten Eurolex-Paket.
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